Der Wahrheit verpflichtet? Die moderne Universität zwischen Bildungsansprüchen und Adaptionserfordernissen
Zehn Jahre Bologna-Reform bilden tatsächlich einen geeigneten Anlaß für die erneute Klärung grundsätzlicher Fragen: Was war die Universität einmal? Was ist sie gegenwärtig? Was könnte sie in Zukunft sein? Der Beitrag versucht dem in 7 Schritten nachzugehen.
Gut gemeint und nur schlecht gemacht? 10 Jahre Bologna sind genug
Ein fragwürdiges Jubiläum gibt Anlass zur Besinnung: Was hat es mit der Bologna-Reform auf sich, worum ging es dabei eigentlich und wie geht es weiter?
Die übliche Legende um den Bologna-Prozess ist schnell erzählt: 1999 hätten europäische Staaten in Bologna eine Erklärung unterzeichnet, die die Wettbewerbsfähigkeit und internationale Kompatibilität der Hochschule sichern wollte, um einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Dazu habe man mit dem BA/MA-System vergleichbare Abschlüsse geschaffen, ein Credit-Point-System eingeführt und die Studiengänge „kompetenzorientiert“ modularisiert. So sollten Studienortwechsel einfacher, Studienzeiten kürzer und Abschlüsse berufskompatibler werden.
›Module‹
»Die Module spiel’n verrückt …« — Vielen Universitätsangehörigen klingt dieser Tage wieder der 80er Jahre Song »Computerliebe« (1984) von Paso Doble schmerzlich in den Ohren, der damals im Zuge der ›Neuen Deutschen Welle‹ die Spitze der Hitparaden erklomm. In deutschen Universitäten wird gegenwärtig ständig von Modulen gesprochen. Durch die Umstrukturierung der Studiengänge in solch thematisch gebündelte Lehreinheiten, der jeweils ›passende‹ Lehrveranstaltungen zugeordnet werden, verkommt ihr Inhalt beinahe zur Nebensache, da er von einem trivialen äußeren Zweck überlagert wird. Schließlich ist die Anrechenbarkeit eines Seminars oder einer Vorlesung für den noch fehlenden Modulbereich mittlerweile von weit größerem Interesse als ihr vermeintlicher Bildungswert.
›zukunftsfähig‹
Was waren das für Zeiten, als das Wörtchen ›neu‹ in der Werbung noch unser Begehren kitzeln konnte und das Aufsatzthema: »Wie stelle ich mir das Jahr 2000 vor?« die Phantasie von Grundschülern beflügelte? Alle waren damals sicher, dass die Kinder heute mit Raumschiffen zur Schule fliegen würden, denn die Zukunft war mit Wünschbarkeiten zu bevölkern und der goldene Erfüllungsweg hieß Fortschritt.
›Bildungsverlierer‹
Die semiotischen Genlabors der Reformer starten einen neuen Freilandversuch: Über Fachzeitschriften, Nachrichtenredaktionen und Feuilletons streuen sie den Terminus ›Bildungsverlierer‹ in die diskursiven Biotope einer bildungshysterischen Gesellschaft. Dort findet er einen fruchtbaren Boden vor und schlägt Wurzeln in Gestalt einer Geste sozialer Zuwendung zu den Schwachen, deren Not er vermeintlich aufdeckt und schonungslos benennt. Tatsächlich ist
›Netzwerken‹
Nein, da ist kein »n« zuviel. Es handelt sich nicht um Netzwerke, also die Mehrzahl von Netzwerk, sondern wir reden über eine Tätigkeit, eine Handlung, die man neuerdings als »Netzwerken« bezeichnet. Es geht ferner auch nicht um Technik, sondern um Menschen. Die Glosse ist also nicht versehentlich hier gelandet. Genauer ist von zwischenmenschlichen Beziehungen die Rede, nur unter ganz bestimmten Vorzeichen, die der voranschreitenden ökonomisch-technokratischen Ausgestaltung unserer Gesellschaft geschuldet sind. ›Netzwerken‹ kann man sowohl privat als auch beruflich bzw. professionell, nur scheint der Unterschied allmählich zu verwischen.
›Teilhabe‹
»We cannot allow that everybody does as he pleases.« (Günther Oettinger)
Wer schon einmal versucht hat, in Schulen, Kindergärten oder Universitäten kleinere Verbesserungen vor- oder größere Verschlechterungen auszuschlagen, wird sich schnell vor unüberwindliche Hürden gestellt sehen, die immer dann errichtet werden, wenn es darum geht, engagierte KollegInnen, kritische Studenten, wache Schüler oder nörgelige Eltern zu zermürben. Die Klassiker unter den Zauberformeln entspringen den Dispositiven a. der fehlenden finanziellen Mittel, b. der Versicherungstechnik, c. des Sachzwangs und schließlich d. der moralischen Delegitimation und Skandalisierung. Ihrer fundamentalen Bedeutung wird beispielsweise dadurch Rechnung getragen, dass ein komplettes Basismodul im Bachelor-Studiengang ›educational engineering and development‹ an der FH Brolinghausen for applied science dem Kompetenzerwerb im Bereich ›outspeech-design‹ und ›queerulation-management‹ gewidmet ist.
›selbstregulierter Lerner‹
Wenn die Stimmen der Alten endgültig verstummt sein werden, wenn die feinen begrifflichen Unterscheidungen und pädagogischen Sach-Ansprüche verklungen, wenn das Haus der Akademischen Pädagogik — final entrümpelt und totalsaniert — ausschließlich von alerten Bildungsforschern bewohnt sein wird, wenn also die Bologna-Natives die Schlüsselpositionen in Universitäten, Schulen und Kinderganztagesstätten besetzt haben werden, bricht der Hohe Mittag an, die Stunde der reinen Transparenz, die von keinem Schatten getrübt, von keiner Dialektik in Spannung versetzt, von keinem Zweifel mehr aufgestört werden könnte. Die Eschatologien der Kompetenz, der Methodenorientierung, der Effizienz, der internationalen Vergleichsstudien, der Quantifizierung von Qualität, des Outputs übererfüllen sich im homo superior, nein, im Messias der Messis, dem selbstregulierten Lerner.
Die Verabsolutierung des Problemlösens im Kompetenzkonzept
Es tobt ein Streit. Die einen fordern, Bildung müsse mehr und mehr auf das Training von Kompetenzen abgestellt werden, die anderen sehen gerade darin die Abschaffung dessen, was seit jeher unter Bildung verstanden wurde. Gastbeitrag von Ralf Wiechmann.
Institutionalisierte Denkfehler (IDF)
Im April 2012 hat die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ein Arbeitspapier mit dem Titel „Zur Weiterentwicklung des Akkreditierungssystems – Gestaltung des institutionellen Qualitätsaudit“ (IQA) publiziert. Wer sich mit Qualitätsmanagement (QM) befasst, wird IQA für Bildungseinrichtungen mit IDF übersetzen: Institutionalisierte Denkfehler.
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