Irrwege der Unterrichtsreform
Die ernüchternde Bilanz eines utilitaristischen Imports: Entpersonalisierung und Banalisierung der Bildung Kritische Stimmen zu den Unterrichtsreformen nach PISA auf einer internationalen Tagung an der Goethe Universität Frankfurt in 2012, Prof. Dr. Hans Peter Klein & Dr. phil. Beat Kissling
Wie das Lernen sein Gewicht verliert
Bildung ist nicht nur etwas anderes als Kompetenz, sondern deren Gegenteil. Denn wer gebildet ist, der kann etwas, wer aber Kompetenzen zu besitzen behauptet, der verfügt nur über leere Hüllen. Von Christoph Türcke
›Bildungswissenschaft‹
Klammheimlich hat sich ein neuer Leitbegriff im gegenwärtigen pädagogischen Fachdiskurs breitgemacht: ›Bildungswissenschaft‹. Immer selbstverständlicher und öfter wird er als Synonym für pädagogische Theoriebildung und erziehungswissenschaftliche Forschung überhaupt lanciert, zumal, wenn es um das Verhältnis von Studium und Beruf geht. Das derzeitige Begriffskonjunkturhoch könnte erklärt werden durch das den Begriffen ›Bildung‹ und ›Wissenschaft‹ inhärierende symbolische Kapital; zuweilen verspricht man der Disziplin durch Umbenennung in ›Bildungswissenschaft‹ steigendes öffentliches Ansehen. De facto forciert der Begriff deren Abschaffung.
Der Wahrheit verpflichtet? Die moderne Universität zwischen Bildungsansprüchen und Adaptionserfordernissen
Zehn Jahre Bologna-Reform bilden tatsächlich einen geeigneten Anlaß für die erneute Klärung grundsätzlicher Fragen: Was war die Universität einmal? Was ist sie gegenwärtig? Was könnte sie in Zukunft sein? Der Beitrag versucht dem in 7 Schritten nachzugehen.
Gut gemeint und nur schlecht gemacht? 10 Jahre Bologna sind genug
Ein fragwürdiges Jubiläum gibt Anlass zur Besinnung: Was hat es mit der Bologna-Reform auf sich, worum ging es dabei eigentlich und wie geht es weiter?
Die übliche Legende um den Bologna-Prozess ist schnell erzählt: 1999 hätten europäische Staaten in Bologna eine Erklärung unterzeichnet, die die Wettbewerbsfähigkeit und internationale Kompatibilität der Hochschule sichern wollte, um einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Dazu habe man mit dem BA/MA-System vergleichbare Abschlüsse geschaffen, ein Credit-Point-System eingeführt und die Studiengänge „kompetenzorientiert“ modularisiert. So sollten Studienortwechsel einfacher, Studienzeiten kürzer und Abschlüsse berufskompatibler werden.
›Module‹
»Die Module spiel’n verrückt …« — Vielen Universitätsangehörigen klingt dieser Tage wieder der 80er Jahre Song »Computerliebe« (1984) von Paso Doble schmerzlich in den Ohren, der damals im Zuge der ›Neuen Deutschen Welle‹ die Spitze der Hitparaden erklomm. In deutschen Universitäten wird gegenwärtig ständig von Modulen gesprochen. Durch die Umstrukturierung der Studiengänge in solch thematisch gebündelte Lehreinheiten, der jeweils ›passende‹ Lehrveranstaltungen zugeordnet werden, verkommt ihr Inhalt beinahe zur Nebensache, da er von einem trivialen äußeren Zweck überlagert wird. Schließlich ist die Anrechenbarkeit eines Seminars oder einer Vorlesung für den noch fehlenden Modulbereich mittlerweile von weit größerem Interesse als ihr vermeintlicher Bildungswert.
›zukunftsfähig‹
Was waren das für Zeiten, als das Wörtchen ›neu‹ in der Werbung noch unser Begehren kitzeln konnte und das Aufsatzthema: »Wie stelle ich mir das Jahr 2000 vor?« die Phantasie von Grundschülern beflügelte? Alle waren damals sicher, dass die Kinder heute mit Raumschiffen zur Schule fliegen würden, denn die Zukunft war mit Wünschbarkeiten zu bevölkern und der goldene Erfüllungsweg hieß Fortschritt.
›Bildungsverlierer‹
Die semiotischen Genlabors der Reformer starten einen neuen Freilandversuch: Über Fachzeitschriften, Nachrichtenredaktionen und Feuilletons streuen sie den Terminus ›Bildungsverlierer‹ in die diskursiven Biotope einer bildungshysterischen Gesellschaft. Dort findet er einen fruchtbaren Boden vor und schlägt Wurzeln in Gestalt einer Geste sozialer Zuwendung zu den Schwachen, deren Not er vermeintlich aufdeckt und schonungslos benennt. Tatsächlich ist
›Netzwerken‹
Nein, da ist kein »n« zuviel. Es handelt sich nicht um Netzwerke, also die Mehrzahl von Netzwerk, sondern wir reden über eine Tätigkeit, eine Handlung, die man neuerdings als »Netzwerken« bezeichnet. Es geht ferner auch nicht um Technik, sondern um Menschen. Die Glosse ist also nicht versehentlich hier gelandet. Genauer ist von zwischenmenschlichen Beziehungen die Rede, nur unter ganz bestimmten Vorzeichen, die der voranschreitenden ökonomisch-technokratischen Ausgestaltung unserer Gesellschaft geschuldet sind. ›Netzwerken‹ kann man sowohl privat als auch beruflich bzw. professionell, nur scheint der Unterschied allmählich zu verwischen.
›Teilhabe‹
»We cannot allow that everybody does as he pleases.« (Günther Oettinger)
Wer schon einmal versucht hat, in Schulen, Kindergärten oder Universitäten kleinere Verbesserungen vor- oder größere Verschlechterungen auszuschlagen, wird sich schnell vor unüberwindliche Hürden gestellt sehen, die immer dann errichtet werden, wenn es darum geht, engagierte KollegInnen, kritische Studenten, wache Schüler oder nörgelige Eltern zu zermürben. Die Klassiker unter den Zauberformeln entspringen den Dispositiven a. der fehlenden finanziellen Mittel, b. der Versicherungstechnik, c. des Sachzwangs und schließlich d. der moralischen Delegitimation und Skandalisierung. Ihrer fundamentalen Bedeutung wird beispielsweise dadurch Rechnung getragen, dass ein komplettes Basismodul im Bachelor-Studiengang ›educational engineering and development‹ an der FH Brolinghausen for applied science dem Kompetenzerwerb im Bereich ›outspeech-design‹ und ›queerulation-management‹ gewidmet ist.
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