Die Gesellschaft

Motive für die Gründung und Ziele der Arbeit
Die im Juni 2010 gegründete Gesellschaft dient der Auseinandersetzung mit den Grundzügen, Voraussetzungen und Folgen der gegenwärtigen umfassenden Bildungsreform von Schule und Hochschulen. Sie will Beiträge leisten zur öffentlichen Debatte über das Ziel, die Inhalte und Methoden dieser Reform. Diese Beiträge sollen durch zweierlei ausgezeichnet sein:

  • zum einen durch eine möglichst sachhaltige, das Geschehen objektivierende Expertise,
  • zum anderen durch die Parteinahme für die grundlegende Aufgabe des Bildungswesens, nämlich die Vermittlung von Bildung und Wissen an die nachwachsende Generation.

Die Initiatoren der Gesellschaft entdecken für beide Anliegen gegenwärtig keine öffentlich wirksame Plattform zur Aufklärung und Einwirkung. Der Einspruch und die Kritik an Fehlentwicklungen bleiben individuell gebunden und damit isoliert. Die professionell zuständigen Zünfte üben sich entweder in vornehmer Zurückhaltung oder schwimmen weitgehend mit dem Trend der Reform. Die veröffentlichte Meinung über den Zustand unserer Bildungsanstalten umkreist nicht selten skandalisierend, verzerrend und populistisch die dort wahrgenommenen Krisensymptome und Missstände, ohne dass es zu einer Aufklärung der Ursachen für die Misere käme. Kommentierend treten „Experten“ auf, die als Protagonisten der Reform diese mit „empirischer Bildungsforschung“ so begründen, als folge aus der Forschung die Reform. Weitgehend fraglos wird das, was sie als Therapie empfehlen, in den Medien akzeptiert. Nur selten kommt es zu kritischen Rückfragen, ob die Reformempfehlungen überhaupt leisten können, was mit ihnen versprochen wird. Die „wissenschaftlichen Beobachter“ können weitgehend ohne Gegenrede als Propagandisten der von ihnen selbst initiierten Reformen agieren. Damit bleibt ein großer Teil der wissenschaftlichen und praktischen Expertise, insbesondere zum Ansatz und den problematischen Ergebnissen der Reform unbeachtet.

Die Initiatoren der Gesellschaft wurden in den vergangenen Jahren – nicht zuletzt als Reaktion auf die „Frankfurter Einsprüche gegen die technokratische Umsteuerung des Bildungswesens“ von 2005 – mit einem ausgeprägten und ansteigenden Bedürfnis in den zuständigen pädagogischen Professionen konfrontiert, eine Gegenöffentlichkeit zu organisieren. Dahinter steckt die frustrierende Erfahrung von Praktikern wie Wissenschaftlern, dass die eigene Erfahrung und Expertise nicht gehört und aufgenommen wird. Der überwältigende Zuspruch, den die Kölner Zusammenkunft zu den „Bildungsstandards und Kompetenzorientierung“ im Juni 2010 erfahren hat, macht deutlich, dass es an der Zeit ist, ein eigenständiges Forum zur Artikulation von Erfahrungen mit der Reform und Vorstellungen zu ihren Alternativen zu entwickeln. Die Gesellschaft will das organisierende Zentrum für die möglichst breite Debatte werden.

Die Initiatoren sehen in der Gründung auch einen Akt der Gegenwehr. Es herrscht anhaltend ein Klima des Verdachtes. Wer mit guten Gründen Skepsis gegenüber den eingeschlagenen Reformen vorträgt, wer gar ihre Chancenlosigkeit oder falsche Ausrichtung kritisiert, gilt gemeinhin bei den Reformern als unprofessionell, inkompetent und als Bewahrer von Privilegien, mit denen Maßnahmen zur Leistungsoptimierung sabotiert werden. Das hat eine gewollt einschüchternde Wirkung auf die Praxis. Reformen werden verordnet, ohne dass sie überzeugend begründet werden. Sie werden mit Versprechungen auf Veränderungen aufgeladen, deren Maßlosigkeit sie bereits unglaubwürdig macht. Offensichtlich werdende Fehlentwicklungen durch Reformen, die deutlich machen, dass so alles nur noch schlechter und schlimmer wird, werden nicht wahrgenommen oder als Schwierigkeiten beim Herstellen des Richtigen wegrationalisiert. Während sie sich sicher sind, das Gute und Bessere gegen das Schlechte zu wollen, ignorieren die Reformer die davon abweichende Wirklichkeit und immunisieren sich gegen Kritik. Über das, was Schule und Universitäten sollen, wird fast nur noch mit Blick auf das Ziel der Optimierung der inneren Abläufe und des Out-Puts geredet. Gemessen wird die Wirkung an Kennzahlen, mit denen man sich mit anderen vergleicht: Schülerleistungswerte, Abschlussquoten, Rangplätze, Einnahmen. Damit kommt es zu einer heillosen Verkürzung der Wahrnehmung der Aufgaben und der Wirklichkeit des Bildungswesens.

Die Initiatoren der Gesellschaft sehen dagegen einen großen Reformbedarf an anderer Stelle. Die Bildungsinstitutionen sollten mit Reformen befähigt und ermutigt werden, ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag zu erfüllen und mit ihnen sollten Hindernisse bei der Erfüllung dieser Aufgabe beseitigt werden. In dieser Hinsicht weiß die Praxis bereits, was „guter Unterricht“ ist und was seine Erfüllungsbedingungen wären, es muss ihr nicht erst über „empirische Bildungsforschung“ vermittelt werden: Durch Schule und Unterricht sollen möglichst viele Schüler in der Auseinandersetzung mit einer Sache diese verstehen lernen. Sie sind durch sie herausgefordert, das an Wissen und Erkenntnis zu erwerben, was sie voraussetzt und bereit hält. Erziehen heißt von daher Verstehen zu lehren. Was das praktisch bedeutet, hätte gute Praxis zu zeigen und Reformen hätten deren Verbreitung zu begünstigen. Die Universität lebt vom Bemühen um die „Bildung im Medium der Wissenschaft“, ohne es wird die Universität als Anstalt der akademischen Lehre überflüssig. Wo sie sich zu einer schlechten Schule wandelt, indem sie das gegängelte Lernen ungeprüfter Inhalte für unausgesetzte verlangte Leistungserbringungen betreibt, mit denen man lediglich beweisen kann, wie man Prüfungen besteht, ist sie bereits obsolet geworden. Für dergleichen benötigt man ggf. lediglich Trainingcenter.

Die Initiatoren der Gesellschaft vermögen nicht zu erkennen, dass die gegenwärtige Modernisierung und Umstellung des Bildungswesens dem Ziel der Verbreitung und Sicherung von Bildung und Wissen dient. Vielmehr lässt sich auf allen Ebenen der Reform eine Umdeutung des Bildungsauftrages und der Wissensvermittlung beobachten, die auf dessen Schwächung hinausläuft. Entgegen der überall verlangten Qualitätsentwicklung und Erzielung von Exzellenz vollzieht sich eine Aushöhlung der Ansprüche an Bildung und Wissen. Die Beispiele sind inzwischen Legion.

  • Bildungsstandards führen zwar Bildung im Titel, bedeuten aber nicht verbindliche Fachlichkeit, sondern weitgehend eine Standardisierung in Richtung „domänenspezifischer Kompetenzen“. Was eine „Domäne“ ist, definieren nun Kognitions- und Wissenspsychologen und nicht mehr Fachdidaktiker. Die haben nur noch die Konkretisierungen für die psychologischen Konstrukte zu liefern.
  • Für die Voraussetzungen und Anforderungen an die „Bildung im Medium eines Faches“ und die Frage ihrer didaktischen Erschließung interessiert sich die dominante „Lehr-Lernforschung“ nicht. Ihre Empfehlungen münden regelmäßig ein in ein unverbindliches Mehr von dem, was positiv wirken soll. Sie dienen dann als Rechtfertigung für methodische Moden im Unterricht, mit denen die professionelle Verantwortung der Lehrenden unterminiert wird.
  • In der Umsetzung von Bildungsstandards in den Ländern dominieren die Versprechungen über universell nützliche und geforderte Methoden-, Informations- und Informierungskompetenzen. Die Entwürfe zu den neuen Steuerungsmitteln zeigen, dass die geforderte Kompetenzorientierung dazu führt, dass solide Fachkenntnisse und ein verstehendes Durchdenken von Inhalten zunehmend zurückgedrängt werden. Kompetenzmodelle werden freihändig entworfen. Sie zeigen nicht, wie sich in der Auseinandersetzung mit fachlichen Aufgaben Kompetenzen zu ihrer Bewältigung bilden lassen.
  • Mit der Modularisierung und der Umstellung auf einen zertifizierungssüchtigen Bachelor in den Hochschulen schwindet weiter die Aufforderung, ein Fach im Wortsinne zu studieren.
  • Der Mainstream der „empirischen Bildungsforschung“ zeigt sich daran interessiert, die Variablen, die zu Lernergebnissen führen, zu berechnen, nicht aber die Qualität der Bildungsprozesse selbst zu erschließen. Die Forschung verspricht Steuerungswissen, für die Politik und die Praxis. Aber die Empfehlungen sind entweder zu unspezifisch oder zu sachfremd, um als handlungsleitende Perspektiven erkannt und anerkannt werden zu können. Diese „Empirische Unterrichtsforschung“ erreicht nicht die pädagogischen Probleme des Unterrichtens, sie kann so weder das dortige Geschehen erklären, noch konkret genug zeigen, wie es verbessert werden kann. Dafür sorgt sie für die schlechten Nachrichten, mit denen die Politik ihren Aktionismus rechtfertigt.

Erzwungene Reformen haben keine Chance, ihre Verbesserungsabsicht zu erfüllen, sie müssen scheitern – das zeigt der historische und internationale Vergleich mit ähnlichen Projekten. Die zunehmende Diskrepanz zwischen der Reformrhetorik und dem, was von vielen Akteuren in Schule und Hochschule als Wirklichkeit der Reform erfahren wird, diskreditiert die Reform und zerstört die Bereitschaft der Verantwortlichen, sich für die nötige Verbesserung des Bildungswesens einzusetzen. Die Debatte über die Reform und die Aufgaben des Bildungswesens leidet daran, dass es zu wenig Foren gibt, an denen nicht lediglich gepredigt wird, was werden solle, oder schlicht verdammt wird, was geschieht, in denen vielmehr in möglichst aufgeklärter sachlicher Weise diskutiert wird, was geschieht.

Die Gesellschaft will keine neue Partei und keine weitere Organisation zu Fragen des Bildungswesens schaffen. Ihr Anspruch zielt in offener Weise auf Bewegung durch Aufklärung. Dies geschieht durch Tagungen, die Veröffentlichung von Analysen und die eingreifende Formulierung von Stellungnahmen. Der Organisationsgrad der Gesellschaft bewegt sich auf dem untersten notwendigen Niveau. Der „eingetragene Verein“ wird aufgebaut durch

  • drei Vorsitzende, die jeweils aus Deutschland, Österreich und der Schweiz stammen,
  • zwei die Geschäfte des Vereins Führenden sowie einem Kassenwart und
  • einem großen Beirat von Mitgliedern, die bereit sind, die Aktivitäten der Gesellschaft tragen.

Wer Mitglied der Gesellschaft wird, kann an den zweijährlich stattfindenden zentralen Zusammenkünften stimmberechtigt teilnehmen. Er ist mit einem Mitgliedsbeitrag von 20 Euro im Verteiler, der über alle Aktivitäten der Gesellschaft informiert. Die Herausgabe von jeweiligen Tagungsbänden soll die Ergebnisse der Bemühungen nachhaltig festhalten.