Veröffentlicht am 07.09.12

Gut gemeint und nur schlecht gemacht? 10 Jahre Bologna sind genug

Ein fragwürdiges Jubiläum gibt Anlass zur Besinnung: Was hat es mit der Bologna-Reform auf sich, worum ging es dabei eigentlich und wie geht es weiter?

Die übliche Legende um den Bologna-Prozess ist schnell erzählt: 1999 hätten europäische Staaten in Bologna eine Erklärung unterzeichnet, die die Wettbewerbsfähigkeit und internationale Kompatibilität der Hochschule sichern wollte, um einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Dazu habe man mit dem BA/MA-System vergleichbare Abschlüsse geschaffen, ein Credit-Point-System eingeführt und die Studiengänge „kompetenzorientiert“ modularisiert. So sollten Studienortwechsel einfacher, Studienzeiten kürzer und Abschlüsse berufskompatibler werden.

Leider habe aber Deutschland – pedantisch wie immer – die eigentlich positiven Zielsetzung durch Bürokratisierung verdorben, weshalb es zu Studentenprotesten und Professorenkritik an überregulierten, verschulten Schmalspurstudiengängen kam, in denen „Bulimie-Lernen“ herrscht. Das könne aber durch „Nachsteuern“ in den Griff bekommen werden. Ansonsten sei die Reform aber ein voller Erfolg und ohnehin „alternativlos“.

Falscher Mythos

Diese offiziöse Mythenbildung ist in mehrfacher Hinsicht falsch:

Der Bologna-Erklärung ging es zunächst schlicht darum „die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen der europäischen Bürger ebenso wie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems zu fördern.“ Sie atmet damit einen ökonomistischen Geist, dem es grundsätzlich um Anpassung junger Menschen und der Forschung an vermeintliche wirtschaftliche Erfordernisse ging, nicht um Wissenschaft und nicht um Bildung.

Das Papier wurde zwar von einer Gruppe von Ministern und politischen Beamten unterzeichnet, hatte aber als allgemeine Absichtserklärung nie eine völkerrechtliche Verbindlichkeit: Es gab also keinerlei Verpflichtung, in diesem Sinne tätig zu werden. Aus informierten Kreisen erfährt man zudem, dass diese Erklärung das Ergebnis eines mehrtägigen Gelages war, an dessen Ende in allgemeiner Ratlosigkeit ein Vertreter der US-amerikanisch dominierten Wirtschaftsorganisation OECD das vorbereitete Papier hervorzog und zur Unterzeichnung vorschlug.

Gleichwohl wurde gerade in Deutschland die „Alternativlosigkeit“ der Reform behauptet und propagandistisch durchgesetzt. Dabei standen sich im inszenierten öffentlichen Diskurs simple Gut-Böse-Schemata von guter, fortschrittlicher Reform und schlechter, rückständiger Universität gegenüber, die in dem von Jürgen Rüttgers popularisierten Schlachtruf kumulierten: „Humboldt ist tot!“ Bologna dagegen wurde als Adaption des erfolgreichen anglo-amerikanischen BA/MA-Systems ausgegeben, obwohl frühzeitig bekannt war, dass das Bologna-System mit dem US-amerikanischen wenig zu tun hat. Im Gegenteil arbeiten gerade die erfolgreichen US-Elite-Universitäten nach dem alten Humboldt-Modell.

Die Hochschulen zu Dienstleistungsunternehmen zu machen, die sich im „Wettbewerb“ profilieren müssen, dabei Studenten als Kunden und Forschung als „Output-Indikator“ zu betrachten, wurde seitens des CHE, mit dem die Bertelsmann-Stiftung die Hochschulrektoren in den Reformprozess eingebunden hatte, mit markigen Worten als mit Blut, Schweiß und Tränen verbundene, gleichwohl unumgängliche Notwendigkeit angekündigt: „Ohne innere Konflikte und vielleicht auch ‚traumatische‘ Erfahrungen in den Hochschulen werden diese Veränderungen sicherlich nicht zu bewältigen sein. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Veränderungen erforderlich und unausweichlich sind.“ (Müller-Böling 2000, S. 30)

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