Veröffentlicht am 24.09.12

›studierbar‹

»Studierbar« — das könnte der Name eines Gastronomiebetriebs im Studentenviertel einer beliebigen Universitätsstadt sein, und Kritik wäre in diesem Fall höchstens an der Einfallslosigkeit des Wortspiels zu üben. Leider ist es hiermit nicht getan. »Studierbar« müssen Studiengänge sein, die erfolgreich aus den (Re-)Akkreditierungsverfahren hervorgehen sollen; die »Studierbarkeit« hat sogar, das heben Kultusministerkonferenz und AQAS gemeinsam hervor, zentralen Stellenwert. Studierbarkeit will die Hochschulrektorenkonferenz und Studierbarkeit wollen die im ewigen Gerundium gefangenen ›Studierenden‹, die auf ein Student-Sein im emphatischen Sinne längst verzichten lernen mussten. Studierbar also soll das Studium sein — das mag tautologisch anmuten, erwartet man von Nahrungsmitteln doch hoffnungsfroh, dass sie essbar, von Kleidungsstücken, dass sie tragbar, von Bauten, dass sie bewohnbar und von Studiengängen eben, dass sie im weitesten Sinne studierbar sein mögen. Nota bene: Es handelt sich um Minimalbestimmungen. Ernährungsvorlieben, Modetrends und Baustile künden davon, dass kulturelle Differenzierungen weit über die notwendigen Bedingungen des ›Baren‹ hinausgehen. Angesichts dessen ist anzunehmen, dass »Studierbarkeit« eine absichtsvoll lancierte rhetorische Figur darstellt, die die latente Variable der Bologna-Gleichung in Geltung setzen soll. Um dies zu vermuten, muss man kein ›Poststrukturalisierender‹ sein.

Allzu deutlich macht sich hier bemerkbar, was der Bologna-Reform eigens anhaftet: das Credo der Machbarkeit. Das Suffix »-bar« macht aus Verben Adjektive und drückt aus, dass etwas für die Verbhandlung geeignet ist (»tanzbare« Musik) oder die Verbhandlung mit bzw. durch jemanden oder etwas vollzogen werden kann. Vor diesem Hintergrund ist die Botschaft deutlich: Der Bachelorabschluss in Regelstudienzeit ist möglich, der vorgezeichnete Studienweg per Dekret sinnvoll. Kein Studiosus muss sich hierfür mehr faustisch mit den Fachinhalten einerseits und der Reflexion seines heißen Bemühns andererseits quälen; »Studierbarkeit« fungiert als Garant für die angestrebte Qualifikation und, konsequent weitergedacht in der Kausalkette der Ermöglichungen, für »employability«. Ob tatsächliches Employment — Gut und Geld sowie Ehr und Herrlichkeit der Welt — folgen, bleibt allerdings dahingestellt. Gleichwohl: Das Glück scheint greif- und herstellbar. Wer da noch »Schöne neue Bildung?« (I. Lohmann et al.) fragt und dubitativ innehält, hat den Anschluss an den ›BiWi-Express‹ schon verpasst.

Nun hat die bedachte Auswahl und Zubereitung des Stoffes im Sinne möglicher Anverwandlung die Pädagogik von jeher beschäftigt; auch ist der Streit um Kanones und Studienordnungen altbekannt. Beschneidungen waren stets nötig. Indes unterscheiden sich die Legitimationsfiguren hierfür diametral: Wo Bildung statthat, fallen künstliche Begrenzungen und blinde Flecke erst als solche auf und können überdies zum produktiven Ärgernis werden; wo Bildungswissenschaft ›abstudiert‹ wird, gefährdet der Blick über die Modulgrenzen den Erfolg des Prozesses, dem im übrigen an Modellkollegs und Fachseminaren durch die künstliche Nominalisierung pädagogischer Grundworte (»Erziehen, Unterrichten, Beraten, …« statt »Erziehung, Unterricht, Beratung, …«) schon ein deutliches dromologisches Surplus an Dynamik und Flexibilität verpasst wurde. Mit dem Hinweis auf den Unterschied von lifelong education, die vor allem egalitär und partizipatorisch konturiert sein sollte und lifelong learning, das demgegenüber vor allem auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zielt, hat L. Pongratz bereits die Angleichung ans Marktgängige diagnostiziert. Dumm nur, dass die allerorten propagierte und eifrig betriebene Passung von Marktmodell und Bildung im harmlosen Fall katachretische Effekte, im weniger harmlosen (i.e. bildungspolitischen) weitreichende Kategorienfehler erzeugt. So wenig beispielsweise Akkreditierung mit Bildung zu tun hat, so wenig kommt auch das Pädagogische vor: 2725 Bachelor- und ebensoviele Master-Studiengänge wurden allein durch AQAS schon mit entsprechenden Gütesiegeln versehen (Stand: 16.03.2012), aber selbst diejenigen, die der Sache nach mit Pädagogik befasst sein müssten, führen sie in den seltensten Fällen im Titel. Dies- und jenseits terminologischer Bereinigungen jedoch geht ein Studium in der Logik seiner Studierbarkeit ebensowenig auf wie ein Restaurantbesuch in nährwertoptimierter Nahrungsaufnahme. Das Pädagogische als unstudierbares Ferment bleibt, das Widerständige der Bildung wird weitergären. Dies als Manko zu werten wäre allerdings eines ganz sicher: bar jeder Vernunft.

(Quelle: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 1/12)