Veröffentlicht am 09.06.12

„940000 Euro Verlust. Unternehmensflop der Georgia Augusta“

„Die Universität hatte im Frühjahr 2001 als erste Hochschule in Deutschland zusammen mit Partnern aus der Wirtschaft eine eigene Wagniskapitalgesellschaft gegründet. Die mit großen Vorschusslorbeeren bedachte Innovations-Capital Göttingen GmbH (InnoCap) war allerdings alles andere als eine Erfolgsgeschichte: „Die Zielsetzung der Universität Göttingen, durch gesellschaftsrechtliches Engagement bei einer Risikokapitalgesellschaft Ausgründungen zu initiieren und damit Erträge zu erzielen, ist gescheitert“, bilanziert der Landesrechnungshof….Nach dem Geschäftsplan sollte die InnoCap jährlich vier Existenzgründungen mit einer Anschubfinanzierung unterstützen und nach einigen Jahren den Beteiligungsbesitz wieder veräußern. Dabei ging man von einer jährlichen Rendite von 26 Prozent aus. Tatsächlich blieb die geschäftliche Entwicklung nach Angaben des Landesrechnungshofes weit hinter diesen Erwartungen zurück. Bereits im zweiten Geschäftsjahr habe mangels Qualität der Bewerber kein Innovationswettbewerb mehr stattgefunden. Insgesamt habe sich die InnoCap nur an vier Unternehmen beteiligt, hiervon seien drei bereits nach wenigen Jahren in die Insolvenz gefallen…. In den zehn Jahren ihres Bestehens habe die InnoCap ausschließlich Fehlbeträge von bis zu 915 000 Euro erwirtschaftet. Für die Universität war die Beteiligung bislang ein Minusgeschäft. Bis zum Jahr 2009 zahlte sie insgesamt 940 000 Euro an die Risikokapitalgesellschaft, inzwischen hat sie diese eingesetzten Mittel in ihrer Bilanz vollständig abgeschrieben.“ (Quelle: nie (Heidi Niemann), Göttinger Tageblatt 7. Juni 2012)

Kommentar MP:

Das kommt davon. Die Blamage der Göttinger Exzellenzuniversität war vorhersehbar, denn man hat dort die alte Weisheit missachtet, die dem Schuster empfiehlt bei seinen Leisten zu bleiben. Die Leisten der Universität sind Forschung und Lehre und sonst nichts. Die Universität wird diese beiden Leisten, sprich Aufgaben, umso besser erfüllen je größer die Freiheit ist, die man ihr dabei gewährt. Das ist die immer noch gültige Einsicht der Reformer um Humboldt, die vor 200 Jahren die Universität als eine autonome Einrichtung etablierten, die zwar von Steuergeldern finanziert wurde, aber doch unabhängig sein sollte von staatlichen Zielvorgaben und wirtschaftlichen Interessen. Die Universität sollte eine gesellschaftliche Institution sein, die gerade dadurch der Gesellschaft dient, dass sie von allen äußeren Nützlichkeitserwartungen und Zwecksetzungen freigehalten wird und nur der Erkenntnis und Wahrheit verpflichtet ist.

Zur Absicherung dieser Konzeption waren die reformwilligen Intellektuellen von damals gezwungen vor allem die Übergriffe und Einflussnahmen des Staates zurückzuweisen. Von dort kam die historisch aktuelle Gefahr für die Freiheit der Forschung und Lehre. Schon Kant forderte deshalb in seiner Spätschrift von 1798 die Unabhängigkeit seiner philosophischen Fakultät „von den Befehlen der Regierenden“. Humboldt hat diese Position im Grunde nur wiederholt und bekräftigt. Nach seiner Auffassung sollte der Staat „sich eben immer bewusst bleiben, daß er immer hinderlich ist, sobald er sich einmischt, daß die Sache an sich ohne ihn unendlich besser gehen würde“. Auch wenn es damals der Staat war, der draußen gehalten werden musste, so gibt es doch nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Reformer, wenn es historisch notwendig gewesen wäre, mit der gleichen Entschiedenheit die Autonomie der Universität auch gegen die Instrumentalisierungsversuche der  Wirtschaft, wie wir sie heute erleben, verteidigt hätten. Die Universität sollte sicher sein vor jedem äußeren Eingriff oder Handlungszwang, weder nachgeordnete Behörde der Staatsregierung noch Partner der Märkte oder gar verlängerte Werkbank des ökonomischen Sektors. Schleiermacher, der radikalste Theoretiker der neuen Universitätskonzeption, dem Humboldt mehr verdankt als gemeinhin bekannt ist, hat die Einsichten der Reformer generalisiert. Für ihn konnte der Versuch einer wahrhaft wissenschaftlichen Erkenntnisweise „nur angestellt werden in der Temperatur einer völligen Freiheit des Geistes.“ Und er fährt fort: „Auch die mindeste Spur von Zwang, jede noch so leise bewußte Einwirkung einer äußeren Autorität (egal welcher MP) ist verderblich.“

Wir wissen, dass diese Idee einer autonomen, oder wie es Derrida formulierte, einer „unbedingten“ Universität und mit ihr die Idee der akademische Freiheit, also die Idee der Freiheit der Forschung und Lehre, nie wirklich realisiert wurde. Sekundäre Motive wie das Streben nach Gewinn oder Ruhm und Autoritätshörigkeit haben das eigene Erkenntnisinteresse und die autonome Wahrheitssuche ständig beeinträchtigt und korrumpiert. Es gab immer wieder Wissenschaftler, die dem Druck oder den Verführungskünsten von Staat und Wirtschaft nachgaben und schließlich bereit waren, an der Entwicklung von Giftgas etwa mitzuwirken, wie die Chemiker der Berliner-Universität im ersten Weltkrieg, oder sonstwie sich in den Dienst staatlicher Waffen- oder Ideologieproduktion zu stellen. Doch trotz dieser teilweise tragischen Abweichungen und historischen Verstrickungen, die akademische Freiheit und Autonomie blieb die regulative Idee, an der sich die Mehrheit orientierte. Und diese Orientierung war überaus erfolgreich. Sie machte die humboldtsche Universitätskonzeption nicht nur zum vielfach nachgeahmten Vorbild in der Welt, sie brachte in Deutschland fast 100 Nobelpreisträger hervor und entließ Absolventen, die als Ingenieure, Juristen, Theologen, Ökonomen, Philologen, Künstler usw. unser Land zu einer der weltweit leistungsstärksten Wirtschaftsnationen, zu einem anerkannten Rechtsstaat und zu einem kulturellen Anziehungspunkt machten.

Mit dem neoliberalen Umbau der Universität im Gefolge der Bolognaprotokolle wurde diese Erfolgsspur mutwillig verlassen. Die Universität wurde durch die Verweigerung der notwendigen Steuermittel ihrer Autonomie und Freiheit beraubt und dem wirtschaftlichen Zwängen des Marktes ausgeliefert und damit der Logik der Profitrate unterworfen. Sie musste sich nun nicht mehr nur um Forschung und Lehre kümmern, sondern als „unternehmerische Universität“ auch noch um ihre ökonomischen oder finanziellen Voraussetzungen.

Das ging in mehrfacher Hinsicht in die Hose. Dort wo die Universitäten notgedrungen versuchten durch Drittmittel ihren Etat aufzubessern, wurden sie – auch wenn sie das Gegenteil beteuerten – zwangsläufig abhängig von den privaten Interessen der Auftraggeber, und dort wo sie selbst unternehmerisch tätig wurden, produzierten sie, wie das Beispiel Göttingen zeigt, horrende Verluste.

Aber das sind nur die unmittelbaren Folgen der neoliberalen Verwandlung der Hochschule in einen Wirtschaftsbetrieb. Es gibt auch noch mittelbare: Die Notwendigkeit zur ökonomischen Selbstbehauptung bindet Personal, das anderswo fehlt; sie lässt die Kontrollbürokratie ins Unermessliche anschwellen und zerstört jede Art von wissenschaftlich produktivem Austausch. Durch die gewollte Konkurrenz um die ökonomischen Ressourcen und die damit verbundene kooperationsfeindliche Hierarchisierung und schließlich Spaltung des wissenschaftlichen Personals  in die Besserverdienenden und das akademische Prekariat (vgl. auch hier) wurde die „scientific community“, jene wissenschaftliche Erkenntnisgemeinschaft, in der nicht das Alter oder der Status, sondern nur die Kraft des besseren Argumentes Geltung haben sollte, zerstört. Von einer gleichberechtigten „dialogischen Erkenntnisweise“, in der sich nach Schleiermacher die Forderung nach „Einheit von Forschung und Lehre“ erfüllt, ist in der „unternehmerischen Universität“ mit ihrer betriebswirtschaftlichen Top-Down-Gesinnung nichts mehr übrig geblieben: Lehre und Forschung fallen jetzt auseinander. Die universitäre Lehre sieht sich auf den Pauk- und Diktatbetrieb der utilitaristischen Universität des 18. Jahrhunderts zurückgeworfen und erschöpft sich im Training der Merkfähigkeit. In der Forschung wiederum scheint es als häuften sich, wie wir es aus der Wirtschaft kennen, Korruption (vgl. auch hier) und Betrug (vgl. auch hier und hier).