Veröffentlicht am 08.07.11

„Wie die Pharmaindustrie die Forschung kauft“

„Der Politikpsychologe Thomas Kliche untersucht die verdeckten Methoden der Korruption in der Gesundheitsforschung durch die Industrie. Beide Seiten wüssten, wie das Spiel laufe, sagt der Wissenschaftler, ‚offiziell und unterhalb der Kriminalitätsgrenze’.“

Kliche: „…Auch in Deutschland fließen da immer noch Hunderttausende bis Millionen in sehr viele Institute, die zu einem großen Teil inzwischen von Drittmitteln abhängig sind. Sie müssen sich klar machen: Da gibt es an deutschen Uniklinika Institute, die hängen zu drei Vierteln von den Drittmitteln ab, das heißt: Die Existenz, die Arbeitsplätze, die Karrieren der jungen Kolleginnen und Kollegen sind unmittelbar davon abhängig, dass irgendein Auftraggeber sagt, ihr kriegt Geld von mir und dann macht ihr was für mich. Und der Mechanismus funktioniert im Einzelnen so: Da werden nicht alle Studien gefälscht, aber es werden Daten mal weggelassen, es werden Daten mal weniger deutlich veröffentlicht. Tatsächlich kann man international zeigen: Die Bereitschaft, positive Ergebnisse zu bringen, ist bei Studien, die von der Industrie bezahlt werden, deutlich höher als bei anderen Studien. Und das beeinflusst inzwischen die Forschungslagen in ganzen Feldern, Beispiel Antidepressiva…“ (Quelle: Thomas Kliche, Politpsychologe, in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur, 06.07.2011)

Kommentar MP

Angesichts der zunehmenden Zahl von Meldungen über den verzerrenden Einfluss der Privatwirtschaft auf Forschung und Forschungsergebnisse sollte man nicht vergessen, wo die Ursachen für die verhängnisvolle Entwicklung liegen: Sie liegen in einer neoliberalen Politik, die unterstützt von einer liebedienerischen Mainstream-Presse seit Jahrzehnten erfolgreich dabei ist, die staatlichen Leistungen für unser Gemeinwesen zurückzufahren und den jeweils stärksten Privatkräften auf dem Markt das Feld zu überlassen. (Stichworte: Deregulierung, schlanker Staat, Privatisierung, Senkung des Spitzensteuersatzes, Sparbeschlüsse usw.). Allein in den Jahren von 1999 bis 2008, also weitgehend in der Zeit der Rot/Grünen Regierung, sank die sogenannte „Staatsquote“, d.i. der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, von 48,1% auf 43,8%. Das macht sich natürlich bemerkbar in den sinkenden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und in den unzureichenden Investitionen in die öffentlichen Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Die Universitäten sind bekanntlich permanent unterfinanziert. Unter diesen Voraussetzungen wird verständlich, warum Forscher bereit sind, ihre Untersuchungen zugunsten ihrer privaten Finanziers zu retuschieren. Die Freiheit der Forschung jedenfalls scheint in vielen Bereichen ein Ideal der Vergangenheit.