Veröffentlicht am 09.03.17

Verkümmert das selbständige Denken?

Hans Peter Klein im Interview mit Frank Dirk von UniReport der Goethe Universität Frankfurt

 

Prof. Hans Peter Klein übt in seinem neuen Buch »Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen« Kritik an der Kompetenzorientierung

UniReport: Herr Prof. Klein, ab 2017 wird es in den Fächern Mathematik und mit Einschränkung in Deutsch, Englisch und Französisch eine Art von Zentralabitur geben – ist doch eigentlich eine gute Nachricht, endlich werden die Abiturleistungen in den Bundesländern vergleichbar(er).

Hans Peter Klein: Das Ganze ist nichts anderes als ein großer Bluff. Zwei Drittel der Gesamtabiturnote entstammt den beiden letzten Jahren der Qualifikationsphase und nur ein Drittel aus den Abiturprüfungen selbst. Die schriftlichen Zentralabiturprüfungen machen davon wieder nur einen gewissen Teil aus, da ja zusätzlich im Abitur noch Prüfungen in einem oder zwei mündlichen Fächern zu absolvieren sind. In einem Testvorlauf von 2013 bis 2016 hatten sich sechs Bundesländer bereit erklärt, jeweils eine gemeinsame Teilaufgabe von vielen weiteren Teilaufgaben in den oben genannten Fächern (außer Französisch) ihren Schülern vorzulegen. Im Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) wurde ein Aufgabenpool entwickelt, in den die einzelnen Bundesländer ihre Vorschläge einreichen konnten, die dann von einem Expertenteam begutachtet, bearbeitet oder modifiziert wurden. Jedes Bundesland kann sich 2017 je nach seinem Gusto aus diesem Aufgabenpool bedienen, auch an seinen eigenen modifizierten Vorschlägen. Bezüglich der prozentualen Gewichtung muss man berücksichtigen, dass die Schüler drei verschiedene Aufgabenfelder abdecken müssen und geschätzte 80 % der möglichen Fächer derzeit gar nicht im Aufgabenpool enthalten sind. Der Anteil an der Gesamtabiturnote liegt nach unseren Berechnungen irgendwo zwischen 1 % und 2 %. Ein angefragtes Ministerium bestätigte diese Einschätzung, der Anteil sei rudimentär. Es ginge vielmehr um die normierende Wirkung der Pool- Aufgaben auf die einzelnen Bundesländer und den Unterricht selbst. Das betrachte ich als den Super – gau schlechthin, denn jetzt werden Länder wie Mecklenburg-Vorpommern, die nach unseren Analysen noch fachlich anspruchsvolle Zentralabituraufgaben mit vom Schüler einzubringendem Fachwissen eingesetzt hatten, dazu gezwungen, das mehr als fragwürdige PISA-Lesekompetenzkonzept der Psychometriker zu übernehmen, das damit normativ in Kürze auch in den Unterricht einziehen wird, ob die Lehrer es nun wollen oder nicht.

 

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Zum Thema: Hans Peter Klein (2016): Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen. Das deutsche Bildungswesen im Kompetenztaumel