Veröffentlicht am 17.07.16

Bologna-Prozess: „Überbürokratisiertes Monster“

Die Hochschulrektoren und Kultusminister haben am 10.11. 2015  bzw. 8. Juli 2016 ein Arbeitspapier verabschiedet, mit dem sie die Studienreform, die als „Bologna-Prozess“ bekannt ist, nachbessern wollen. Zwar ist das Scheitern der Reform bekannt: Weder wurden die Studienzeiten verkürzt noch können Studierende leichter zwischen Hochschulen wechseln, im Gegenteil. Die Überspezialisierung der Studiengänge (gefordert unter dem Verdikt des „Alleinstellungsmerkmals“ bei der erzwungenen Akkreditierung) verhindert oft sogar den Wechsel innerhalb einer Hochschule oder Universität. Das ECTS-System, mit dem Studienleistungen rein bürokratisch in Zeitstunden abgerechnet werden sollen (als käme es auf die quantitative Dauer der Auseinandersetzung mit einem Thema an und nicht auf Verständnis und Erkenntnis) ist eine ebenso absurde Konstruktion wie die Modularisierung von Inhalten, als gäbe es keine Fachlogik, die Curricula zugrunde liegen muss und den Aufbau und die Struktur von Studiengängen per se vorgibt. Aber eine bürokratische Standardisierung von Studiengängen kann sich schließlich nicht mit konkreten Inhalte und spezifischen Wissenschaftskulturen beschäftigen.

Anstatt also nach dem Scheitern das Bachelor-/Master-Konstrukt in Frage zu stellen und zu sinnvollen Strukturen (zurück) zu kommen, die es übrigens in den ältesten Fakultäten (Medizin, Jura und katholische Theologie sowie den deutlich jüngeren Lehramtsstudiengängen sowie Pharmazie mit erstem und zweitem Staatsexamen) immer noch gibt, wird ein „überbürokratisiertes Monster“ weiter gefüttert. Und es wird noch schlimmer: Statt zu einem grundständigen Studium in den ersten Semestern und einer frei wählbaren Vertiefung im Hauptstudium mit Abschluss Diplom oder Magister zurück zu finden (und eine ergänzende Umrechnung in BA/MA-Strukturen zur Vergleichbarkeit für das Ausland) anzubieten, sollen jetzt anstelle der Fachinhalte auch für die Studienmodule „Kompetenzen“ als Lehr- und Lernziele formuliert werden. Die bereits exekutierte Kompetenzorientierung an Schulen führt bekanntermaßen zur inhaltlichen Entleerung der Fächer –  und soll als Modell auf Hochschulen übertragen werden?

Im Interview mit dem Deustchlandfunk sieht Mathias Brodkorb, Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern, daher in diesem Arbeitspapier keine Verbesserung, sondern eine weitere Verschlimmerung. Immerhin, das gibt er allen Beteiligten mit auf den Weg: Derlei Beschlüsse von HRK und KMK seien nicht bindend. Daher könnten die Ministerien der Länder und die Kollegien vor Ort durch mehr Großzügigkeit in der Abschlussanerkennung selbst Lösungen entwickeln und so ein Stück Autonomie zurückgewinnen.

Der Link zum Interview: Bologna-Prozess: „Überbürokratisiertes Monster

Siehe auch: Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz vom 10.11.2015 sowie der Kultusministerkonferenz vom 08.07.2016 (PDF ) Gemeinsame Erklärüng von KMK und HRK Europäische Studienreform

Zur Kompetenzorientierung siehe exemplarisch:

Stefan Kühl: Die Trivialisierung der Studierenden

Volker Ladenthin: Kompetenzorientierung als Indiz pädagogischer Orientierungslosigkeit

Peter Euler: 10 Thesen zur Debatte um kompetenzorientierte Bildungsstandards

Ralf Lankau: Inkompetenzkompensationskompetenz