Veröffentlicht am 13.02.24

Zur Diskussion des Moratoriums der Digitalisierung in KITAs und Schulen

Zur Diskussion des Moratoriums der Digitalisierung in KITAs und Schulen

Auf der Website der Gesellschaft für Bildung und Wissen ist eine Forderung nach einem Moratorium der Digitalisierung in KITAs und Schulen formuliert1. Aktueller Anlass dieser Forderung dürfte die Entscheidung der schwedischen Regierung sein, den Tablet-Einsatz in Schulen der Primarstufe zu stoppen. Hintergrund sind Ergebnisse, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Karolinska-Instituts vorgelegt haben. Danach gibt es keine belastbaren Belege für positive Effekte der Nutzung digitaler Geräte in KITAs und Schulen auf die Bildung und die Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler(jedenfalls nicht hinsichtlich der Jahrgansstufen 1 – 6, auf die sich das Moratorium ausschließlich bezieht); zugleich wird auf die negativen gesundheitlichen Folgen ihres Einsatzes für Kinder und Jugendliche hingewiesen. Diesen Befund haben nun 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Anlass genommen, zunächst eine Diskussion anzumahnen, die eine fundierte Folgeabschätzung digitaler Technologien im Unterricht zum Ziel hat, was die Fürsorgepflicht für schutzbefohlene Kinder und Jugendlich gebiete.

Auf diese Positionierung hat Hans-Jürgen Elschenbroich (E.), Mathematiker und Informatiker, im journal des Verbandes zur Förderung des Mint-Unterrichtes (MNU) in der Rubrik „MNU-Standpunkt“ reagiert.2 Die Chance, die im Moratorium vorgeschlagene Debatte im Interesse und zum Nutzen der Heranwachsenden rational zu führen, hat er dabei liegenlassen. Ich möchte das Urteil an drei ausgewählten Aspekten begründen.

1) Rhetorische Strategie

E.s Einlassungen sind durchgängig rhetorisch. Das beginnt mit dem Hinweis darauf, dass die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Moratoriums „in ihrem Bereich renommierte Wissenschaftler/innen“ (6) seien, prüft diesen Gedanken aber nicht weiter auf mögliche Konsequenzen für eine sachorientierte Argumentation, lässt ihn vielmehr unausgeführt. Im Kontext der Gesamtstrategie kann nur gemeint sein: Diese „Wissenschaftler/innen“ sind zwar ausgewiesen auf ihrem jeweiligen Gebiet, besitzen aber keine Legitimation in die Diskussion um die Digitalisierung der Schulen einzugreifen. Dem wird man entgegenhalten müssen, dass Vertreterinnen und Vertreter u. a. der Kinder- und Jugendmedizin, der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychiatrie, der Neurobiologie, des Fachgebietes der schulischen Gesundheitsförderung weit mehr berufen sind, ein verlässliches Urteil im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen abzugeben als der Mathematiker und Informatiker.

E. hält den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des Moratoriums unlauteres Argumentieren vor. Sein Vorwurf lautet im Kern, dass sie Allgemeinplätze so formulierten, dass man ihnen die Zustimmung nicht verweigern könne, und daraus dann Argumente ableiteten, die tatsächlich keine seien. Bemerkenswerterweise bedient er sich selbst jedoch genau der strategischen Taktik, die er der Gegenseite vorhält: sich der Sachargumentation zu entziehen und die Auseinandersetzung auf sachfremde Aspekte zu verlagern.

2) Argumentative Stringenz bzw. fragwürdige Logik

Es überrascht, sich ausgerechnet von einem Mathematiker mit so viel Pseudologik konfrontiert zu sehen. So lautet eine Figur: Digitalisierung im Verein mit (über)langen Bildschirmzeiten sind ein Problem. Digitalisierung im Verein mit (über)langen Bildschirmzeiten sind (i. W.) ein Problem der Eltern / Familien. Also sind Digitalisierung im Verein mit (über)langen Bildschirmzeiten kein Problem der Schulen. Was ist das für eine Logik?

Ein weiteres Beispiel: Digitalisierung des Unterrichts und der Schulen ist gut (weil begrüßenswert und erforderlich). Die Digitalisierung des Unterrichts und der Schulen bleibt bislang die verheißenen Erfolge schuldig. Also liegt das Problem “doch nicht in erfolgter Digitalisierung, sondern in fehlender und schlecht organisierter Digitalisierung der Schulen und fehlender Qualifizierung der Lehrkräfte.“ (6) Was ist das für eine Logik? Aus einer nicht beglaubigten Prämisse ohne jede Evidenz lässt sich nichts bzw. nur Beliebiges folgern.

Einer vergleichbar schiefen Argumentationsfigur begegnet man auch sonst allenthalben, wenn es um die Rechtfertigung der Digitaltechnik in Schulen geht. Treten die versprochenen Effekte nicht ein, liegt es nicht an der Digitaltechnik, sondern daran, dass die Technik an sich zwar über den Zweifel erhaben ist, nur eben noch nicht ausgereift (zu geringe Rechenleistung und dgl.)

3) Ungenaue Lektüre der Bezugstexte

Gleich im Eingangsabsatz behauptet E., die „renommierte[n] Wissenschaftler/innen“ (6) sagten: „Digitale Bildung schadet Kindern“. Das angebliche Zitat findet sich so an keiner Stelle im Text und unterstellt eine gar nicht verfolgte Intention. Das ist unseriös.

An Ralf Lankau richtet E. die Kritik, mit seinem Buch „Kein Mensch lernt digital“3 „eine sehr geschickte Nebelkerze“ (6) geworfen zu haben, da man darin mehr oder weniger vergeblich nach „Ausführungen zu Schule und Unterricht“ (6) suche. Man reibt sich die Augen. E. muss ein anderes Buch gelesen haben. Redlich sind solche Unterstellungen nicht. Selbst eine oberflächliche Lektüre von Lankaus Buch hätte E. eines Besseren belehren müssen.

Als Nebenstrang „in der Argumentation der Moratoriums-Wissenschaftler/Innen“ (7) führt E. die vermeintliche Kapitalismuskritik des Moratoriums an und bezieht sich dabei auf die Thematisierung wirtschaftlicher Interessen der IT-Anbieter. Es geht im Moratorium an keiner Stelle um Kapitalismuskritik. Zum einen steht außer Frage, dass IT-Konzerne zu den großen Profiteuren der Digitalisierung im Bildungswesen gehören. Und da ist die Frage nur legitim, warum unsere Kinder für die Gewinne von IT-Konzernen herhalten sollen, wenn für sie selbst kein Nutzen nachgewiesen ist. Daraus auf Kapitalismuskritik zu schließen, ist abseitig. Zum anderen konsterniert einmal mehr die fehlerhafte Logik. Um aus dem Einzelmerkmal (wirtschaftliche Interessen der IT-Anbieter), das Bestandteil nicht nur jeder möglichen Kapitalismuskritik sein könnte, auf Kapitalismuskritik als solche schließen zu können, müsste dieses Einzelmerkmal zugleich notwendige und hinreichende Bedingung dieser Kritik sein, was erkennbar nicht der Fall ist. Dies sollte dem Mathematiker eigentlich bekannt sein.

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Moratoriums plädieren engagiert dafür, im Interesse des Wohles von Kindern und Jugendlichen eine breit aufgestellte, von Verantwortung geprägte Debatte über die Möglichkeiten und Gefährdungen der Digitalisierung von Unterricht und Schulen zu führen. Einen seriösen Beitrag bieten Elschenbroichs Gedanken dazu nicht. Hier wurde eine echte Chance zum Dialog vertan – schade.

1) Wissenschaftler fordern Moratorium der Digitalisierung in KITAs und Schulen.

https://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/wissenschaftler-fordern-moratorium-der-digitalisierung-in-kitas-und-schulen.html.

2) Hans-Jürgen Elschenbroich: Gedanken zum Moratorium Digitale Bildung, in: MNU journal, Jahrgang 77, 01, 2024, 6 – 7.

3) Ralf Lankau: Kein Mensch lernt digital. Über den sinnvollen Einsatz neuer Medien im Unterricht, Weinheim, Basel 2017.