Veröffentlicht am 03.09.12

„Viele Studenten, wenig Lehrlinge – Akademiker werden zum Problem“

„Immer mehr junge Leute wollen studieren. An den Universitäten tummelten sich 2010 2,22 Millionen Studierende. Die Folge davon: den Industriebetrieben, Handwerkern und Dienstleistungsfirmen gehen die Lehrlinge aus.“ Berliner Zeitung vom 30.08.2012

„Steigende Studentenzahlen stellen aus Sicht von Arbeitsmarktexperten eine Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft dar. Die seit Jahren anwachsenden Akademikerquoten verschärften den ohnehin zunehmenden Mangel an Lehrstellenbewerbern, sagte der Bremer Bildungsexperte Felix Rauner der MZ. Deutschland verdanke seine „Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der breit gefächerten und qualitativ hochwertigen Facharbeiter- und Meisterausbildung“, sagte er. Die von Politikern geäußerte Forderung nach mehr Hochschulabsolventen sei weder bildungs- noch wirtschaftspolitisch begründbar. Der Bedarf an Akademikern liege bei 20 Prozent eines Jahrgangs. Derzeit verfügen allerdings bereits 25 Prozent der 25- bis 34-Jährigen über einen Hochschulabschluss.“ Mitteldeutsche Zeitung vom 29.08.2012

Kommentar (Jochen Krautz):

Nun zerschellt auch die bildungsökonomische Kernthese, mit der die OECD seit Jahren ihre Reformvorgaben durchsetzt, an der Realität:

Sämtliche Bildungsreformen seit PISA und Bologna wurden und werden mit dem gleichen Mantra begründet: Da wir in der „Wissensgesellschaft“ lebten, seien mehr akademische Abschlüsse nötig, um das Individual- und Volksvermögen zu mehren. Statistiken belegten, dass, wer einen Hochschulabschluss hat, mehr verdient, als jemand mit Berufsausbildung. Demgemäß propagiert die OECD seit Jahren die abenteuerliche Forderung nach einer Akademikerquote von 40%, die von allen Bundesländern adaptiert und angestrebt wurde.

Die Folgen sind bekannt: Notwendigerweise musste die Inflation von Gymnasial- und Hochschulabschlüssen zur Nivellierung von tatsächlichem Wissen und Können führen. Zwar haben nun alle imponierende Zeugnisse, die aber immer weniger mehr wert sind, weil sie durch Noteninflation, „Entrümpelung der Lehrpläne“, Kompetenzorientierung etc. erkauft wurden. Und die Bereitschaft zu einer beruflichen Ausbildung sank: Dass auch in der „Wissensgesellschaft“ immer noch etwas gekonnt und getan werden muss, wurde leider übersehen.

Dabei konnte jedermann mit gesundem Menschenverstand die Absurdität dieser Humankapitalthese einsehen. Doch der von der neoliberalen Lehre der Chicago School geprägte wirtschaftswissenschaftliche Mainstream wurde mittels ausgefeilter Propaganda und Lobbyarbeit seitens OECD, Bertelsmann-Stiftung und anderen nicht nur der Politik, sondern auch den Wirtschaftsverbänden selbst als letzte Wahrheit verkauft. Absurderweise haben damit gerade die großen Wirtschaftsverbände mit ihren Konzepten selbst dazu beigetragen, die Schäden zu forcieren, die nun beklagt werden.

Nun mahnen Wortmeldungen aus Wissenschaft und Wirtschaft den eklatanten Mangel an qualifizierten Facharbeitern an, die DIE tragende Säule der deutschen Wirtschaft ausmachen. Statt dessen hätte man hohe Zahlen an schwach qualifizierten Hochschulabsolventen, die die deutsche Wirtschaft gar nicht braucht. Die Wirtschaftskraft Deutschlands sei dadurch massiv gefährdet. Und: Die USA kennen das Ganze seit 50 Jahren, denn sie haben mit dem gleichen Unsinn bereits ihre eigene Wirtschaft ruiniert.

Es zeichnet sich immer deutlicher ab: Die auf Betreiben der USA von der OECD international exportierte bildungsökonomische Theorie und deren mit der PISA-Studie durchgesetzten bildungspolitischen Folgen sind ein wirksames Programm zur Schwächung der europäischen Wirtschaft. Denn soviel stimmt ja: Wirtschaftskraft hängt vom Bildungsstand ab. Nur wird der immer schlechter und das gerade im traditionell starken Deutschland.

Es ist also an der Zeit, die Dinge zuende zu denken und beim Namen zu nennen: Wer gezielt per nicht legitimiertem Einfluss über internationale Organisationen und Lobbyarbeit andere Kulturen und deren Bildungstradition und damit auch ihre Volkswirtschaften schwächt, betreibt kulturell-ökonomische Kriegsführung. Wenn nun klarer wird, was in der Bildungsfrage wirklich gespielt wird, kann bei Bürgern, Politikern, der Wirtschaft und den am Bildungswesen Beteiligten die notwendige Entschlossenheit wachsen, den bildungspolitischen und pädagogischen Unsinn endlich zu beenden.

Zu den hier skizzierten Hintergründen: Wozu  Bildungsökonomie?