Veröffentlicht am 17.07.11

„Künstliche Inszenierung. Über Wettbewerbe in Forschung und Lehre“

„’Wettbewerb‘ war in den letzten Jahren bis hin zur Exzellenzinitiative mit ihrem kompetitiven Charakter das Mantra in Hochschul- und Wissenschaftspolitik. War und ist das für die Wissenschaft angemessen? Oder geht es dabei eher um ein großes Spektakel? Eine Kritik.“ (Quelle: Mathias Binswanger, in: Forschung und Lehre 07.07.2011)

Kommentar MP:

Wir verweisen gern auf diesen Artikel, auf den uns ein Leser aufmerksam gemacht hat. Der Autor Mathias Binswanger deckt ziemlich schonungslos den Unsinn auf, der mit künstlich inszenierten Wettbewerben in Forschung und Lehre angerichtet wird. Auf der Suche nach dem Verursacher für diesen neuen künstlich entfachten Wettbewerbswahn, der nur noch Kennziffern und Rankingpositionen kennt und eine Bürokratie nach sich zieht, die alles Bisherige in den Schatten stellt, stößt der Autor vor allem auf den Staat, der „seine Zurückhaltung gegenüber den Universitäten aufgegeben“ habe. So seien „aus einst stolzen Bastionen unabhängigen Denkens Umsetzungs- und Ausführungsorgane staatlicher Programme und Initiativen geworden.“ Das ist wohl richtig. Aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Deshalb zwei Bemerkungen:

1. Erstens hat der Staat nicht nur seine „Zurückhaltung“ gegenüber den Universitäten aufgegeben, sondern auch seine Zuwendung. Seit dem sogenannten Öffnungsbeschluß von 1977 wurden die wachsenden Studentenzahlen nicht mehr durch einen entsprechenden Zuwachs an staatlichen Mitteln kompensiert. Die Folge war eine permanente Unterfinanzierung der Universitäten, die in den 90er Jahren schließlich eine Situation entstehen ließ, die es den neoliberalen Herolden erlaubte, die vorgefundene Universität und mit ihr gleich das Humboldtsche Universitätsideal für „verrottet“ zu erklären und sturmreif zu schießen. Aus dem mehr oder weniger absichtsvoll herbeigeführten Niedergang der öffentlichen Universitäten sollte nun, wie Phönix aus der Asche, der Wettbewerb, der „freie“ natürlich, dieses Allheilmittel des Neoliberalismus, wieder herausführen. Er galt im Grunde als das einzig brauchbare Werkzeug, das die rationale und leistungsgerechte Verteilung der weiterhin knappen Mittel garantieren konnte. Weil es in der akademischen Welt aber keinen Markt gibt, musste der Wettbewerb mit Hilfe diverser Anreizsysteme simuliert werden, und zwar auf allen Ebenen, zwischen den Universitäten, aber auch zwischen den Fakultäten, Fachbereichen und den einzelnen Wissenschaftlern. Die gesamte bis dahin noch unabhängige Wissenschaft wurde gezwungen einen Großteil ihrer Kräfte für die Selbstbehauptung auf einem Pseudomarkt zu vergeuden, sei es im „Exzellenzwettbewerb“ zwischen den Universitäten, sei es im täglichen Kampf um die sogenannte „leistungsorientierte Mittelvergabe“ innerhalb der Universitäten. Das Ergebnis dieser Wettbewerbssimulation ist die von Richard Münch in seinem Klassiker der Bolognakritik (Richard Münch:  Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz., Frankfurt am Main 2007) beschriebene Hierarchisierung des gesamten universitären Kosmos. Auf wundersame Weise fließen die Mittel nämlich immer wieder dahin, wo schon welche sind. Wer hat, dem wird gegeben, mit den entsprechenden Nachteilen für die anderen. Denn was der eine mehr erhält, bekommt der andere weniger. Man kann auch sagen: wer das Geld braucht, weil er zu wenig hat, bekommt auch keines, und wer es nicht braucht, weil er schon welches hat, bekommt noch mehr. Es gilt die Devise: „Winner takes all“. Die ironische Konsequenz dieser neoliberalen „Leuchtturmideologie“, die eine zeitlang auf jeder Talkshow gepredigt und vom Wissenschaftsrat als „Differenzierungsparadigma“ verkauft wurde, ist allerdings die Abschaffung des Wettbewerbs.

2. Zweitens werden die Wettbewerbsimulationen ja nicht nur von staatlicher Seite ausgerichtet. Das Hochschulranking, das das 1994 von der Bertelmannsstiftung im Verbund mit der Hochschulrektorenkonferenz gegründete Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) veranstaltet, wird ja nicht staatlich, sondern privatwirtschaftlich organisiert. Die ganze absurde Inszenierung wird von der Bertelsmannstiftung finanziert und von dem bürgerlich-liberalen Flagschiff des Holzbrinck-Verlages der ZEIT mit viel Aufwand publizistisch unterstützt. Das Paradoxe an diesem von privaten Interessen simulierten Wettbewerb zwischen den Universitäten, dessen Ergebnis sich dann im regelmäßigen Hochschulranking niederschlägt, besteht darin, dass alle Daten, die für das private Ranking nötig sind, von den öffentlichen Opfern selbst bereitgestellt werden. Inzwischen muß das CHE und mit ihm die von der Familie Mohn kontrollierte Bertelsmannstiftung eine derartige Menge von Daten über den internen Zustand und die Entwicklung der öffentlichen Universitäten besitzen, dass jede Forschungs- und Bildungsministerin auf Bundes- wie auf Landesebene vor Neid nur erblassen kann. Der Verdacht, dass diese Daten nicht nur aus philanthropischen Motiven, die die Bertelsmannstiftung gerne für sich reklamiert, gesammelt werden, sondern ihren Besitzern früher oder später auch ökonomisch Nutzen bringen sollen, ist schwer von der Hand zu weisen. Der jährliche ZEIT-Studienführer jedenfalls, der auf den CHE erhobenen Daten basiert, ist trotz erwiesener Unbrauchbarkeit bei der Uniwahl (Stichwort: Zulassungschaos) offenbar jetzt schon ein blendendes Geschäft.

In jedem Fall muß man dem Fazit von Binswanger zustimmen: „Schluss mit diesen künstlichen Wettbewerben.“