Veröffentlicht am 30.03.12

Arm und Reich in Deutschland

In einem öffentlichen Vortrag den der Soziologe Michael Hartmann im Rahmen der Juniorakademie im Gymnasium von Achern  gehalten hat, beschreibt er unter dem Titel „Arm und Reich in Deutschland“ einen gesellschaftlichen Skandal und läßt dessen bildungspolitische Relevanz hervortreten.

Der Vortrag wurde in der Reihe „SWR2 Aula“ am 23.03.2012 gesendet und kann als Mitschnitt in der Mediathak der ARD angehört und heruntergeladen werden.

Kommentar MP:

„Arm und Reich in Deutschland“ ist kein Thema, von dem man sagen könnte, daß es im Zentrum pädagogischer Debatten steht. Aber es ist, wie der Sozialwissenschaftler von der TU Darmstadt Michael Hartmann nahelegt, von höchster bildungspolitischer Relevanz. In seinem Vortrag beschreibt er die dramatischen Folgen, die das rasant wachsende Wohlstandgefälle und die rasant wachsenden Einkommensunterschiede für die Bildung und damit auch für den Zusammenhalt und den sozialen Frieden in unsere Gesellschaft bedeuten könnten.

So erfährt man z.B., daß binnen 10 Jahren von 2000 bis 2010 ca. 3 ½ Millionen Menschen aus den mittleren Einkommensmittelschichten in die unterste Einkommensgruppe abgerutscht sind, davon die meisten in den Jahren 2000 bis 2006, also in der rot/grünen Regierungszeit von Schröder und Fischer, der Hochzeit der neoliberalen Bildungs- und Sozialreformen. In diesen 6 Jahren ist entsprechend auch die allgemeine Armutsquote überdurchschnittlich gestiegen. 4/5 der Steigerung dieser Quote in den letzten 10 Jahren fallen in die Zeit der Schröder-Fischer Regierung. Heute liegt die Armutsquote bei etwa 15%. Das hat natürlich Konsequenzen nicht nur für die Lebenserwartung und den Gesundheitszustand, sondern eben auch für die Bildung der Heranwachsenden aus diesen Schichten. Statistische Untersuchungen zeigen nach Hartmann, „daß auch bei gleichen intellektuellen Voraussetzungen Armut sich eindeutig auf Bildungskarrieren auswirkt.“ Was ja nicht verwundert in einer Gesellschaft, in der Bildung zur Ware denaturiert ist und zunehmend privat bezahlt werden muß. Für ein ausreichende Ausstattung des öffentlichen Bildungssystem fehlt in der Ära des Neoliberalismus halt das Geld. Die Unis sind chronisch unterfinanziert und an den Schulen schimmeln die Wände. Dabei gibt es eine einfache Lösung. Michael Hartmann beschreibt sie direkt und ohne Umschweife . Man muß sich das für die öffentliche Bildung nötige Geld dort holen, wo es ist: bei den Reichen und Superreichen. Sie wurden durch die Senkungen des Spitzensteuersatzes, die Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen (die Großtat von Finanzminister Eichel, SPD, die selbst die Unternehmen überrascht hat), die Umstellung der Zins- und Dividendenbesteuerung auf Quellensteuer und die extreme Senkung, ja z.T. Abschaffung der Erbschaftssteuer in den letzten zehn Jahren über die Maßen entlastet und müssen jetzt wieder für die Entwicklung und die Wohlfahrt unseres Gemeinwesen herangezogen werden. Daß dies nicht in Form von freiwilligen Abgaben geschehen kann, wie es der Traumtänzer Sloterdijk vorschlägt, hat die Geschichte gezeigt. Die angemessene Beteiligung der Reichen an der Erhaltung und Weiterentwicklung des Gemeinwesens kommt nur zustande, wenn sie gesetzlich, d.h. bei uns: demokratisch, erzwungen wird. Die Reichen und Superreichen werden dadurch nicht arm. Hartmann referiert die aktuellen Zahlen: Nach einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) besitzt das obere 1 Prozent der Bevölkerung (alles Milliardäre und Multimillionäre) in Deutschland 35,8 Prozent des Gesamtvermögens. Das ist so viel, daß ein Bruchteil davon ausreicht, die Rückstände der letzten technokratischen Reform zu verschrotten und das ganze Bildungssystem von unten her zu sanieren.

Wenn dies nicht passiert und es noch zehn Jahre so weiter geht wie bisher, sieht Hartman Entwicklungen auf uns zukommen, deren Resultate wir jetzt schon in Amerika oder England beobachten können: Zunehmende räumliche Separation der Armen und Reichen in jeweils eigene Quartiere, also Ghettobildung, trotz der demographischen Entwicklung wachsende Perspektivlosigkeit bei vielen Jugendlichen und steigende Kriminalität. Irgendwann wird das wie bei den Jugendaufständen in England, den sogenannten riots, und – ein paar Jahre früher – in den Banlieus von Paris, in Gewalt umschlagen: Auch in Deutschland wird es dann zu brennenden Häusern, Plünderungen und Straßenkämpfen kommen. Wo das endet, zeigt die Situation in den USA. In diesem Land, das mehr oder weniger explizit zum Vorbild für unsere Bildungspolitiker geworden ist, wird inzwischen an der Bildung gespart, „damit man die Gefängnisse bezahlen kann.“ In Kalifornien hat sich binnen zehn Jahren das Verhältnis der Kosten für Gefängnisse und für Hochschulen umgedreht. Dort wird für Gefängnisse eineinhalb mal so viel ausgegeben wie für Hochschulen. In den gesamten USA sind seit 1980 die Kosten für die Gefängnisse um das sechsfache gestiegen, die Kosten für die Bildung nur um das 1,2 fache.