Veröffentlicht am 17.03.19

Das Hochschul-Rolle-Rückwärts-Gesetz – eine Novelle ohne Augenmaß

Beschnittene Mitbestimmung, fehlende Transparenz, Abschaffung des Kodex für Gute Arbeit und gruseliges Verantwortungswirrwarr

Ein Kommentar von Monika Reusmann

 

In erster Lesung des Gesetzes zur Änderung des Hochschulgesetzes Ende Januar 2019 vor dem NRW-Landtag wurde deutlich, dass Ministerin Pfeiffer-Poensgen (Ministeriums für Kultur und Wissenschaft MKW) ihre Idee einer privatisierten Hochschullandschaft NRW durchsetzen möchte. Folgende Themenbereiche zeigen stellvertretend, mit wie wenig Augenmaß die Ministerin dabei vorgeht.

Beschnittene Mitbestimmung: Während Ministerin Pfeiffer-Poensgen gemeinsam mit Minister Pinkwart 25 Millionen Euro für den Aufbau der Geschäftsstelle KI.NRW zur Förderung der Künstlichen Intelligenz auslobt, sollen die demokratischen Mitbestimmungsgremien der natürlichen Intelligenz ‚Studentenschaft‘ an vielen Stellen in der Novelle beschnitten werden. Auch sollen die Hochschulräte nun die oberste Dienstbehörde der verbeamteten und angestellten Mitarbeiter bilden. Die Hochschulräte werden häufig mit hochschulexternen Personen aus der Wirtschaft besetzt, die sich viermal im Jahr treffen, um der Universität oder Hochschule eine strategische Ausrichtung zu geben. Ob und wie dieser Vorstandsposten befähigt (beamtenrechtliche) Entscheidungen bezüglich Pensionierungen, Dienstaufsichtsbeschwerden und der Einhaltung von Arbeits- und Gesundheitsschutz in Zukunft zu verantworten, bleibt fraglich. Gewerkschaften sind jedenfalls in Hochschulräten bundesweit nur zu 5% vertreten.

Fehlende Transparenz: Weitere Befugnisse, so das ‚Abschöpfen des Rahms‘ durch steigende Aufwandsentschädigungen der Hochschulräte und Gehälter der Rektoren, wurden schon seit 2008 gewährt. Der Senat hat zwar den Wirtschaftsplan vorzulegen, aber auch dieses gesunde Regulativ wird sukzessive abgeschafft. Der Hochschulrat entscheidet laut Novelle weiterhin über seine eigene Aufwandsentschädigung und die Rektorengehälter, abhängig von den erwirtschafteten Überschüssen. Zu diesen zählt auch die Bezuschussung durch Steuergelder, die kurzerhand zu ‚Einnahmen’ erklärt wurden. Transparente Kriterien für die Verwendung der Steuermittel als Gehälter fehlen. Dabei soll es laut Novelle wohl bleiben, obwohl hier dringend nachgesteuert werden müsste. Ob der Steuerzahler nach der Novelle erfährt, wieviel die Hochschulräte der Hochschulleitung an Gehalt ‚genehmigen‘, bleibt fraglich.

Kodex ‚Gute Arbeit’ abgeschafft!: Für die Mitarbeiter bleibt jedenfalls immer weniger Gehalt übrig, da das Prinzip des Abkassierens nur eine Richtung kennt. So titelt die SZ am 17.03.2017 ‚An Hochschulen bleibt prekäre Beschäftigung Normalität’ und führt in dem Artikel aus, dass seit Einführung des HFG in 2007 neun von zehn wissenschaftlichen Uni-Mitarbeitern laut GEW teils über viele Jahre mit Zeitverträgen hingehalten werden. Der Kodex für ‚Gute Arbeit‘ konnte etwas Nachbessern, soll aber mit dieser Novelle abgeschafft werden.

Unklare Zuständigkeiten und intransparente Verantwortungsstrukturen: Laut Novelle soll in Zukunft der vorsitzende Hochschulrat als oberste dienstvorgesetzte Stelle des Rektors z.B. über dessen Diensteignung entscheiden. Gleichzeitig ist der Rektor bei hochschulinterner Besetzung der Dienstvorgesetzte des vorsitzenden Hochschulrats, denn der Rektor soll laut Novelle weiterhin Dienstvorgesetzter aller verbeamteten und angestellten Mitarbeiter der Hochschule bleiben. Der Hochschulrat solle jedoch zusätzlich die rechtliche Verantwortung tragen, sollte z.B. der oder die Rektor/in dieser Aufgabe nicht vollumfassend gewachsen sein. Regressansprüche dürften nach dieser Gesetzesnovelle bald an den vorstehenden Hochschulrat gerichtet werden. Dabei ist der Verwaltungsapparat weiterhin dem Kanzler direkt unterstellt.

Dieses Verantwortungs-Kuddelmuddel wird nach unten hin wie ein löchriger Schal weitergestrickt: An wen soll sich der Personalrat der Hochschule im Bedarfsfall wenden? Kennt der Unterbau des Rektorats das Beamtenrecht? Wer ist verantwortlich, wenn ein personalrechtliches Klageverfahren droht? Schlimmer noch: schon 2007 sorgte das CHE (Bertelsmann) zusammen mit dem damaligen Minister Pinkwart für die Abschaffung der Personalvertretung der Professor/innen. Diese zumeist verbeamtete Personalgruppe besitzt seither praktisch bundesweit KEINE personalrechtliche Vertretung mehr an den Hochschulen und Universitäten. Begründet wurde dieser Schritt mit GG. 5 Freiheit für Forschung und Lehre. Der hochgelobte ‚Tenure-Track’ der Gesetzesnovelle führt so womöglich nicht zu der versprochenen Lebensanstellung oder Beamtenstelle, sondern ohne Personalvertretungsschutz in eine ewige Hinhaltung und Ausbeutung.

Letztendlich zieht sich das Ministerium für Kultur und Wissenschaft  ‚freiheitlich-entfesselt‘ weiter aus der personalrechtlichen und finanziellen Verantwortung. Die einzig richtige Forderung kann jetzt nur noch lauten:

Das gesamte verbeamtete und angestellte Hochschulpersonal staatlicher Hochschulen muss – vergleichbar zu staatlichen Schulen – wieder Landespersonal werden!

Die gestufte Mitbestimmung der Personalräte muss erneuert und für das gesamte Hochschulpersonal, auch für die verbeamteten Professor/innen gelten. Die 83 Hochschul-Personalräte NRWs müssen das Recht zurückerhalten, ihre gewählte Vertretung (LPK wiss) in Verhandlungen mit EINER obersten Dienststelle, dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft, zu entsenden.

Denn das entstandene Zuständigkeits-Wirrwarr täuscht über eines nicht hinweg: Die Zukunft unserer Jugend hängt von bester Lehre durch hervorragende Wissenschaftler ab. Der Braindrain hat aber schon begonnen, denn beste Arbeitsbedingungen gibt es für Hochschulpersonal seit der Teilprivatisierung der Hochschulen nicht mehr. Schon 2013 titelte der Spiegel ‚Forscher, kommt heim‘ und erklärte, wie mit Werbeveranstaltungen der Bund versucht, deutsche Wissenschaftler aus den USA zurückzuholen. ‚Doch die fürchten die schlechten Karrierechancen diesseits des Atlantiks – und scheuen die miese Bezahlung.‘, so der Spiegel. Ministerin Pfeiffer-Poensgen ist sich wohl im Klaren darüber, dass die Arbeitsbedingungen an Hochschulen durch ihre Gesetzesnovelle erneut verschlechtert werden und erklärte Ende 2018 im Pressegespräch: ‘Gleichzeitig werden wir den Forschungsstandort Nordrhein-Westfalen im Bereich KI deutlich stärken. Als erste Maßnahme habe ich gestern das nordrhein-westfälische Rückkehr-Programm mit dem Schwerpunkt KI ausgelobt“.

Statt Steuergelder in teuren Werbekampagnen zu verschwenden müsste die Ministerin, ähnlich, aber deutlich konsequenter als ihre Vorgängerin Svenja Schulze, durch eine maßvolle Novelle für bessere Arbeits- und Studienbedingungen und ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Lehre und Forschung an den NRW-Hochschulen sorgen, anstatt eine Rolle-Rückwärts in die desaströsen Verschlechterungen der Pinkwart-Ära zu machen. Die Chance der Heilung verstreichen zu lassen zeugt von großer Schwäche. Wenn also schon Rolle-Rückwärts, dann bitte mit Anlauf und zurück mit der hochschulischen Bildung in die staatliche Verantwortung eines pflichtbewussten Ministeriums für Kultur und Wissenschaft!

 

Danksagung: Diesem Artikel liegt u.a. ein Interview mit Bernadette Stolle, Geschäftsführung der Landespersonalrätekonferenz NRW, LPKwiss, zugrunde, die unermüdlich die Interessen des Hochschulpersonals vertritt.