Veröffentlicht am 08.10.11

„Von Staats wegen: illegales Lohndumping an Schulen“

„In Niedersachsens Schulen hat das Land Billiglöhne von 7,50 Euro an Beschäftigte gezahlt. Zudem hat das Land eigentlich fällige Beiträge für Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung nicht abgeführt. Der Trick: Die Beschäftigten wurden als „freie Mitarbeiter“ geführt, obwohl sie hätten festangestellt werden müssen. Das Arbeitsgericht Hannover hat dies für rechtswidrig befunden. Und die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen in knapp 10.000 Fällen. Dabei hatten Rentenversicherung und selbst die Schuldezernenten das Ministerium seit Jahren auf die illegalen Verträge hingewiesen. Kultusminister Althusmann sagt dazu, es habe wohl ‚Kommunikationsprobleme’ gegeben.“ (Quelle: Panorama: Sendung vom 29. September 2011); vgl auch: Pressemitteilung: Illegale Beschäftigung an Schulen in Niedersachsen

Kommentar MP

Was Lohndumping für die Betroffenen bedeutet, wissen viele aus eigener Erfahrung, welches Ausmaß es gesellschaftlich angenommen hat, verrät uns die Statistik: Seit mindestens 10 Jahren sinken die Realeinkommen  der abhängig Beschäftigten, in einigen der unteren Einkommensgruppen bis zu 22%, während komplementär dazu die Unternehmens- und Vermögenseinkommen exorbitant nach oben schnellen. Eine Berechnung des Handelsblatts und der Landesbank Baden-Württemberg zeigt, dass der Nettogewinn der 30 DAX-Konzerne 2010 im Vergleich zum Krisenjahr 2009 bereits wieder um satte 80 Prozent auf 63 Mrd. Euro angestiegen ist. Etwa 25 Mrd. Euro sollen davon an die Eigner ausgeschüttet werden, fast so viel wie im Boomjahr 2007. „So beglücken deutsche Großkonzerne,“ wie es in einem Spiegel-Online Artikel heißt. „ihre Aktionäre“. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn man im D.A.CH-Report liest, dass das Vermögen der Euro-Millionäre in Deutschland auch 2010 wieder um 8,8% auf 2,2 Bio. € gewachsen ist.

Dieses Auseinanderdriften der Einkommenssituation und in seinem Gefolge die wachsenden Ungleichgewichte in der Vermögensverteilung sind eine Gefahr nicht nur für die Demokratie, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung. Der Zusammenhang ist schnell erklärt: Der Abbau der Sozialleistungen, die Einsparpolitik im öffentlichen Dienst, die Kürzung der öffentlichen Investitionen aber vor allem auch das flächendeckende Lohndumping bei ständig steigenden Kosten schwächen die Kaufkraft der Normalverdiener und lassen die Binnennachfrage einbrechen oder zumindest stagnieren. Damit reduzieren sich die Gewinnaussichten der Unternehmer und sie hören auf zu investieren. Das Ergebnis ist eine konjunkturelle Abwärtsspirale, die jederzeit in eine Verelendungsspirale münden kann.

In Deutschland kommt es nur deshalb nicht zu einer solchen Abwärtsspirale, weil der schwache Binnenmarkt bisher durch einen seit Jahren, spätestens seit Einführung des Euro, anhaltenden und nur 2009 krisenbedingt unterbrochenen Exportboom kompensiert wird. Möglich wird diese außenwirtschaftliche Expansion durch das Lohndumping im Innern. Es verschafft den exportorientierten Unternehmen ein Rekordergebnis nach dem anderen und sorgt für eine riesige Überschussbilanz im deutschen Außenhandel.

Doch die Überschussbilanzen der einen sind notwendig die Defizitbilanzen der anderen. Die aggressive deutsche Handelspolitik geht nicht nur zu Lasten des eigenen Lohnniveaus, sondern auch zu Lasten der importierenden Partner. Die französische Finanzministerin Christine Lagarde, hatte Recht mit dem Vorwurf, Deutschland  fördere seine Exporte durch geringe Lohnzuwächse auf Kosten der anderen Länder des Euroraumes. Man kann es auch drastischer sagen: die anderen werden durch Lohndumping schlichtweg nieder konkurriert und wettbewerbsunfähig gemacht.

Die Folge ist erneut ein Ungleichgewicht, diesmal aber nicht nur im Innen- sondern auch im Außenverhältnis. Der Exportboom hat das binnenwirtschaftliche Ungleichgewicht nur exportiert und in ein außenwirtschaftliches Ungleichgewicht verwandelt. Auch diesmal droht wieder ökonomisch der Niedergang oder mindestens die Stagnation. Wenn die Nachbarn nichts mehr kaufen können, gerät der Export, der einzig verbliebene Wachstumsmotor hierzulande, ins Stocken. Die internationale Nachfrage bricht ein, so wie schon vorher die Binnennachfrage eingebrochen ist.

Die Unausweichlichkeit dieser Entwicklung konnte eine Zeitlang durch die Schuldenpolitik der importierenden Länder, insbesondere an der Südschiene des Euroraumes, verkleistert werden. Kredite waren zunächst leicht zu bekommen. Die Banken schwammen in Geld und waren bereit es ohne genaue Prüfung der Schuldner auszuleihen. Das Geld stammte aus den riesigen Gewinnen, die die Unternehmen im Zuge der neoliberalen  Umverteilung von unten nach oben gemacht hatten. Statt die in der Realwirtschaft gesellschaftlich generierte Wertschöpfung in Form von Lohnerhöhungen an die Beschäftigten zurückzugeben, haben sie die erzielten Gewinne mitsamt den Steuergeschenken und Abgabenentlastungen eingesackt und große Teile davon in Erwartung hoher und müheloser Renditen in die Finanzindustrie gesteckt. Die Akteure dieser Industrie, allen voran die Banken, witterten nun ihrerseits das große Geschäft. Zusammen mit ihren Komplizen, den Ratingagenturen, haben sie das Geld genommen und auf Teufel komm heraus damit spekuliert. Alles, was nur irgendwie dazu geeignet war, wurde zum Spekulationsobjekt gemacht: Aktien, Währungen, Immobilien, Rohstoffe, Lebensmittel und selbst die Kredite, die sie großzügig an fragwürdige private und staatliche Schuldner vergaben. Skrupellos und mit erstaunlicher krimineller Energie wurden „faule Kredite“ zu undurchsichtigen Wertpapieren verpackt (verbrieft) und als hoch dotierte und hoch bewertete ‚innovative Finanzprodukte’ in der ganzen Welt verkauft. Die „Bangster“, wie der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt die Banker in den 1920er Jahren respektlos nannte, gaben sich damit aber noch nicht zufrieden. Sie ‚diversifizierten’ nicht nur mit Gewinn das Risiko der toxischen Papiere, sie wetteten auch noch auf ihren Ausfall. Und auch das war wieder ein blendendes Geschäft. Denn als Urheber der Schrottkredite wussten sie natürlich, dass diese am Ende nicht bedient werden konnten.

Diese ganze Zockerei im Spielkasino, die Jagd nach Höchstrenditen und astronomischen Bonizahlungen konnte natürlich auf die Dauer nicht gut gehen. Das System aus Gier, Anlagebetrug, Bilanzfälschung und Korruption brach zusammen, zum erstenmal im Gefolge der sogenannten „Subprime-Krise“ 2008/2009. Die Zeche zahlten – wie sich inzwischen herumgesprochen hat – nicht die Profiteure des Desasters, sondern die Steuerzahler. Sie wurden von der politisch herrschenden Klasse auf Anraten der Finanzmafia gezwungen, die „systemrelevanten“ Banken zu retten und die Gewinne der Spekulanten zu sichern. Das war ein ziemlich verruchtes Spiel. Denn die Staaten, und das heißt ja ihre Bürger und Bürgerinnen, mussten sich nun ausgerechnet bei eben den Banken verschulden, die sie gerade mit Steuergeldern gerettet hatten. Manche Staaten konnten das verkraften. Deutschlands Schuldenlast z.B. stieg durch die Finanzkrise „nur“ um ein Fünftel. Andere Staaten taten sich schon schwerer. Spaniens Schuldenlast vordoppelte sich und die von Irland stieg sogar ums Vierfache. Einige aber, die nicht nur ohnehin schon stark verschuldet waren, sondern auch noch eine schlechte Haushalts- und Steuerpolitikpolitik betrieben, wie Griechenland, kamen ins Strudeln. Die globalisierten Finanzmärkte, also die Spekulanten in der ganzen Welt, reagierten sofort. Sie stießen ihre gefährdeten Staatsanleihen entweder ab, verlangten kräftige Zinsaufschläge oder wetteten sogar mit sogenannten Kreditausfallversicherungen (CDS) auf Zahlungsunfähigkeit. Dabei haben sie noch einmal Geld gemacht, aber zugleich das Finanzierungsproblem der schwachen Staaten verschärft. Aus der ehemaligen „Finanzkrise“ war nun endgültig die sogenannte „Staatsschuldenkrise“ geworden. Sie erfasst inzwischen ganz Europa und bringt sogar die gemeinsame Währung, den Euro, in Gefahr. Die Realwirtschaft fängt an zu schrumpfen. Verglichen mit der ersten Finanzkrise hat sich der Maßstab vergrößert. Doch die Logik der „Rettung“ bleibt dieselbe. Wieder werden für die Gläubigerbanken riesige „Schirme“ aufgespannt und die Steuerzahler zur Kasse gebeten. Das Muster ist immer das gleiche: die Gewinne werden privatisiert, die Kosten sozialisiert. So wird es auch weitergehen.

Der Druck der Finanzmärkte – im Klartext: der Spekulanten – liegt wie ein Alp auf unserem demokratischen Gemeinwesen und droht es zu zerbrechen. Um ihn loszuwerden,  muss man dort ansetzen, wo der Grund des Übels liegt: in der ungerechten Verteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums. Ein erster national problemlos möglicher Schritt dazu ist die sofortige Beendigung des Lohndumpings. Die Löhne dürfen nicht weiter gesenkt, sie müssen vielmehr erhöht werden. Dadurch würde den Finanzmärkten Teile des Spekulationsgeldes entzogen, die Exportüberschüsse und damit die internationale Wettbewerbsverzerrung reduziert und die Binnennachfrage gestärkt. Das für die wirtschaftliche Dynamik unverzichtbare innere und äußere Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage könnte wieder hergestellt werden.

Wenn nun stattdessen selbst Länderegierungen wie die von Niedersachsen „von Staats wegen“ bei der Lehrerbesoldung auf Lohndumping setzen, dann wird man ihnen im besten Fall ökonomische Ahnungslosigkeit attestieren müssen. Sie wissen offenbar einfach nicht, was sie tun. Das gilt für den zuständigen Kultusminister von Niedersachsen, Althusmann, der schon bei seiner Doktorarbeit, die unter Plagiatsverdacht steht, einräumen musste „handwerkliche Fehler“ begangen zu haben und das gilt offenbar auch für viele Volksvertreter: sie wissen einfach nicht was sie tun. Am deutlichsten sichtbar wurde das zuletzt bei der Abstimmung zum Euro-Rettungsfonds im Bundestag, die der Präsident dieses Verfassungsorgans, Norbert Lammert, als das „wichtigste einzelne Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode“ bezeichnete. Es gab tatsächliche etwa ein Dutzend Abgeordnete, die nicht wussten, wie hoch der Betrag ist, über den abgestimmt wurde und für den der Steuerzahler gerade stehen soll. Das ist nun wahrlich keine Lachnummer mehr. Immerhin in Niedersachsen ermittelt der Staatsanwalt.

Hier noch ein aufklärender Bildbeitrag zur Eurokrise und zur derzeitigen Situation in Griechenland.