Veröffentlicht am 30.06.11

„Tausende Studienplätze nicht vergeben. Wegen Zulassungschaos bleiben NC-Fächer leer“

„Wegen des Zulassungschaos an den Hochschulen sind trotz Bewerberansturms auch im vergangenen Wintersemester wieder tausende Studienplätze in NC-Fächern unbesetzt geblieben. Kurz nach Vorlesungsbeginn seien etwa 13300 Plätze in Bachelor- und 6000 in Masterstudiengängen betroffen gewesen. Darauf weist der Berliner SPD- Bundestagsabgeordnete Swen Schulz unter Berufung auf bisher nicht veröffentlichte Zahlen der Kultusministerkonferenz hin. „Angesichts des Andrangs von Studieninteressierten und der Klagen über Fachkräftemangel ist das schlichtweg Wahnsinn“, kritisierte Schulz. Nach dem Ende aller Nachrückverfahren, die sich erfahrungsgemäß noch tief in das Semester reinziehen können, blieben immer noch rund 10 500 Bachelor- und 6500 Masterplätze in zulassungsbeschränkten Fächern frei.“ (Quelle: Tagesspiegel 23.06.2011)

Kommentar: MP

Alle Jahre wieder: Über das Zulassungschaos an den Universitäten wird seit 2009 kontinuierlich berichtet. Deshalb können die doppelten Abiturjahrgänge auch nicht die einzige Ursache für das Desaster sein. Auch bürokratische Trägheit, Verwaltungsdefizite und politische Vertrauensseligkeit kommen bloß sekundär hinzu. Sie verschärfen das Problem nur. Die primäre Ursache liegt in der verhängnisvollsten Fehlentscheidung  der jüngeren Universitätsgeschichte. Sie wurde  während der rot-grünen Regierungszeit getroffen und führte zum radikalen Bruch mit der humboldtschen Idee einer demokratisch verfassten Universität. Statt diese Idee an die zeitgenössischen Verhältnisse anzupassen, wurde sie aufgegeben und unter dem Druck von Wirtschaftslobbyisten durch das Modell eines hierarchisch gelenkten ökonomischen Betriebes, die sogenannte „unternehmerische Universität“, ersetzt. Das war der Sündenfall. Seitdem gerieren sich die Universitätspräsidenten wie  Geschäftsführer, die alles tun, um den Gewinn ihres Betriebes in Form von oberen Rankingplätzen und Drittmittelzuflüssen zu mehren und deshalb auch das Recht beanspruchen, die Studierenden, wie ein Betrieb seine Mitarbeiter, selber aussuchen zu dürfen. Die studierwilligen Bewerber reagieren darauf wie jeder vernünftige Marktteilnehmer: sie bewerben sich gleich mehrfach, damit im Falle einer Ablehnung an einer Universität die Bewerbung wenigstens an einer anderen Erfolg hat. Weil kein systematischer Datenabgleich stattfindet, kann diese Bewerbungssituation nur schwer gesteuert werden. Die Folgen kann man jedes Jahr wieder beobachten: überbordender Bewerbungsaufwand und lange Planungsunsicherheit bei den Studierenden, nutzlose Bürokratie in den Hochschulen, unbesetzte NC-Studienfächer und am Ende Vergeudung von Zeit und Steuergeldern.

Der Versuch, mit Hilfe einer geeigneten Software den jährlichen Ablauf der Studienbewerbung ein für allemal bundesweit transparent zu gestalten und für alle Beteiligten handhabbar zu machen, ist nun schon im zweiten Jahr gescheitert. Die seit 2007 angekündigte Software will einfach nicht funktionieren. Fast ist man versucht zu glauben, daß sie es vielleicht auch gar nicht soll. Die heilige Kuh der Länderhoheit soll nicht angetastet und die reine Doktrin des „freien“ Wettbewerbs um die besten Studenten – diese Schwundstufe der Hochschulfreiheit – soll nicht durch „planwirtschaftliche Elemente“ auf Bundesebene getrübt werden. Um nur jeden „Zulassungszentralismus“ zu vermeiden, wird das beschriebene Chaos zulasten der Studierenden und der Steuerzahler in Kauf genommen.

Dabei wäre die Lösung doch ganz einfach. Bei NC-Fächern braucht man zur Bewältigung des Chaos nur die auf Druck der Hochschulrektorenkonferenz abgeschaffte Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) wieder einzuführen. „Das wäre fairer zu den Studis als das jetzige Chaos“ – so ausgerechnet der frühere HRK-Präsident Landfried. (Zeit online 12.4.2011).  Die beste Lösung allerdings bestünde darin, so viele Anfängerstudienplätze zu schaffen, daß sich eine zentrale Verteilungsstelle erübrigt. Doch dafür bräuchte man das Geld, das gerade auf dem Umweg über Griechenland einigen „systemrelevanten“ Banken in den Rachen geworfen wird.