Veröffentlicht am 25.05.11

„Liebe Marie“

„Warum müssen Fünftklässler sonntags büffeln statt Freunde zu treffen? Weshalb dieser Unsinn? Henning Sußebach versucht, es seiner Tochter in einem Brief zu erklären.“ (Quelle: DIE ZEIT 26.05.2011)

Kommentar MP

In dem offenen Brief, der sich an seine Tochter richtet, aber durch seine Publikation in DIE ZEIT einen erwachsenen Leser unterstellt, beschreibt Henning Sußebach in einer – trotz der extrem künstlichen Situation – partiell fast rührenden Weise die Auswirkungen der ökonomisch motivierten Leistungs- und Konkurrenzmentalität auf das Leben von Fünftklässlern. Aus Angst im globalen Wettlauf überholt zu werden, laden die Erwachsenen ihren Kindern immer neue Aufgaben auf und halten sie zu immer größerer Eile an. Die meisten der Fünftklässer haben zwar von »Turbo-Abi«, »Schulzeitverkürzung«, »G8« noch nichts gehört, und wenn dann nur „mit halbem Ohr“, aber sie sind doch alle schon massiv davon betroffen. Henning Sußebach schildert die Auswirkungen des Raubes „an Freizeit und Freiheit“ anschaulich und wohl auch für eine Fünftklässlerin nachvollziehbar und sucht nach Alternativen.

Leider ist er bei der Angabe von Gründen für das Desaster etwas ungenau. Zumindest in der Passage, in der er den Einfluß der Demografie auf die entstandene Situation erläutert, hätte er seiner Tochter etwas mehr zutrauen können. Er hält zwar Distanz zu der eingeschliffenen Rede und spricht vom „sogenannten Demografieproblem“, doch dann übernimmt er ziemlich unkritisch die herrschende Interpretation. Diese Interpretation ist aber  ein Propagandainstrument, eine neoliberale Erfindung, die als Rechtfertigung dient für die Verkürzung der Schulzeit und die Erhöhung des Leistungsdrucks selbst auf Fünftklässer. In Wahrheit gibt es das Demografieproblem  gar nicht. Zumindest kann es nicht als Grund dafür herangezogen werden, um durch Verkürzung der Schulzeit  „uns, wenn wir alt und müde sind, länger Geld für die Rente geben“ zu können. Für die Rentensicherung in einer älter werdenden Gesellschaft ist nicht die Dauer der Lebensarbeitszeit entscheidend , sondern die Höhe der Produktivitätsrate. Deshalb hat  die Verkürzung der Schulzeit weder direkt noch notwendig etwas mit der Altersicherung zu tun.