Veröffentlicht am 22.08.20

Warum das orangenfarbene Band an den Arm jedes frei denkenden Akademikers gehört

 

Ein Beitrag von Prof. Dr. Hubert Sowa

 

 „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist [!] frei.“
Paulskirchenverfassung 1848, Abschn. VI, Art. VI, § 153.

Mit unmissverständlicher Klarheit haben unsere Väter dieses hart erkämpfte Freiheitsrecht 1848 in der ersten demokratischen Verfassung unseres Landes festgeschrieben. Dass sie dabei – grammatisch gesehen – Wissenschaft und ihre Lehre als untrennbar Eines begriffen haben, ist ein bedenkenswerter Umstand.

Die Weimarer Verfassung von 1919 stellt sich in diese Tradition und nimmt ausdrücklich die Kunst mit hinzu: 

„Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil“.                                   Weimarer Verfassung 1919, Art. 142.

Die „Teilnahme“ des Staates an der „Pflege“ kann auch Probleme erzeugen: ab 1933 wurde die Freiheit von Wissenschaft, Lehre und Kunst von staatlicher Seite aus beendet. Nach dem Zusammenbruch dieses vandalischen Systems setzte die Verfassung von 1949 einen Neuanfang: Die Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre wurde erneut festgeschrieben und unter nur eine einzige Einschränkung gestellt: die Treue zur Verfassung. 

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 1949, Art. 5, Abs. 3.

Damit erhält in Art. 5 des Grundgesetzes diese Freiheit einen Rang, der hinsichtlich seiner Unbeschränktheit sogar noch über die Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5, Abs. 1 und 2) hinausgeht. Es geht darin um geistige Freiheit schlechthin. Sie ist ein geheiligter Zweck in sich selbst – vergleichbar der menschlichen Person selbst.

Siebzig Jahre später sieht es mit der akademischen Freiheit anders aus: Durch neoliberal-bildungsökonomische und politisch-ideologische „Umsteuerungs-“maßnahmen (Pisa-Reformen, Bologna-Reform, neue Hochschulgesetzgebung usw.) sind die akademischen Freiheitsrechte nicht nur massiv eingeschränkt, sondern bereits gravierend beschädigt worden. Auch (und vielleicht in besonders zugespitzter Weise) in Baden-Württemberg ist von der freien Selbstbestimmung des akademischen Geistes in Forschung, Lehre und Bildung wenig übrig geblieben. Verglichen mit dem, was die Demokraten der Paulskirche wollten, stehen wir heute vor einem geschrumpften Zerrbild.

So selbstverständlich erscheinen inzwischen die Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen von OECD, Bundes- und Landesregierungen, privaten Stiftungen, Wirtschaftsverbänden, Drittmittelgebern usw., dass es kaum mehr auffällt, wenn z.B. Ministerien und Hochschulleitungen per „Template-Formulierungen“ Vorgaben für die Studien- und Prüfungsordnungen wissenschaftlicher und künstlerischer Fächer festschreiben, wissenschaftlich nicht legitimierte Leitbegriffe vorschreiben (z.B. „Kompetenzen“), Zwangskooperationen zwischen Hochschulen verfügen, Forschungsziele und sogar -methoden vorgeben (und andere ausschließen), die Forschungsförderung auf politisch gesetzte Ziele fokussieren, direkt außengesteuerte nicht-akademische „Sonderfakultäten“ implementieren („PSE“ usw.), die schulische Bildungslandschaft nach ideologischen Grundsätzen und mit direktiven Mitteln umstrukturieren und  dafür Ziele formulieren, die keineswegs aus der freien Selbstbestimmung von Wissenschaft und Lehre entwickelt sind, sondern politisch gesetzt sind.

Die Freiheit von Wissenschaft, Kunst, Forschung und Lehre hat in diesem Steuerungsdenken keinen Platz mehr, ebenso wenig wie die „christlich-abendländischen Werte“, in denen diese Freiheit begründet ist. Die akademische Freiheit ist ein solcher Wert, der allenfalls achtlos behandelt oder auch offen negiert wird, weil er hinderlich ist für die „Neue Welt“ politisch-ökonomischer Wissenschafts- und Bildungssteuerung. Forschung und Lehre sind in den Augen der politisch-ökonomischen Bildungssteuerer und ihres Vollzugspersonals nur Mittel zu Zwecken, die sich aus ganz anderen Quellen begründen als aus denen der freien Wissenschaft.

Die Entwicklung der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg in den letzten 10-15 Jahren ist ein trauriges Beispiel: Sie zeigt einen Weg in die Einschränkung akademischer Freiheitsräume.

Ich persönlich verlasse diese Hochschule nun, froh darum, dass ich diese Entwicklung nicht weiter mit ansehen und unfreiwillig dafür dienstbar sein muss. Ich lasse Ihnen/Euch dieses orangefarbene Armbändchen als kleines Abschiedsgeschenk zurück.

Das Tragen dieses Armbandes ist 

  • ein alltägliches, öffentlich sichtbares Bekenntnis zu einem zentralen Freiheitswert unserer Demokratie sowie zum zentralen Selbstverständnis unseres akademischen Berufs,
  • eine Selbstverpflichtung auf den Wert der akademischen Freiheit, 
  • ein Akt der Verteidigung unserer Freiheitsrechte und der ihr zugrundeliegenden Werte,
  • ein Kommunikationsanlass in der Begegnung und im Gespräch mit Kolleginnen, Kollegen und Studierenden,
  • eine omnipräsente Mahnung an die Bildungspolitik, zur Achtung akademischer Werte zurückzukehren,
  • ein Zeichen der akademischen Selbstachtung,
  • ein optimistisches Signal für künftige Generationen.

Am Arm getragen ist das Bändchen schön. In seinem Inhalt ist es wahr. In seiner Zielbestimmung ist es gut.

 

Viel Freude damit!

Bamberg/Ludwigsburg, im Seuchensommer 2020

Hubert Sowa

 

Bändchen können beim Autor zum Preis von 4.- € per Mail bestellt werden. (sowa@ph-ludwigsburg.de),
Betreffszeile: „Bändchen“.