Veröffentlicht am 18.12.18

Von der pädagogischen Freiheit als Kern der Professionalität

Wir wollen nur noch das als wahr und verallgemeinerbar anerkennen, was durch bestimmte Verfahren der Erkenntnisgewinnung erhoben wurde. Gerade die Pädagogik ist davon in besonderer Weise betroffen. Wichtige Entscheidungen im Bereich der Erziehung dürfen nur noch auf der Basis von empirischen Studien gefällt werden. Das zu hinterfragen, ist dringend notwendig.

Einleitung

Durch unseren Sprachgebrauch signalisieren wir das Verständnis einer Sache, ja eines ganzen Sachgebietes. Die Sprache, die wir verwenden, hat eine zuschreibende Funktion, durch sie wird die Welt konstituiert. In der Pädagogik, im Bereich von Erziehung und Bildung, von Schule und Unterricht hat es in den letzten Jahren einen erheblichen Wandel gegeben, der durch neue Gewichtungen in der wissenschaftlichen Disziplin, aber auch durch die Bildungspolitik selbst vorangetrieben wurde. Diese Entwicklung ist eingebettet in größere Zusammenhänge, die unsere Gesellschaft bestimmen und verändern: Einmal durchdringt die ökonomische Rationalität mit ihrer Sprache und ihrem Denken mehr oder weniger alle unsere Lebensbereiche.

So sprechen wir von „Selbstoptimierung“ oder „Selbstwirksamkeit“. Zum Zweiten greift die Digitalisierung überall nach uns. Wir sind vernetzt, überdimensionale Speicher schaffen ungeahnte Möglichkeiten des Zugriffs auf Daten, die großen Internetkonzerne wissen unendlich viel über uns, und über klug ausgedachte Algorithmen werden wir zu kalkulatorischen Objekten. Als Drittes kommt hinzu, dass ein rein biologisches Verständnis des Menschen, das durch eine neurophysiologische Rhetorik Deutungshoheit anstrebt, den technischen Zugriff auf unsere Handlungen, ja scheinbar sogar auf unsere Seele möglich macht.

Wir reden nicht mehr vom Ich, welches souverän entscheidungsfähig ist, von seiner Identität oder gar Ich-Identität, eher vorsichtig, wenn überhaupt vom Selbst. Darüber hinaus betrachten wir das Gehirn als eine ausgelagerte Instanz, als ein technologisches Wunderwerk, das nach eigenen biologischen Prinzipien unsere Entscheidungen herbeiführt, die mit einem freien Willen nichts mehr zu tun haben.

Während im 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert verschiedene Entdeckungen das Selbstverständnis des Menschen als handlungsfähiges Subjekt erschütterten, nimmt uns heute das physiologisch eigenständige Gehirn die Last der Entscheidungen ab. Karl Marx führte den Gedanken ein, dass die Verhältnisse den Menschen viel mehr bestimmen als ein vernünftiger Geist. Charles Darwin irritierte das humane Selbstverständnis durch seine Evolutionslehre und Sigmund Freud stellte heraus, dass wir nicht Herr im eigenen Haus sind, weil unsere Triebe unser Handeln leiten und unsere Vernunft zu schwach ist.

Der ganze Beitrag (8 S.) als PDF: Prof. S. Däschler-Seiler: Von der pädagogischen Freiheit als Kern der Professionalität, in: unterrichtspraxis, Beilage zu „bildung und wissenschaft“ der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg, Heft Nr. 8 | 23.11.2018 | 51. Jahrgang