Veröffentlicht am 11.10.20

Tom und Jerry – Eine kurze Skizze neuer pädagogischer Vorträge

 

Pädagogische Vorträge im hochschulischen Umfeld hatten bis vor kurzem noch eine wiedererkennbare grundlegende Struktur. Es wurde ein Themenfeld angesprochen, eine Forschungsfrage aufgeworfen, die Forschungsmethode erklärt, Forschungs-ergebnisse aufgezeigt, weiterführende Gedanken formuliert und zum wissenschaftlichen Austausch eingeladen, um die Forschungsfrage möglicherweise in der scientific community weiter zu verfolgen. In letzter Zeit scheint sich ein Trend neuer pädagogischer Vorträge zu verstärken, dessen Struktur eine Skizze verlangt, um einen Diskurs zu dieser Entwicklung zu ermöglichen.

Comic statt Inhalt

Die Zuhörer neuer pädagogischer Vorträge werden mit einem Comic abgeholt, d.h. ein Comic soll uns helfen dem Vortrag zu folgen. Comicfiguren, teilweise auch mit Namen versehen, führen uns durch die Powerpointfolien und markieren Meilensteine des Vortrages oder werfen vorausschauend für den Zuhörer Fragen auf. Werden diese Figuren auch noch mit Namen versehen, so wird es uns erleichtert uns auch emotional mit dem Vortragenden und seinem emphatischen Vortrag zu verbinden. Mit einer Katze und einer Maus, Tom und Jerry, machen wir das seit Jahrzehnten, wir verfolgen eine Geschichte und verbinden uns emotional, aber das sind Comicfiguren und keine wissenschaftlichen Vortragenden. Tom und Jerry müssen nicht systematisch, skeptisch, phänomenologisch, empirisch oder wie auch immer argumentieren, aber Vortragende im hochschulischen Umfeld?
Diese Comcis unterstützen zum Teil auch die Begriffe im Vortrag. Beispielsweise verdeutlicht ein gezeichneter gepflasterter Weg, der den Zuhörern visualisiert wird, die Schwierigkeit von der der Vortragende bei seiner Forschung gerade spricht. Der Vortrag wird durch den Einsatz von Comicfiguren anscheinend leichter erträglich gestaltet, bindet die Zuhörer emotional, hinterlässt leicht merkbare Bilder und wirkt zugängiger als alt hergebrachte wissenschaftliche Vorträge. Die Inhalte werden dabei aber oft nur in wenigen Sequenzen erkennbar, die Pädagogisierung des Vortrages tritt in den Vordergrund.

Berater statt Verantwortliche

Erwartet man als Zuhörer im hochschulischen Umfeld bei Vorträgen Kollegen aus der scientific community im weiteren Sinn, so wird man überrascht, dass sich vermehrt Vortragende zu Beginn ihres Vortrages als externe Berater von Ministerien deklarieren. Als solche seien sie nur kurzfristig für das eine oder andere Projekt beigezogen, aber für das große Ganze natürlich nicht verantwortlich. Sie weisen nur eine Expertise zu einem bestimmten Forschungsfeld auf und wollen die Defizite bzw. Lösungswege aus der pädagogischen Misere aufzeigen. Unterrichtserfahrung und/oder ein Studium der Pädagogik haben sie oft nicht, was anscheinend für sie spricht, da sie in der realen Welt sonst echte Firmen beraten. Unterrichtserfahrung und/oder ein Studium der Pädagogik scheint keine notwendige Bedingung für einen neuen pädagogischen Vortrag zu sein, vielleicht sogar hinderlich? Aber wo stecken die Verantwortlichen für die neuen, mutigen Ideen und Konzepte, um Unterricht endlich effizienter zu gestalten? Bei Vorträgen, Podiumsdiskussionen und bei Workshops erleben Zuhörer oft nur ein Verschieben von Verantwortlichkeit. Die Vortragenden befinden sich immer schon beim Umsetzen dieser Ideen und Konzepte und wollen eine Agenda verbreitern. Aber von wem kommt diese Agenda, die es nun gilt umzusetzen, wo und bei wem sind die Verantwortlichkeiten noch zu finden?

Changemanagement statt Argumente

Bei wissenschaftlichen Vorträgen konnte man als Zuhörer bisher versuchen einer Argumentationslinie zu folgen. Man hat die Argumente für sich beim Zuhören geprüft, zugestimmt oder abgelehnt, sich ein Gegenargument zurechtgelegt und überlegt, ob man sich in der anschließenden Diskussion mit dem Vortragenden zu Wort meldet. Die neuen pädagogischen Vorträge verhindern diesen Vorgang bei Zuhörern. Argumente, die einer wissenschaftlichen Linie folgen, fehlen bzw. sind nicht eindeutig erkennbar. In einer neuen Sprache versuchen die neuen Vortragenden in einer Art Comediansprache eine leichte, witzige und verdauliche Form zu finden, die schwerwiegende Argumente auslässt. Eine Botschaft muss reichen, diese gilt es anscheinend zu vermitteln. Ein bisschen Spaß muss sein. Vorbilder dabei scheinen Vortragende wie Steve Jobs oder Mark Zuckerberg zu sein, die bei ihren weltweit verbreiteten Vorträgen in Jeans, Kapuzenpullis und Sneakers gezeigt haben, wie es geht. Aber sind oder waren das nicht CEO`s von multimilliardenschweren Unternehmen, die neue Produkte angeboten haben und den Change damit vorbereitet haben? Warum folgen pädagogische wissenschaftliche Vorträge diesem Muster und nicht mehr Argumentationslinien die zu einem wissenschaftlichen Diskurs führen?

Kalenderspruch statt Diskurs

Wie enden diese neuen Vorträge? Mit einem Zitat, von wem auch immer. Bekannte Persönlichkeiten, durchaus nicht immer Pädagogen müssen mit einer Aussage herhalten, um den Vortrag zu beenden. Weder die Aussage noch der Zitierte sind oft in diesen Vorträgen bis zu diesem Zeitpunkt im Vortrag erwähnt worden. Warum plötzlich am Ende des Vortrages, welche Wirkung soll das haben oder welche Argumentationslinie soll das unterstützen? Das Zitat kommt einfach daher, es steht völlig verloren auf der letzten Präsentationsfolie und soll wirken. Vom Vortragenden wird es meist stumm präsentiert, als entwickle es von selbst den Zusammenhang zu einer unklaren Forschungsfrage. Ähnlich einem Kalenderspruch soll das Zitat uns einen Monat lang das pädagogische Herz erwärmen bis zum nächsten Vortrag? Dann wartet der nächste bedeutsame Spruch und wieder nehmen wir etwas vom Vortrag mit. Den Zuhörern wird gleichsam eine geistige Jause mitgegeben, etwas an das sie sich im schwierigen pädagogischen Alltag anhalten können. Interessanter-weise wird diese geistige Jause oft nicht von Pädagogen aber an Pädagogen verabreicht. Der wissenschaftliche Diskurs wird nach dem Vortrag oft nicht angeleitet, d.h. die kurz zu stellenden Fragen können laut Vortragendem nur ansatzweise beantwortet werden, denn eigentlich wartet schon sein nächster Termin auf ihn, im Ministerium oder bei der nächsten Hochschule. Vorträge als Business as usual.

Ich freue mich auf den nächsten Vortrag, vielleicht werde ich mit einem neuen Ende belohnt. Der Vortragende könnte ja singend seinen wissenschaftlichen pädagogischen Vortrag beenden …

„ Vielen Dank für die Blumen, vielen Dank wie lieb von dir …“