Veröffentlicht am 07.06.19

„Time for Change“ – Wer bestimmt den Wandel?

Ein Interview von Jürgen Oberschmidt mit dem Kunstpädagogen Jochen Krautz, in Musikunterricht aktuell 9/2019, S 32-35

Schulentwicklung, Kompetenzorientierung, Steuergruppen, Qualitätsmanagement, Schulinspektion. Wer kennt nicht diese wirkmächtigen Schlagworte der Bildungspolitik, die sich immer mehr in unseren Schulalltag einnisten und diesen mehr und mehr beherrschen. Der Kunstpädagoge Jochen Krautz analysiert und kritisiert seit Jahren, dass die Schule hier von jenen unterwandert wird, die handfeste wirtschaftliche Interessen verfolgen: Bereits in seiner Streitschrift „Ware Bildung – Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie“ (2007) resümierte er über den Zustand unserer Schulen und stellte hier die Frage, ob wir „weiterhin Menschen bilden oder funktionierende Ich-AGs herstellen.“ Als Präsident der Gesellschaft für Bildung und Wissen setzt er sich kritisch mit dem eingeschlagenen Weg einer Ökonomisierung der Bildung auseinander und verantwortet eine Tagungsreihe, die sich unter dem Titel „Time for Change?“ den Auswirkungen und Durchsetzungsmechanismen der dauernden Reformbewegungen widmet. „Time for Change? – Schule zwischen demokratischem Bildungsauftrag und manipulativer Steuerung“ heißt die jüngste Veröffentlichung, die hier nicht nur einen Problemaufriss aus wissenschaftlicher Perspektive versucht, sondern auch diejenigen in die Diskussion einbezieht, die sich als Lehrerinnen und Lehrer tagtäglich an ihren Schulen mit diesen Entwicklungenkonfrontiert sehen.

J.O.: Unserer Schule wird immer wieder vorgeworfen, dass sie sich noch in der Kreidezeit befindet, ein Klassenraum immer noch das Aussehen wie vor zweihundert Jahren hat und sich eigentlich nichts substanziell geändert hat. In manchen Bundesländern bleiben sogar die Termine der Sommerferien konstant. Nicht zuletzt seit PISA scheint die Schule unter einem gewissen Reformdruck zu stehen. Liegt in solch einer Umbruchphase nicht die große Chance, sich von überkommenen Vorstellungen zu verabschieden?

J.K.: Ja, und im Musikunterricht spielt man immer noch Klavier wie vor hunderten von Jahren … Solche „Argumente“ sind Nebelkerzen, man kann sie auch Propaganda nennen. Der über PISA inszenierte Reformdruck zielt ja nicht auf die Verbesserung von Erziehung und Bildung durch Unterricht, sondern auf die Anpassung an von der OECD vorgegebene Output-Kriterien und ein dem zugrundliegendes mechanistischen Menschenbild. Die über PISA durchgesetzte Kompetenzorientierung zielt nach eigener Aussage der Wirtschaftsorganisation auf Anpassung der jungen Menschen an die vermeintlichen Forderungen der globalen Ökonomie. Schon seit Beginn der 1960er Jahre verfolgt die OECD ein Programm kultureller Entwurzelung, um Menschen anpassungsbereit für den so verstandenen „Fortschritt“ zu machen. Aus diesem Ziel speisen sich die genannten Vorwürfe. Und eben deshalb stören Musik und Kunst besonders: Wir haben ein fachspezifisch eigenes Verhältnis zur Freiheit als Bedingung und Ziel unsere Bildungsarbeit.

Das ganze Interview als PDF: Interview Krautz: „Time for Change“ – Wer bestimmt den Wandel? (Musikunterricht 9/2019)