Veröffentlicht am 24.05.13

Wohin der Akademisierungswahn langfristig führt

Länder mit einer hohen Abiturientenquote sind nicht unbedingt reicher als Staaten mit einer relativ niedrigen Quote – wie etwa Österreich und die Schweiz.

Von Rainer Bölling (FAZ vom 24. Mai 2013, S. 7)

Wenn die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) alljährlich ihr Zahlenwerk „Bildung auf einen Blick“ vorstellt, so ist eines schon vorab klar: Deutschland wird wegen zu niedriger Abiturienten- und Hochschulabsolventenquoten kritisiert. Obwohl in der Bundesrepublik mittlerweile jeder Zweite eines Altersjahrgangs die allgemeine oder Fachhochschulreife erwirbt, sieht die OECD einen drohenden Mangel an Hochqualifizierten, der unseren Wohlstand gefährdet. Die dortigen Statistiker glauben zu wissen, dass in den OECD-Ländern „Jugendliche, die ohne einen Abschluss des Sekundarbereichs II abgehen, in der Regel auf große Schwierigkeiten bei ihrem Eintritt in den Arbeitsmarkt“ treffen. Ein frühes Verlassen der Schule sei sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft problematisch.

Dahinter steht die in den sechziger Jahren entwickelte Humankapitaltheorie, der zufolge ein kausaler Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Lebensund Volkseinkommen besteht. So konstatierte Friedrich Edding, der Pionier der Bildungsökonomie in Deutschland, eine positive Korrelation zwischen dem Bruttosozialprodukt je Kopf und dem relativen Besuch von Schulen des Sekundar- und Tertiärbereichs. Daher plädierte er für eine massive Erhöhung der Abiturientenquote nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten, wo 1959 schon zwei Drittel eines Jahrgangs die Hochschulreife erwarben, während es in Deutschland erst fünf Prozent waren. Dass das Niveau des amerikanischen High-School-Abschlusses mit dem deutschen Abitur kaum vergleichbar ist, spielte dabei keine Rolle. Politische Breitenwirkung erreichte diese Botschaft 1964, als Georg Picht sie in seinem Buch „Die deutsche Bildungskatastrophe“ in geradezu „apokalyptischer Sprache“ (Hellmut Becker) vortrug und damit eine bis heute anhaltende Expansion der höheren Bildung einläutete.

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