Veröffentlicht am 02.12.14
Rückzugsgefechte im diskursiven Tiefflug: Die „unternehmerische Hochschule“ hebt noch einmal ihr Haupt aus der Mottenkiste
Es muss schlecht um die Idee der „unternehmerischen Hochschule“ stehen, wenn deren Adepten sich gezwungen sehen, in einem diskursiven Tiefflug gegen vermeintliche „Hetzkampagnen gegen Unternehmerisches und Ökonomisches im Hochschulbereich“ vorzugehen. Dazu wird der Altvater eben jenes Modells, der Ex-Vorsitzende des CHE, einem Ableger der Bertelsmann-Stiftung, noch einmal aktiv, nun sekundiert vom Rektor der Universität Wuppertal, seines Zeichens Wirtschaftswissenschaftler.
Verharmlosungsstrategie statt Diskurs
Abenteuerlich ist weniger der Versuch an sich, denn es wäre verwunderlich, wenn Protagonisten dieses gescheiterten Modells ihr Scheitern einräumen würden. Abenteuerlich ist die Art und Weise, die an eine Art Tiefflug erinnert, der versucht, den diskursiven Treffern der Kritik des Modells zu entgehen, indem man schlicht darunter abtaucht. So wird diese Kritik entweder pauschal als „Kampfbegriff“ und „Hetzkampagne“ von „universitären Gralshütern“ und „Alt-68ern“ abqualifiziert. Oder man verharmlost das Konzept der „unternehmerischen Hochschule“, indem man das englische „entrepreneurial“ „im Sinne von ‚etwas unternehmen‘, ‚etwas anpacken‘“ verstanden wissen möchte. Mit dieser Ärmel-hochkrempel-Semantik meint man nun, den Fallstricken des ökonomistischen Denkens entgehen zu können. Das ist bestenfalls naiv, aber wohl eher schlechte Rhetorik.
Wie schlecht die ist, zeigt sich darin, dass man es für „mutwillige Irreführung“ hält, wenn dem “Begriff der unternehmerischen Hochschule automatisch die Bedeutung ‚wie ein Wirtschaftsunternehmen agierend‘“ zugeschrieben würde. Herr Müller-Böling hat offenbar vergessen, was er – in „Dankbarkeit“ dem Bertelsmann-Patriarchen Mohn gewidmet – im Jahr 2000 selbst geschrieben hat, und Rektor Koch hat dies vielleicht nie gelesen. Denn damals forderte Müller-Böling von der Hochschule als „Dienstleistungsunternehmen“ eben dies: Dienstleistungen in Forschung und Lehre zu produzieren, diese in „Konkurrenz zu anderen Hochschulen“ anzubieten, „auf die Anforderungen des ‚Marktes‘“ möglichst rasch zu reagieren, wobei der Staat sich in diesen Markt nicht einmischen dürfe (so viel zum neoliberalen Theorierahmen des Modells), Leistungen werden aufgrund von Input-Output-Rechnungen beurteilt usw. (vgl. Müller-Böling 2000, S. 24f.) Wo agiert eine solche Hochschule also anders als ein „Wirtschaftsunternehmen“ – außer dass der „Markt“ noch mehr ein Pseudo-Markt ist, als dies in der sog. „freien Wirtschaft“ der Fall ist? Exakt dieses „Unternehmertum“ war das Ziel der Reformen, nicht ein allgemeines „Ärmelaufkrempeln“.
Ökonomen verstehen Ökonomisierung nicht
Müller-Böling versuchte damals schon und jetzt wieder, diese Tatsache damit zu kaschieren, dass er die „Wirtschaftlichkeit“ von Hochschulen als „Optimierung der Zweck-Mittel-Relation“ verharmloste. (Müller-Böling 2000, S. 174) Die heute lebenden Insassen seines Modells der „autonomen Hochschule“ wissen besser, was dies real bedeutet: den fortgesetzten Terror immer zu knapper Mittel, die mit Hauen, Stechen und Ränkespielen aller Art – garniert mit Anträgen und hehren Worten – verteilt werden. Also eine Steuerung von Universität auf dem untersten Instinkt-Niveau, eben dem des „homo oeconomicus“, zu dem man Lehrende und Studierende herabgewürdigt hat.
Es geht also eben nicht um solche Harmlosigkeiten wie „geschickte Haushaltsführung“ und darum, Mittel oiko-nomisch verantwortlich einzusetzen. Und ebenfalls nicht allein um die Gefahr, „dass die Wissenschaft gezwungenermaßen oder freiwillig den diversen Interessen der Wirtschaft folgt“, wie Müller-Böling und Koch unterstellen – eine Gefahr, die zudem längst Realität ist.
Es gehört zu systematischen Blindheit von Ökonomen für das eigene Modell, dass sie dessen Struktur verkennen: Ökonomisierung meint nicht allein „Vermarktlichung“ von bislang nicht marktgängigen Gütern oder Dienstleistungen, sondern ein Denkmodell, eine Weltsicht und ein Menschenbild, dass den Menschen als durch Anreize steuerbar ansieht und entsprechende Techniken entwirft, diese Steuerung „marktgerecht“ optimiert zu realisieren. Ökonomisierung meint also im Kern den „ökonomischen Imperialismus“ (Becker 1993) des neoliberalen Modells, den hegemoniale Anspruch, der nicht mehr nur Wirtschaft, sondern alles Bereiche des menschlichen Lebens zu erklären und zu steuern beansprucht. Und in hegemonialen Selbstverständlichkeit dürfte das trotz Finanz- und Wirtschaftskrise ungebrochene Selbstbewusstsein begründet liegen, mit der Ökonomen auch heute noch behaupten, etwa Universität steuern zu können. Diese Selbstgewissheit dürfte wohl in der „geistigen Monokultur der Wirtschaftswissenschaft“ (1, Graupe) angelegt sein, aus deren Perspektive die Autoren argumentieren. Deshalb noch einmal deutlich: Ökonomismus ist keine Wirtschaftsform, sondern eine Steuerungsmodell! Ein undemokratisches und manipulatives Modell (2, Krautz) zur verdeckten und indirekten Steuerung von sozialen Prozessen. Und eben dies funktioniert heute hervorragend – in Hochschulen und in den meisten Bereichen der Gesellschaft.
Äußerst ineffizient stellt sich dagegen der genuine Ertrag des „Unternehmens Hochschule“ dar, denn die Hochschulen werden mit „sinnlosen Wettbewerben“ (Binswanger 2012) beschäftigt und ausgelaugt. Die Zeit für und die Qualität von Lehre und Forschung nimmt – auch durch die Bologna-Reform – rapide ab, die „Produktion von Unsinn“ (ebd.) zu. So führt der „System Error“ des sog. „freien Marktes“ auch hier nicht zu mehr Freiheit, sondern zu Unfreiheit. (Thielemann 2010)
Blinde Flecken bleiben
So bleiben die blinden Flecken: Blindheit für die Grundlagen und Implikationen des eigenen Modells, dem die Autoren folgen; Blindheit für die Propagandastrategien, mit denen dieses erst in die Wirtschaftswissenschaften und dann in alle gesellschaftlichen und kulturellen Felder eingespeist wurde (Ötsch 2009); Blindheit für die verheerenden Folgen der Übertragung solcher Kategorien auf egal welchen Zweig des Bildungswesens und der öffentlichen Daseinsvorsorge; und Blindheit für die längst sichtbaren Folgen und Schäden, die weitsichtigere Wirtschaftsvertreter (3, von Kuenheim) inzwischen selbst beklagen.
Bei den einen sind die blinden Flecken Teil der Change-Strategie. So formulierte Müller-Böling in aller Offenheit die autoritäre und undemokratische Haltung des CHE:
„Man darf Frösche nicht fragen, wenn man ihren Teich trockenlegen will. (…) Ich habe nie gedacht, dass man mit dreißig Leuten Dinge direkt durchsetzen kann. (…) Im CHE standen dreißig Leute 36 000 Professoren und zwei Millionen Studenten an achtzig bis hundert Universitäten und rund 260 Fachhochschulen gegenüber, außerdem 16 Landesministerien mit jeweils 300 Mitarbeitern“. (zit. n. Schuler 2010, S. 150)
Bei den anderen kann die mangelnde Weitsicht auch daraus resultieren, dass sie außer dem Zerrbild eines „toten Humboldt“ von dem, was Universität sein sollte und könnte, keinerlei Vorstellung mehr haben. (Empfehlenswert wäre daher gerade für deren Rektor einmal die Lektüre des Leitbildes der Universität Wuppertal, die sich dezidiert als „in der humboldtschen Bildungstradition“ (4, Uni Wuppertal) stehend beschreibt.) Es bleibt also die – schwierige – Aufgabe, gerade dessen Vertretern jene „verborgenen Quellen des Marktgehorsams“ (4, Graupe) und seine fatalen Auswirkungen auf Wissenschaft, Bildung, Kultur und Demokratie zugänglich zu machen.
Weiteres Navigieren mit Sehfehler führt jedenfalls zu solchen inzwischen eher peinlichen, weil längst durchsichtigen Strategien des diskursiven Tiefflugs.
1) Silja Graupe: Ökonomische Bildung: Die geistige Monokultur der Wirtschaftswissenschaften und ihre Alternativen
2) Jochen Krautz: Bildungsreform und Propaganda
3) Eberhard von Kuenheim: Wider die Ökonomisierung der Bildung
4) Silja Graupe: Die verborgenen Quellen des Marktgehorsams — und wie wir sie verändern lernen
Literatur:
Becker, Gary. S.: ›Economic Imperialism‹. In: Religion&Liberty, Vol. 3, Nr. 2, 1993
Binswanger, Mathias: Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren. Freiburg 2010
Müller-Böling, Detlef: Die entfesselte Hochschule. Gütersloh 2000
Ötsch, Walter Otto: Mythos MARKT. Marktradikale Propaganda und ökonomische Theorie. Marburg 2009
Schuler, Thomas: Bertelsmann-Republik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik. Frankfurt/New York 2010
Thielemann, Ulrich: System Error. Warum der freie Markt zu Unfreiheit führt. Bonn 2010
Tags: Bertelsmann > Bologna > Hochschulbildung > Ökonomisierung
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