Veröffentlicht am 05.06.14

Reformierter Unterricht – Entgrenzung oder Erosion einer pädagogischen Praxis

Gehandelt werden soll von der Entgrenzung des Unterrichts, so dass seine Grenzen bestimmungsbedürftig werden. Vor einiger Zeit habe ich einen Band mit empirischen Unterrichtsanalysen unter dem Titel „Grenzen des Unterrichts“ (2010) vorgelegt. Die Markierung von Grenzen erfolgte dort als die Bestimmung eines Diesseits und Jenseits auf einer Skala. Auf der einen Seite handelt sie von der negativen Auflösung der Form. Mit ihr wird das Telos des Unterrichts verlassen, nämlich Erziehung als Lehren des Verstehens zu organisieren. Jenseits der Grenze findet weiterhin soziale Praxis im Klassenzimmer statt. Sie schrumpft aber auf oder verändert sich zur Unterhaltung oder hilflosen Erziehung durch eine Beschäftigung der Schüler mit Dingen und Aufgaben, mit denen nichts mehr gelernt und vermittelt werden kann. Auf der anderen Seite bezieht sich die Grenze auf die Aufhebung des Unterrichts in gelingender Pädagogik. Sie macht sich also durch Unterricht im guten alten Sinne selbst überflüssig. Es geht im Unterricht zwanglos um die Abneigung und Zueignung der Sache, die zu deren Verstehen führt. Es wird nicht mehr anders als über die Ansprüche der Sache erzogen. Didaktische Hilfen sind solche zur wechselseitigen Erschließung. Die Sache trifft auf die Schüler in der Form, dass durch sie deren Erkenntnis möglich wird. Die Finalisierung des Unterrichts durch die Leistungsüberprüfung ist scheinbar verschwunden.

Man könnte daran anschließend die Entgrenzungsthematik auf zwei Pole beziehen: einmal auf die Verwirklichung der Pädagogik im Unterricht oder deren Abschaffung durch einen Unterricht, der nicht mehr darauf ausgerichtet ist, weswegen er einmal in die bürgerliche Welt kam.

Der positive Fall, dem ich in jener Monografien meine primäre Aufmerksamkeit gewidmet habe, ist der seltene und als solcher nicht einmal der vollständig gelingende Ausnahmefall. Der negative Grenzfall dagegen begegnete uns in unsren empirischen Studien zum alltäglichen Unterricht immer wieder.
Diese Studien treiben wir nun schon zehn Jahre, in den letzten acht Jahren verstärkt und fokussiert um den allgemeinbildenden Unterricht in achten Klassen des allgemeinbildenden Schulwesens und zwar über fast alle Fächer hinweg. Das Projekt nennt sich absichtsvoll beziehungsreich PÄRDU: Pädagogische Rekonstruktion des Unterrichtens.

Aber bevor tiefer in das empirische Material zur Entgrenzung als Erosion der Form eingedrungen wird, sei systematischer gefragt, welche Möglichkeiten die Vorstellung von der Entgrenzung des Unterrichts eröffnen. Um Nachsicht bitte ich freilich jetzt schon dafür, dass ich dabei inzwischen gar nicht mehr anders kann, als einen gewissen Furor zu entwickeln.

Der ganze Beitrag als PDF: A. Gruschka: Reformierter Unterricht