Veröffentlicht am 08.01.24

PISA 2022: Deutschland auf dem Weg in die Bildungskatastrophe.

Eine kritische Bestandsaufnahme der Ursachen und Folgen. Zwanzig Jahre Kompetenzorientierung und kein bisschen weise.

Von Hans-Peter Klein

PISA 2022: Die zentralen Ergebnisse
Wie seit 2000 alle drei Jahre wurde am 07.12.2023 die PISA-Studie 2022 mit einem Jahr Verspätung aufgrund der Corona-Ereignisse der deutschen Öffentlichkeit in Berlin vorgestellt. Allen am Bildungsgeschehen in den Kitas und Schulen unmittelbar Beteiligten war eigentlich klar, dass dabei für Deutschland nichts Gutes zu erwarten sei. Die letzte IGLU-Studie und der IQB-Trend deuteten die Richtung bereits an (vgl. hierzu den Condorcet Blog Beitrag vom 07.01.2023). Dass es jetzt so schlimm kommen würde, hatten sich vor allem die Politiker nicht erhofft. Im Bundesministerium in Berlin überließ die Bildungsministerin gar ihrem Staatssekretär die knappe Kommentierung der äußerst bedenklichen Ergebnisse. In allen drei getesteten Bereichen der Lesekompetenz, der Mathematik und der Naturwissenschaften sind in allen fünf Kompetenzbereichen signifikante Leistungsrückgänge zu verzeichnen, die deutlich unter dem Mittelwert der OECD liegen (1, 2). So schlecht hatte Deutschland noch nie in den PISA-Studien abgeschnitten. Bei aller möglicher Kritik an den PISA-Studien, auf die im Folgenden beispielhaft näher eingegangen wird, lässt sich nicht leugnen, dass die erzielten Ergebnisse zumindest reale Tendenzen im deutschen Bildungswesen abbilden. Das hätte man allerdings auch billiger haben können, indem man nämlich auf die eigentlichen Fachleute – die Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen – gehört hätte. Die hatten nämlich seit Langem von einem Leistungsabfall generell und insbesondere in Brennpunktschulen aller deutschen Großstädte mit hohen Anteilen bildungsferner Milieus eindringlich gewarnt.

Kritik am bildungsökonomischen Gesamtkonzept von PISA
Als ersten Kritikpunkt kann man sicherlich vorbringen, dass seit 2000 eine wahre Flut von Testverfahren über die Schulen hereingebrochen ist. Ein kontinuierliches Bildungsmonitoring sei aber die Grundlage für Verbesserungen, so das Mantra der empirischen Bildungsforschung. Nach 20 Jahren lassen diese aber nach wie vor auf sich warten. Schlimmer noch, ein deutlicher Rückgang der schulischen Leistungen ist nicht nur in den Studien festzustellen. Vom vielen Wiegen wird also die Sau nicht fetter!

Ganz im Gegenteil wurde mit den PISA-Studien ein kompetenzorientiertes „Bildungskonzept“ durchgesetzt, welches in Abkehr vom Humboldt´schen Allgemeinbildungsgedanken nicht mehr auf die Bereiche Bildung und Wissen ausgerichtet ist, sondern entsprechend der Weinert´schen Kompetenzdefinition den Schwerpunkt auf die Anwendungsorientierung und die Problemlösung legt. Eberhard von Kuenheim, der ehemalige Vorstandsvorsitzende von BMW, hat bereits 2011 in einem damals viel beachteten Beitrag in der FAZ „Wider die Ökonomisierung der Bildung“ ausgeführt, dass ein enger Utilitarismus gerade in Bildungsfragen von geringem Nutzen sei. Er spricht darin vom Wahn der Kennzahlen: „Eine der Wurzeln in der Ökonomisierung aller Lebensbereiche liegt in dem Meßbarkeitswahn, der sich allgemein und auf breiter Ebene durchgesetzt hat und auch unser Bildungssystem beherrscht. … Der Wahn, alles und jedes in Kennzahlen pressen zu wollen, verkennt die Wirklichkeit und kann trügerische Sicherheit verleihen mit der Folge gravierender Fehlentwicklungen.“ (3) Und die sind nunmehr folgenschwer eingetreten.

Grundsätzliche Kritik an der Vermessung von Bildung hat der Kollege Meyerhöfer ebenfalls in einem FAZ Beitrag „Empirische Gewissheit gibt es nicht“ vorgestellt. Den Geist der Kinder auf einer Skala abbilden zu wollen und dann noch mit Ziffern zu belegen und daraus internationale Rankingtabellen zu erstellen, in denen nicht einmal bekannt sei, was sich beispielsweise hinter der Zahl 497 oder 513 genau verbirgt, sei mehr als gewagt und einer tatsächlichen Bildung abträglich. (4) Jeder Fußballfan kann in der Bundesligatabelle den Tabellenlatz laut erreichter Punktzahl einsehen. Er kann aber anhand der weiteren Kennziffern – gespielte Spiele, Tordifferenz, Siege, Unentschieden, Niederlagen – genau nachvollziehen, wie der Tabellenplatz zustande gekommen ist. Und genau das ist bei den Rankings der PISA Studien nicht möglich, außer den Pisianern selbst. Nicht einmal die Ursachen des jeweiligen Abschneidens können klar und eindeutig diagnostiziert werden. Man stochert im Bildungsnebel herum. Da könnten Praktiker – also Lehrerinnen und Lehrer – weit mehr zu sagen, ohne Studien zu erheben, würden sie denn nur gefragt. Natürlich kann man mit Rankings vor allem die Bildungspolitiker bluffen, denen es ja letztlich nur darauf ankommt, einen besseren Platz im Ranking zu belegen. Und wie Meyerhöfer weiter ausführt, kann man die Skalen strecken, sodass in Wahrheit geringe Unterschiede groß erscheinen. Das macht Eindruck und spült mehr Geld in die Kassen der Tester.

Der Einfluß von Corona und der unkontrollierten Migratiom
Kritiker mögen nun anführen, dass die diagnostizierten Leistungseinbußen auch andere Ursachen haben. Dem ist nur einschränkend zuzustimmen. Sicherlich hat die unsinnige Corona-Politik in Deutschland mit wochenlangen Schulschließungen und mehr oder weniger digitalem Fernunterricht einen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet. Allerdings dürfte dieser Effekt deutlich kleiner ausfallen als vernutet. Daraus würde ja folgen, dass bei weltweiter Pandemie die PISA Ergebnisse aller Staaten – je nach Durchführung der Corona-Maßnahmen – mehr oder weniger rückläufig sein müssten, was sie aber bei genauerer Betrachtung von PISA 2022 nicht sind.

Ein weiterer wesentlicher Grund für den Absturz sei die gerade in Deutschland zu beobachtende unkontrollierte Einwanderung vornehmlich aus bildungsfernen Schichten. Zumindest für das bereits rückläufige Ergebnis in 2015 trifft diese Interpretation nicht zu. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Studie gab es noch keine Migrationskrise. Der regelrechte Absturz in den PISA Ergebnissen von 2018 und 2022 lässt diese Vermutung allerdings als einen der wesentlichen Gründe für diese Entwicklung erkennen. Eine derart hohe Migrantenquote, wie sie in PISA 2022 für Deutschland ausgewiesen ist, hat es bisher in Deutschland noch nicht gegeben. In der Folge sind die stark rückläufigen Leistungen in allen getesteten Kompetenzbereichen auch ein guter Beleg dafür, dass bei der extremen Heterogenität in den Klassen eine Förderung aller entsprechend ihrem Leistungsstand unmöglich ist. Vor allem die Grundschulen werden seit geraumer Zeit mit Kindern geflutet, die nur lückenhaft oder gar nicht der deutschen Sprache mächtig sind und die eine neue Superdiversität in den Klassen zur Folge haben, die pädagogisch kaum noch erfolgreich zu handhaben ist. Diese Entwicklung wurde in der PISA-Studie 2022 aber noch gar nicht erfasst, da hier nur 15-
Jährige getestet werden. Weiteres Unheil ist also vorprogrammiert.

Die gerade für Deutschland laut OECD gebetsmühlenartig vorgeworfene Größenordnung sozial-ökonomisch-kultureller Disparitäten ist aufgrund des zur Verfügung gestellten Datenmaterials im Vergleich zu anderen Ländern allerdings so nicht nachzuvollziehen. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Daher wird diesem wesentlichen Bereich der sozioökonomischen Disparitäten und ihrer Bedeutung für den Bildungserfolg ein eigner Beitrag gewidmet werden.

Kompetenzorientierung auf Abwegen
Kommen wir nun zurück zum kompetenzorientierten PISA Konzept. Es ist mehr als offensichtlich, dass PISA keine curriculare Validität besitzt. Das wird auch von den Erstellern der Studie durchaus eingeräumt. Kann es auch gar nicht, da sich die einzelnen Lehrpläne in den unterschiedlichen Ländern wegen ihrer unterschiedlichen kulturellen Einbindung und Bildungsvorstellung signifikant voneinander unterscheiden. Entsprechend wurde bereits 2000 von der OECD ein rudimentäres lesekompetenzorientiertes Bildungskonzept vorgestellt, indem die Sachinformationen vorgegeben und durch Lesekompetenz die Antworten zu finden sind, die in den Texten vorgegeben werden. Es ist letztlich ähnlich dem vor allem in Deutschland in den 90er Jahren praktiziertem Konzept des Klipert´schen Lernens, von dem heute niemand mehr redet, dass aber seinerzeit nicht nur von Bildungspolitikern als unerlässlich für den Bildungserfolg bewertet wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass aus testökonomischen Gründen rund 70% der Fragen Multiple-Choice-Fragen sind. Stehen 4 Antwortmöglichkeiten zur Verfügung, kreuzt man ohne jedes Wissen mit 25%iger Wahrscheinlichkeit die richtige Antwort an, bei nur 2 Ankreuzungsmöglichkeiten steigt die Chance der richtigen Antwort auf 50%. Wer dann noch im „Teaching to the test“-Verfahren auf solche Aufgaben dressiert wird und das Ausschlussprinzip beim Ratespiel „Wer wird Millionär“ anwendet, kann eigentlich an solchen Tests nicht scheitern. Mit Bildung und Wissen, wie von den Testkonstrukteuren behauptet wird, hat dies rein gar nichts zu tun. Die geringfügigen Verbesserungen der Schüler aus Deutschland in den ersten 10 Jahren mögen genau darauf zurückzuführen sein.

Nun wäre es ja nicht schlimm, wenn alle drei Jahre ein solcher Test durchgeführt würde. Mittlerweile hat die empirische Bildungsforschung aber ein Beratungsmonopol im regierenden Berlin aufgebaut und man flüstert den Politikern ins Ohr, dass trotz IGLU, dem IOB-Trend, der Vera-Studie u.a. alles Geld ins Testen gesteckt werden müsse, um erfolgreich gegenzusteuern zu können. Nach nunmehr mehr als 20 Jahren PISA&Co und dem völligen Versagen der eingeführten Konzepte wäre es nun allerdings an der Zeit, das Beratungsmonopol der Bildungsquadriga aus IPN, IQB, TUM und des DIPF zumindest einmal in Frage zu stellen. Als gäbe es keine bessere Bildungsberatung.

Zweifelhafte Kompetenzorientierung im deutschen Schulwesen
Es kommt aber noch viel schlimmer. Genau dieses kompetenzorientierte PISA-Konzept wurde durch die empirische Bildungsforschung in der Klieme Expertise von 2003 als eine Art Paradigmenwechsel dem deutschen Bildungswesen zwanghaft verordnet. Kompetenzorientierte Bildungsstandards sollten die gewünschten Erfolge garantieren. Auch die Abituraufgaben gleichen seitdem PISA-Aufgaben, in allerdings größerem Umfang. Selbst in den MINT-Fächern werden seitenlange Texte vorgegeben, die alle wesentlichen Informationen enthalten. Es gilt, die richtigen Stellen zu finden, um die anschließenden Fragen entsprechend dem Erwartungshorizont beantworten zu können und relativ einfache Grafiken zu beschreiben. Ein grundlegendes Fachwissen ist dafür nicht notwendig, eher hinderlich, da der Schüler etwas Gelerntes einbauen will, nachdem aber nicht gefragt ist.

2010 sorgte unsere Nagelprobe mit einer 9. Klasse für bundesweites Aufsehen. Schüler der 9. Klasse konnten ohne größere Probleme eine Leistungskursklausur mit dem schönen Inhalt der Streifenhörnchen teils sogar mit befriedigenden und guten Noten lösen. Nur 4 erreichten nicht die notwendige Punktzahl für ein ausreichend. Warum war und ist das auch heute noch möglich? Weil entsprechend dem Erwartungshorizont fast alle Lösungen im ausführlichen Text vorhanden waren. Lesekompetenz ist also für das erfolgreiche Abschneiden ausreichend.
Wie problematisch derartige Aufgabenformate sind, zeigt auch ein Abituraufgabenbeispiel aus Hamburg von 2014. Analog zu den Streifenhörnchen ging es hier um das Thema Miesmuscheln und Pazifische Auster im Wattenmeer (komplette Aufgabenstellung und Arbeitsmaterial exklusiv für diesen Blog in der Anlage 1). Auch hier wird der Schüler zuerst mittels eines langen Textes in die Biologie der Miesmuschel und der eingewanderten Pazifischen Auster eingeführt, inklusive Fotos. Auch hier ist ein fachliches Vorwissen eher hinderlich. Ziel der Aufgabenstellung ist es, die Bedrohung der Miesmuschel durch die eingewanderte Pazifische Auster aus dem asiatischen Raum zu erkennen und Vorschläge zu deren Bekämpfung inklusive Bewertung der Maßnahmen aufzustellen.

An der fachlichen Korrektheit des Textes zweifelnd habe ich die Aufgabe einem Fachkollegen des Alfred Wegener Institut auf Sylt zur Begutachtung vorgelegt, der Experte für pazifische Austern ist. Pazifische Auster Aufgabe Sein Urteil war vernichtend. Nicht einmal die Fakten in dem Aufgabentext stimmten: Von einer stabilen Wildpopulation kann keine Rede sein. Außer im Helgoländer Felswatt verzehren an deutschen Küsten keine Schnecken Miesmuscheln. Die Schnecke Austerndrill gibt es nicht, es ist eine Sammelbezeichnung für aus dem asiatischen Raum eingewanderte Schnecken. Diese Schnecken sind allesamt nicht auf Austern spezialisiert, sie kämen für eine biologische Bekämpfung gar nicht in Frage. Selbst die Kernaussagen sind falsch: Die pazifische Auster wird überhaupt nicht bekämpft und die Pazifische Auster ist überhaupt nicht für den Rückgang der Miesmuschel verantwortlich, wie die Grafik vorgaukelt, die dem Text beigefügt ist. Auch haben sich die Bestände der Miesmuscheln längst erholt. Um Aussagen zur Stabilität von Populationen zu machen, sind wesentlich längere Zeiträume vonnöten, als in der Grafik dargestellt. Anscheinend scheint in den Ministerien die Fachkompetenz verloren gegangen zu sein.

Als ich in einem Interview diese Aufgabe beispielhaft in der SZ seinerzeit erwähnte, rief mich ein Ministeriumsmitarbeiter an und sagte ungefähr: „Herr Klein, Sie haben das mit der Kompetenzorientierung immer noch nicht verstanden. Uns geht es nicht um Fachwissen, sondern um den Umgang mit Wissen.“ Es ist also völlig egal, ob die Miesmuschel durch die Pazifische Auster verdrängt worden ist oder ob sie bekämpft wird oder nicht. Korrektes Fachwissen spielt bei kompetenzorientierten Aufgaben keine Rolle mehr. Entsprechend heißt der Kompetenzbereich in fast allen Bundesländern auch „Umgang mit Fachwissen“. Das wiederum ist nun hoch problematisch und bedeutet nichts anderes als: Abiturienten der Zukunft brauchen selbst nichts mehr zu wissen, sondern sollen mit dem Wissen anderer arbeiten können, also eine Art betreutes Denken entwickeln. Bürger mit gefühltem Wissen scheinen mit Worten anscheinend leichter manipulierbar zu sein. Und das in Zeiten von KI und Fake News.

Der Mathematikunterricht ist von diesen Fehlentwicklungen besonders betroffen. Eine Analyse des Kollegen Lemmermeyer, seines Zeichen Professor für Mathematik und Gymnasiallehrer an einer Schule in Baden-Württemberg, zeigt in der Fachzeitschrift „Mitteilungen der Deutschen Mathematiker Vereinigung“, welche Ausmaße die Fehlentwicklungen bereits genommen haben. In einer Analyse ausgewählter Modellierungsaufgaben des Wahlteils Geometrie und Analysis aus dem Mathematikabitur von 2016 stellt er fest, dass selbst für die Lösung der Analysis-Aufgaben Lesefertigkeit und die Beherrschung des grafikfähigen Taschenrechners ausreichen. Rechenfertigkeiten seien dabei nicht notwendig. Trotzdem lägen die großen Schwierigkeiten in der Entkleidung des Aufgabentextes. Er stellt zum Schluss die Frage: Kompetenz oder Mathematik? Seit Fazit: „Unser Bildungssystem befindet sich im freien Fall. Um diesen etwas zu bremsen, müssen die Modellierungsaufgaben schnellstmöglich entsorgt werden. Die Ausbildung der künftigen Lehrer muss wieder in die Hände von Lehrpersonen gelegt werden, die ihr Fach verstehen und sich dafür begeistern können, und darf nicht den Bildungsforschern, Erziehungswissenschaftlern und Didaktikern überantwortet werden, die bis auf wenige Ausnahmen seit Jahrzehnten an der Abschaffung der Inhalte des Mathematikunterrichts arbeiten.“ (5)

Die Folgen des Kompetenzdesasters
Die Folgen dieser Fehlentwicklungen im kompetenzorientierten Schulunterricht sind ebenfalls verheerend. Das zeigen die von den Landesregierungen finanzierten Nachhilfekurse für Studienanfänger vor allem in den MINT-Fächern, in denen teils unterer Mittelstufenstoff in Schnellkursen wiederholt werden muss, um die hohen Durchfall- und Abbrecherquoten in einem halbwegs erträglichen Maß zu halten. Derartige kompetenzorientierte Aufgabenformate sind in allen Fachbereichen der Hochschulen völlig unbekannt. Ganz im Gegenteil findet hier vor allem in den grundlegenden Bachelor-Studiengängen nicht nur der MINT-Fächer ein Pauken harter Fakten statt, die in den Modulabschlussprüfungen kompromisslos abgefragt werden. Die Schulmathematik oder auch Schulbiologie vor allem in der Sekundarstufe II hat mit der Mathematik und Biologie, wie sie an den Universitäten betrieben wird, rein gar nichts zu tun. Fatal dabei ist, dass auch die Hochschulen mit in den Abwärtssog nachlassender Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig mehr oder weniger verordnetem Notendumping hineingezogen werden, sieht man einmal Jura ab.

Der Mathematiker Bernhard Krötz berichtete u.a. auch im Condorcet-Blog vom 04.12.2023, dass so gut wie kein deutscher Abiturient das Joint-Entrance-Exam in Indien – die Aufnahmeprüfung für ein Studium an einer Hochschule – bestehen würde und dass ein heutiger Mathematiklehrer für Realschulen an den Abschlussprüfungen der Realschulen im Fach Mathematik aus dem Jahre 1971 aus Baden-Württemberg kläglich scheitern würden. Die Nivellierung insbesondere der fachlichen Ansprüche auch in der Lehrerausbildung geht unvermindert weiter.

Diese Form von kompetenzorientierten Modellierungsaufgaben ist geradezu toxisch für die Schulmathematik und das gesamte Bildungswesen. Sie benachteiligt zudem Migrantenkinder mit Lücken in der deutschen Sprache in besonderem Maße, da selbst in den PISA-Studien die Ergebnisse in Lesekompetenz mit denen in Mathematik korrelieren. Es ist an der Zeit, Defizite nicht nur festzustellen, sondern sie auch zu benennen und zu beheben, um überhaupt dem negativen Trend halbwegs gegensteuern zu können. Nicht nur die Leistungsspitze in den Schulen erhält keine adäquate Förderung mehr. Leistung wird von vielen Wokisten als ausgrenzend und diskriminierend, ja gar als rassistisch gebrandmarkt. Und auch am anderen Ende des Leistungsprofils in den Schulen sieht es düster aus. Derzeit ist die Wirtschaft gerade von dieser negativen Entwicklung massiv betroffen, da immer mehr Schulabgänger entweder überhaupt keinen Schulabschluss haben oder kaum ausbildungsfähig sind. Bleibt nur die Hoffnung auf das Bürgergeld. Dass dies aber von anderen erwirtschaftet werden muss, scheint nicht einmal mehr in der derzeitigen Regierung präsent zu sein.

Quellen
(1) Lewalter, D., Diedrich, J., Goldhammer F., Köller, O., REISS, K. (Hrsg) (2023) PISA 2022. Analyse der Bildungsergebnisse in Deutschland. Waxmann, Münster, New York
(2) OECD (2023) PISA 2022 Results: Factsheets. Germany. https://www.oecd.org/publication/pisa-2022-results/country-notes/germany-1a2cf137/
(3) von Kuenheim, E. (2011) Wider die Ökonomisierung der Bildung. FAZ v. 13.04.2011
(4) Meyerhöfer, W. (2013) Empirische Gewissheit gibt es nicht. FAZ v. 27.09.2013
(5) Lemmermeyer, F. (2016) Abituraufgaben und Kompetenz. Mitteilungen der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 24, 170-173


Siehe auch:

Ergebnisse der PISA-Studie – „Heute bedeutet ‚Abitur‘ betreutes Denken“

Interview von Mathias Brodkorb (Cicero) mit Hans-Peter Klein vom 17.12.2023

Der Biologie-Professor Hans-Peter Klein zählt zu den profiliertesten Stimmen in der deutschen Bildungsdiskussion. Im Interview spricht er über die katastrophalen Ergebnisse der PISA-Studie, bildungsferne Migranten und die Abschaffung des Leistungsprinzips.