Veröffentlicht am 22.12.15

Narren oder Brandstifter?

Über Evaluation und Kulturimperialismus (1)

Überall in Europa bereitet die Evaluation universitärer Forschung Probleme. Wer das Gegenteil behauptet, lügt, oder er kennt sich nicht aus. Ob Evaluation wirklich nötig ist, wird derzeit kaum diskutiert, obwohl sie enormen Aufwand erzeugt – auf Kosten der Forschung und der Lehre. Schlimmer als Unnötiges aber ist Schädliches.

Und schädlich ist es, wenn Wissenschaft manipuliert oder behindert wird, sodass sie sich nicht mehr entfalten kann. Wissenschaft funktioniert nur aus der individuellen Initiative von Wissenschaftlern und in der jeweils speziellen Tradition einer Wissenschaftskultur; Innovation und Vernetzung entstehen spontan, wenn Wissenschaftler die Fragen bearbeiten können, die sie interessieren. Wer bürokratische Formen der Vernetzung verlangt, bekommt keine Innovation. Dennoch sind standardisierte Formen der Überprüfung international und gesamtgesellschaftlich in Mode, aus bekannten Gründen und sicher noch für eine gewisse Zeit. Sie schaffen die Illusion quantitativer Vergleichbarkeit oder gar von Objektivität; sie bringen eine Heerschar von Bürokraten und Ideologen in Arbeit und Brot; und sie erleichtern den gestaltenden oder auch manipulativen Zugriff von Politik, Bürokratie und Ökonomie auf die Gesellschaft.

Zwar wird der Protest immer lauter. Das betrifft etwa die „Bewertung“ von Forschung nach „bibliometrischen Methoden“. Denn es ist offenkundig, dass dadurch nicht die Qualität steigt, sondern nur die Macht der Personen und Unternehmen, die den Zugang zu bestimmten Journals kontrollieren; weiterhin diejenige derer, die Zugang haben und Zitate als Tauschware gegen Gegenzitate anbieten können. Dass peer review weder solche Praktiken noch die Publikation unbrauchbarer Texte verhindert, weiß man mittlerweile sogar aus so „harten“ Fächern wie der medizinischen Forschung. Wohl aber entsteht ein Konformitätsdruck, der neue Themen und Ansätze unterdrückt. Gleiches gilt für die internationalen Universitätsrankings, deren Methoden teils undurchsichtig, teils sachwidrig sind und die jedenfalls die Universitäten bestimmter Länder oder Fachrichtungen gezielt begünstigen. Das zeigt sich an einem so schlichten Kriterium wie der Zahl der Nobelpreise: Diese gehen notwendigerweise primär in die Naturwissenschaften und dort an Institute, die bereits viel Geld für Apparate und Personal haben; damit mehrheitlich in den englischsprachigen Raum. Die Folgen des Rankings treffen aber ebenso stark beispielweise die Philosophische Fakultät einer kleinen italienischsprachigen Universität, ganz gleich, wie gut diese wirklich forscht und lehrt. Wenn dort mehr Personen Altgriechisch lesen können als in einem ganzen Bundesstaat der USA und wenn diese Personen damit sozusagen die Seele Europas bewahren, prosaischer gesprochen: Europas geistige Ressourcen aktuell halten, dann nützt das der kleinen Universität im Ranking nichts. Es geht also um Interessen, um einen ökonomisch motivierten Kulturimperialismus.

Der ganze Beitrag als PDF: Baldus: Evaluation und Kulturimperialismus

(1) Erscheint parallel in der Revista Electrónica de Direito (RED) der Universidade do Porto. Übersetzung ins Portugiesische: Dr. Tiago Azevedo Ramalho, Porto. Der Verfasser gehört dem Wissenschaftlichen Beirat des im Artikel erwähnten portugiesischen Universitätsinstituts an.