Veröffentlicht am 01.02.23

Künstliche Intelligenz wird schulreif

Von Hemma Poledna und Ulrike Schark (zuerst erschienen in: Die Presse, 13.01.2023)

Es stehen mit ChatGPT und ähnlichen KI-Programmen Technologien zur Verfügung, die enormes Potential in sich tragen. Texte zu jedem erdenklichen Thema können KI-generiert geschrieben, übersetzt, editiert und korrigiert werden. Das lässt sich probieren und man staunt, was sich (noch) kostenlos in wenigen Sekunden erzeugen lässt. Es eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten, die natürlich auch für Schule und Pädagogik grundlegende Fragen aufwerfen.

Ein Kopf-in-den-Sand-Stecken oder Blockieren von KI ist keine Option. Junge Leute haben plumpe Verbote nicht gern und mögen es noch weniger, für dumm verkauft zu werden. Diese Software wird immer besser funktionieren, neue Varianten werden auf den Markt kommen. Die aufkommende Nervosität um sichere Prüfungsumgebungen oder effizientere Kontroll-Software, die KI Generiertes enttarnen soll, erscheint angesichts dieser Entwicklungen hilflos und wenig zukunftsfähig. Fachleute verweisen darauf, dass auch das Austricksen der Prüfsoftware unausweichlich ist. Es stellen sich andere Fragen, die mit der Aufgabe von Schule in Demokratie zu tun haben.

Faktenwissen und Inhalte lernen sind im aktuellen Diskurs um schulische Bildung wenig sexy. Aus den Unterrichtsgegenständen verschwinden sie zusehends und weichen dem Paradigma der „Kompetenz“. Kompetenzorientierter Unterricht ist angesagt. Wichtig ist dabei, dass kompetenzorientierter Unterricht darauf abzielt, dass Aufgaben schematisch unter Anwendung bestimmter Kriterien oder Operatoren bearbeitet und gelöst werden können. Allerdings kann genau das auch KI. Wenn mit Google argumentiert werden konnte, dass Faktenwissen nicht mehr wichtig ist, wird durch ChatGPT kompetenzorientierter Unterricht ad absurdum geführt. Schematisierte Problemstellungen zu lösen, ist genau das, worauf KI trainiert und spezialisiert ist. Und wenn von Schülern nur das erwartet wird, stellt sich die Frage: Wohin wollen wir mit der Schule?

Wozu arbeite ich noch selbst an einer mathematischen Aufgabe? Wozu will ich eine wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung oder eine ökonomische Theorie verstehen und sie in einem mir wichtigen Gespräch aus meinem Kopf abrufen können? Wozu will ich die Beweggründe und Argumente von Winston Churchill verstehen? Ist es relevant, die Vorgeschichte der NS-Zeit erklären zu können? Wozu Literatur lesen, darüber nachdenken oder noch selbst darüber schreiben? Ist es wichtig, dass ich selbst recherchieren und Quellen beurteilen kann, um Fake News zu erkennen? Wer legt fest, was zur Recherche zur Verfügung steht? Wozu nachdenken, wenn es die Maschine schneller macht?

Solche Fragen stellen sich. Nicht die beste KI-check-Software ist Thema für die Schule. Mit KI stehen wir vor einer Frage an uns alle: Was wollen wir für uns und unsere Kinder? Wie soll Bildung und Schule aussehen, die junge Menschen zum „selbsttätigen Bildungserwerb (…), zu selbständigem Urteil, sozialem Verständnis“ anleitet und sie befähigt, „am Wirtschafts- und Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken“, wie es im Gesetz steht? Soll das nur mehr mit kompetentem Navigieren auf unseren digitalen Endgeräten funktionieren und dem Zurechtfinden mit den neuesten technologischen Entwicklungen? Wozu dann in die Schule gehen?

„Die Physiklehrerin, die ist gekommen und wollte, dass wir die Formeln wirklich parat haben. Da war sie echt streng. Sie war die, die uns erklärt hat, was das Problem an der Energiegewinnung aus Wasserstoff ist, das habe ich verstanden. Bei der lernen wir was.“ „Ich hätte nie die Bücher kennengelernt, die wir im Unterricht gelesen haben. Er (Lehrer) hat unheimlich viel drumherum erklärt und erzählt. Es waren wirklich spannende Fragen, die wir dann diskutiert haben. Am besten habe ich mir die Gespräche mit der Klasse darüber gemerkt. Was andere da rausgelesen haben, hätte ich nicht einmal bemerkt.“

In diesen Schüleraussagen steckt etwas davon, was Schule alles beinhaltet und worauf es ankommt. Für erfolgreiches Lernen braucht es gute Lehrer, die von ihrem Fach begeistert sind und eine Haltung an den Tag legen, die von Herzlichkeit, Aufrichtigkeit, Zutrauen, Erwartung, Humor und Geduld geprägt ist. Und es braucht Eltern, die verstanden haben, dass es sich gut anfühlt, wenn man etwas selber kann und wie viel es einem gibt, wenn man eine anstrengende Sache geschafft hat. Eltern, die etwas übrig haben für Neugier, die bei Schwierigkeiten nicht sofort in Panik geraten, denen Schule eine wichtige Angelegenheit ist, die begleiten und unterstützen und die ihren Kindern zumuten, selbständig zu werden. Aber nicht nur Eltern, sondern auch Journalisten und Politiker, denen an fähigen jungen Leuten etwas liegt.

Der Lockdown hat gezeigt, wie eng Lernen und Beziehung miteinander verbunden sind. In der Schule treffen sich ganz unterschiedliche Menschen, um unter Anleitung für eine begrenzte Zeit an einer bestimmten Sache zu arbeiten und mit- und voneinander zu lernen. Lernen ist etwas, das sich zwischen Menschen abspielt. Wenn man über etwas reden kann – ohne „Äh, ich muss erst mal googeln“ – wird man zu einem echten Gegenüber. Damit entsteht Beziehung, es wächst Aufmerksamkeit und geistige Beweglichkeit. Das macht glücklich, selbstbewusst und verbindet. Bei allen Verbesserungsmöglichkeiten von Schule wird es ohne sie für viele doch schwierig werden, diese Fähigkeiten zu entwickeln, weil sie ein zwischenmenschlicher Lernort ist.

Klar ist, dass schulische Aufgaben in den Oberstufen weiterbildender Schulen schon bald mit ChatGPT gelöst werden – vermutlich schon in der nächsten VWA-Runde. Klar ist auch, dass ChatGPT vorläufig guten Schülern nützen wird, die relevanten Fragen zu formulieren und mit den gelieferten Antworten etwas anfangen zu können, so dass wir es nicht merken.
Unruhig sollte in diesem Zusammenhang auch machen, dass im Jahr 2018 in Österreich tatsächlich 23,6% der 15-Jährigen mit unzureichenden Leseleistungen ausgestattet waren. Tendenz laut OECD steigend! Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die drängende Frage: Wie Kinder und Jugendliche aus der virtuellen Dauerbespielung, die immer früher und im Kinderzimmer beginnt, überhaupt noch heraus- und abholen? Die Zahl der Abgehängten und derer, die niemals einen Text oder eine Aufgabe mit KI generieren werden, wird steigen.

Dass sich mit KI die Frage von Bildung und der Bedeutung von Schule grundsätzlich stellt, wäre eine Chance, die Verantwortliche in der Politik jetzt ergreifen könnten. Eines wissen wir jedenfalls: Gute und schlechte Schüler wollen nicht nur Algorithmus-gesteuerte Konsumenten und Ablieferer sein, sondern Gestalter, die ernst genommen werden.