Veröffentlicht am 10.06.16

Kompetenzbasierung oder die Beliebigkeit der Inhalte

Ein PROFIL-Beitrag von Burkhard Chwalek

Ab dem Schuljahr 2016/2017 wird in Rheinland- Pfalz für die Realschule plus, das acht- und neunjährige Gymnasium ein neuer, gemeinsamer Lehrplan (LP) Geschichte gelten, der seinerseits eingebettet ist in den gemeinsamen ‘Lehrplan für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer (Erdkunde, Geschichte, Sozialkunde)’.

Es sind inzwischen so überbordend in Anspruch genommene Begriffe oder Leitideen wie Output-Orientierung und Kompetenzbasierung, die als kennzeichnende Merkmale auch die Grundlage des neuen rheinland-pfälzischen Lehrplans der Sekundarstufe I für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer bilden. Das dürfte in Anbetracht des administrativen Implementierungswillens, mit der das insbesondere von der OECD postulierte Kompetenzmodell als unterrichtliches Leitkonzept mehr oder weniger diskussionslos durchgedrückt wurde, bei Lehrkräften kaum noch Erstaunen und Verwunderung hervorrufen. Beachtenswert und aufschlussreich, vielleicht sogar brisant ist der neue LP dennoch. Gerade weil er ganz unverkennbar von dem Bemühen gekennzeichnet ist, in der Einzelausgestaltung im Fachunterricht Geschichte sozusagen die Arbeit des Historikers und damit das Spezifische des Faches zu sichern, legt er in aller Schärfe die aus der Kompetenzbasierung resultierenden Begründungsprobleme bloß. Die gleichermaßen unbefragte wie bemerkenswert konsequente Übernahme des Kompetenzmodells unterläuft nicht nur genau dieses eigentliche Anliegen des LPs, sie offenbart zugleich in aller Schärfe die fehlende oder zumindest unzureichende theoretische Absicherung des Kompetenzansatzes an sich. Die folgenden Überlegungen machen demnach im Kern nicht den LP Geschichte selbst zum Gegenstand kritischer Analyse, sie zielen vielmehr darauf, in der Auseinandersetzung mit diesem grundsätzlich die theoretischen Unzulänglichkeiten und Begründungsdefizite des Kompetenzmodells bzw. der Kompetenzbasierung exemplarisch aufzuzeigen.

Grundsätzliche Hinweise zum neuen Lehrplan Geschichte

Dem neuen LP Geschichte liegt eine ‘Gesamtkonzeption des Lehrplans für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer’ (S. 1) zugrunde. Anders als zu erwarten, werden darin die für alle drei gesellschaftswissenschaftlichen Fächer (Erdkunde, Geschichte, Sozialkunde) gemeinsamen Kompetenzen nicht definiert, sondern vielmehr in ausnehmend allgemeiner Form umschrieben, gefolgt von i. W. didaktischen Bemerkungen zu Lernfeldern, Differenzierung und dgl. Der Fachlehrplan Geschichte selbst nennt in seinem allgemeinen Teil insbesondere die leitenden fachdidaktischen Prinzipien, epochalen Schwerpunkte (ESP) mit ihren Kategorien (Herrschaft, Gesellschaft, Wirtschaft, Weltdeutungen) sowie Fachkompetenzen. In der konkreten Ausfaltung werden dann die jeweiligen EPS nach einer Orientierung unter den immer wiederkehrenden Kategorien abgehandelt. Die hier eröffneten Möglichkeiten beispielsweise einer dauerhaften Sicherung, Verankerung der Unterrichtsarbeit, der im Unterricht erzielten Ergebnisse, Erkenntnisse und dgl. sind anerkennenswerte und positive Ansätze der Gesamtkonzeption. Die beständige Verpflichtung auf das einseitige engführende Kompetenzmodell verhindert indes, dass sie angemessen zur Entfaltung und Geltung kommen können.

Kompetenzbasierung

Die Berufung auf die hinlänglich bekannte Definition Weinerts: »Kompetenzen sind die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.« (S. 7) überfordert den LP in mehrfacher Hinsicht und bürdet ihm Hypotheken auf, die er in der konkreten Ausgestaltung nicht mehr abzutragen vermag.

Es genügt, nur einige der hinlänglich bekannten und ganz zentralen Punkte anzuführen, die in der öffentlichen Diskussion immer wieder als besonders problematisch hinsichtlich der Definition Weinerts thematisiert werden.

In ihrer Ausrichtung auf Funktionalität und Anwendungsbezug tendieren Kompetenzen zu inhaltlicher Unbestimmtheit. Dies erschwert nicht nur den rationalen Diskurs bei der Auswahl und Begründung der unterrichtlichen Inhalte erheblich, Kompetenzen erweisen sich dadurch auch als sperrig gegen Sinn und Bedeutung.

Mit dieser einseitigen Ausrichtung rekurriert das Kompetenzmodell auf das mechanistisch- reduktionistische Menschenbild des homo oeconomicus, das den Menschen auf seine rudimentären Anfänge, nämlich den Selbsterhalt, zurückführt und letztlich auf diese festschreibt2. Das Weltverhalten des Menschen wird auf eine fortgesetzte Anpassungsleistung auf immer schon Vorfindliches reduziert. Kompetenzen sind dementsprechend neutral in Bezug auf Ethik, eine Werteorientierung können sie nicht leisten.
in: PROFIL, Magazin des Deutschen Philologenverbands, Ausgabe 05/2016
Der vollständige Beitrag als PDF: Chawalek_Kompetenzbasierung