Veröffentlicht am 27.04.20

Grundlagentext zur Ökonomisierung der Bildung

Ein Beitrag von Prof. Dr. Jochen Krautz

Inmitten der Corona-Krise einen Grundlagentext zur Ökonomisierung von Bildung zu veröffentlichen, scheint wie aus der Zeit gefallen. Zu drängend sind die gesundheitlichen, beruflichen, politischen und alltäglichen Sorgen. Doch könnte diese Krise auch einen neuen Blick auf die Absurditäten einer Bildungsreform anregen, die alle Beteiligten mit sinnlosem und bildungsfeindlichem Stress absorbiert. Es könnte ein neuer Blick für das Wesentliche von Bildung, Schule und Unterricht entstehen.

Zudem werden gerade in der aktuellen Krise die verheerenden Folgen eines neoliberal gesteuerten Gesundheitssystems und einer aus diesen Gründen weitgehend abgebauten Notfallvorsorge deutlich. Die Schäden des bis in alltägliches pädagogisches Denken und Handeln eingesickerten Ökonomismus sind kaum geringer, nur wurden sie bis anhin mittels Dauer-Propaganda noch überdeckt. Das könnte nun vorbei sein: Nach der Krise wird es um die wesentlichen Aufgaben von Bildung und Erziehung gehen, die hinreichend Aufgaben stellen.

Insofern kann der folgende Text den Blick hierfür klären und zugleich deutlich machen, dass die nun als Lösung aller Bildungsprobleme gehypte Digitalisierung – je nach Lesart – eine weitere Folge oder der eigentliche Sinn der Ökonomisierung ist: Ökonomisierung und Digitalisierung sind somit in der Tat die „Sargnägel der Bildungsreform“, wie der Titel des Bandes treffend formuliert, dem der Text entnommen ist. Es ist an der Zeit, die beiden Untoten endgültig zu begraben.

 

Ökonomisierung als Steuerung von Schule, Bildung und Demokratie: Phänomene, Systematik, Alternativen

Aufgrund vielfältiger Kritik ist die Ökonomisierung von Bildung mittlerweile zu einem auch öffentlich diskutierten Problem geworden. So belegt zuletzt Richard Münch (2018, S. 297) die „massive[n] kommerziellen Interessen“ insbesondere der Test-Industrie anhand des Beispiels der USA umfangreich und konkret. Zurecht spricht er daher von einem „bildungsindustriellen Komplex“. Und Münch schließt treffend, dass die Umsetzung ökonomischer Theorie in die Leitung und Gestaltung von Schule, diese „zu einem Regime der totalen Kontrolle über Schulleitung, Lehrkräfte und Schüler/innen werden“ ließ (ebd., S. 345).

Nun ist für die Situation der deutschsprachigen Länder allerdings zu bemerken, dass entgegen auch der Annahme des Autors (vgl. Krautz 2007) die von Münch beschriebene Privatisierung und Kommerzialisierung von Bildungsdienstleistungen tatsächlich weitaus weniger bedeutsam ist als etwa in den USA. Gleichzeitig wurden trotzdem massiv ökonomische Kriterien und Steuerungselemente aus Managementlehren in das Schulwesen implantiert. Diese folgen somit einer ökonomischen Logik, obwohl es dabei nicht um wirtschaftliche Ziele im Sinne monetärer Gewinne geht. Offenbar haben ökonomistische Verfahren der Steuerung von nichtökonomischen gesellschaftlichen Bereichen also einen eigenen Sinn, der nicht in der Profiterwirtschaftung privater Interessenträger aufgeht. Der „bildungsindustrielle Komplex“ wäre hier v.a. ein Bildung steuernder und usurpierender Komplex.

Der Beitrag möchte daher zeigen, wie diese ökonomistischen Logiken sich an alltäglichen Phänomenen zeigen, worauf sie zielen, wie demnach Ökonomisierung von Bildung systematisch zu verstehen ist, wie diese in der Realität durchgesetzt wird und welche Folgen das für Schule, Bildung und Demokratie hat. Dabei wird die These verfolgt, dass „Ökonomisierung“ in diesem Sinne vor allem Steuerung bedeutet: Die indirekte oder verdeckte Steuerung von Schule und Unterricht und der darin Handelnden, was deren professionelle Selbstbestimmung und die demokratische Legitimation von Bildungspolitik untergräbt. Ökonomisierung hat insofern weniger mit Gewinnertrag als mit illegitimer Herrschaft zu tun. Vor diesem Hintergrund wird abschießend auch nach Alternativen zu fragen sein.

 

Der vollständige Beitrag als PDF zum Weiterlesen: Krautz – Ökonomisierung als Steuerung