Veröffentlicht am 06.05.14

Einfalt der Vielfalt

Randbemerkungen zu den aktuellen Auswüchsen der Diversitätsdebatte

Gibt man bei Google den Satz „Es ist normal, verschieden zu sein“ ein, so bietet einem die Suchmaschine rund 50 Seiten mit Eintragungen aus unterschiedlichsten Kontexten, in denen diese dem ehemaligen Bundespräsidenten v. Weizsäcker zugeschriebene Sentenz verwendet wurde. Sie scheint für das Poesiealbum des nachdenklichen Staatsbürgers formuliert zu sein und vereint den Anschein aphoristischen Tiefsinns mit faktischer Trivialität, denn natürlich sind wir qua Genen und Sozialisation alle verschieden, die entscheidende Frage ist aber, was das gesellschaftlich bedeutet, und hier wird die Angelegenheit sehr schnell vertrackt, wie die Szene aus Monty Pythons Leben des Brian zeigt: Der der frisch gekürte Messias versucht, die vor seinem Fenster zusammengeballte Masse mit dem aufklärerischen Appell abzuwimmeln: „Ihr sollt selbständig denken. Ihr seid lauter Individuen“, worauf es zurückschallt: „Ja, wir sind alle Individuen“. Brians zweiter Versuch: „Ihr seid alle verschieden“ führt zu der gleichen Reaktion „Ja, wir sind alle verschieden“. Als sich daraufhin ein schüchternes „Ich nicht“ aus der Menge vernehmen lässt, bringt diese den Renegaten barsch zum Schweigen. Wie normal also ist Verschiedenheit?

Das Rauschen im Blätterwald lässt vermuten, dass die Frage nicht nur schwer zu beantworten, sondern vor allem ziemlich konfliktträchtig ist, z. B. wenn es um die Normalität sexueller Identitäten geht. Auf der einen Seite haben wir, exemplarisch für den Diversitätsdiskurs, den baden-württembergischen Bildungsplanentwurf, der die künftigen Generationen zur „Wertschätzung von Vielfalt“ und zur „„Einfühlung in die Lebenslagen anderer Menschen“ erziehen will; auf der anderen Seite steht die nicht nur überraschend wütende, sondern auch überraschend erfolgreiche Unterschriftenaktion gegen die „Indoktrination unserer Kinder“ im Namen der „Ideologie des Regenbogens“, die jüngst skandalträchtige Schützenhilfe durch Pirinçcis polemische Pathologiediagnose zum „irren Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ erhielt.

Vielfalt als Konfliktstoff

Wo auch immer man sich zwischen diesen Polen verorten mag, fest steht, dass es hier grundsätzlich um die Frage der gesellschaftlichen Integration geht, genauer um gesellschaftliche Normalität und akzeptable oder nicht akzeptable Formen der Abweichung sowie vor allem die Definitionsmacht darüber. Diese Definitionsmacht wird in letzter Zeit durch verschiedene Identitätsfragmentierungen herausgefordert, so z. B. im Bereich der Sexualität, wo nicht mehr nur klassisch von Heteros, Schwulen und Lesben, sondern für die Nichteingeweihten kryptisch von „LSBTTI“ die Rede ist. Ähnlich verhält es sich bei den Essgewohnheiten, wo neben den Vegetariern auch Veganer, Frutarier, Pescetarier, Flexitarier und weitere prinzipiengeleitete Ernährungsformen auftauchen.

Der ganze Beitrag als PDF:  K.H. Dammer: Einfalt der Vielfalt