Veröffentlicht am 03.07.14

Die Babylonische Gefangenschaft des Ministeriums für Bildung und Forschung

500 Millionen für die Lehrerbildung unter Kontrolle der empirischen Bildungsforschung?

in Wirtschaftswoche vom 19. Juni 2014

Am 12. April des vergangenen Jahres kam es zu einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über ein gemeinsames Programm „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ gemäß Artikel 91b des Grundgesetzes. Mit ihm ist es erlaubt, dass der Bund sich in einem Bereich engagiert, für den er selbst nicht zuständig ist.

500 Millionen für die Lehrerbildung

Für die chronisch unterfinanzierten Hochschulen stellt das Programm – nach einem entsprechenden für die Forschung und dem „Hochschulpakt 2020“ – eine nicht zu umgehende Möglichkeit dar, an weitere Gelder zu kommen. Ohne sie wäre ihre finanzielle Lage noch desolater. Das Volumen des Projektes in der Höhe von 500 Millionen ist beeindruckend und versetzt seit seiner Ankündigung die Universitätsmanagements in helle Aufregung. Die Förderung erstreckt sich auf 10 Jahre. In zwei Runden werden die Gelder verausgabt, 70% von ihnen in den ersten, 30% in den folgenden fünf Jahren. Die Länder sollen entsprechend ihrer Aufgaben in der Lehrerbildung proportional bedacht werden. Die bereits gebildete Auswahlkommission hat es allerdings in der Hand, die Gelder auch etwas anders zu verteilen, wenn beispielsweise in ihren Augen die Länder nicht ihrem vorgesehenen Anteil entsprechend genügend „förderungswürdige“ Projekte beantragen sollten.
Das Programm ist eingebettet in einen großen Projektentwicklungsauflauf, zu dem die Hochschulen nach Bekanntgabe im April 2013 bereits gestartet sind. Sie sollen wie üblich eine Stärken- und Schwächenanalyse vorlegen, um daraus abzuleiten, mit welchen neuen Projekten sie ihre Lehrerbildung „nachhaltig“ mit einem absehbaren „Mehrwert“ gegenüber der Ausgangslage verbessern wollen. Die Projekte werden begleitet durch Maßnahmen des Qualitätsmanagements mit Blick auf Kooperationssynergien.

Vorgaben für eine erfolgreiche Bewerbung

Was darunter zu verstehen ist, machen die Ziele und Maßnahmenkataloge deutlich, die der Vereinbarung Kontur geben. Projekte sind willkommen, die „Profilierung, Optimierung der Strukturen, Qualitätsverbesserung des Praxisbezuges, der Beratung und Begleitung der Studierenden, Fokussierung auf den Umgang mit Heterogenität und Inklusion, aber auch der Fachlichkeit, der Didaktik und Bildungswissenschaften und Maßnahmen zur Vergleichbarkeit“ umfassen. Man soll sich also profilieren und gleichzeitig vergleichbar halten, eine Forderung, die schon die Bacheloriserung in Widersprüche verwickelt hat. Zehn Inhaltsbereiche konkretisieren die Ziele. Es geht von der Verbesserung der Zusammenarbeit der beteiligten Partner, die Abstimmung ihrer Aufgaben über alle Phasen hinweg, zur Entspannung des Verhältnisses zwischen den Fächern und den Funktionen der Lehrerbildung, zur Förderung der Fachdidaktik, der schulpraktischen Anteile, die frühzeitig ins Studienprogramm zu integrieren sind, zu der stärkeren Verzahnung der Phasen der Ausbildung zum Aufbau der Lehrerbildung als auch der Weiterbildung in den Hochschulen. Die Maßnahmen sollen wissenschaftlich begleitet werden, die berufsbiographische Entwicklung soll gefördert werden und der Umgang mit den beiden Fokusthemen Inklusion und Heterogenität soll verbessert werden.
Man kann diese Programmstruktur als die Sammlung dessen bezeichnen, was heute in der Lehrerbildung um die überall aufblühenden „Zentren für Lehrerbildung“ gefordert und diskutiert, aber nur selten auch eigenständig praktisch verfolgt wird. Sie koordinieren die Ausbildung und sind als weitere Überbaustruktur in den Universitäten die Antragsteller und zukünftigen Projektnehmer.

Innovationen oder Scheininnovationen?

Auffällig an der Initiative ist, dass einmal mehr die Gelder nicht zur Verbesserung der Ausstattung dort eingesetzt werden sollen, wo eklatanter Mangel herrscht. Auch dürfte es nur selten dazu kommen, dass solche Aktivitäten Unterstützung erfahren, mit denen sich bereits jetzt die Hochschulen um Formen einer möglichst guten Lehre bemühen. Die Gelder sollen vielmehr in Innovationen fließen, also nicht in die Pflicht, sondern in die Kür. Mit Sonderprogrammen, denen rhetorisch Nachhaltigkeit abverlangt wird, soll das gute Neue das als schlecht geltende Alte verdrängen. Zugleich kann aber keine Rede davon sein, dass mit dem Programm Lehrerbildung neu erfunden werden wird. Viele werden sich um Projektmittel bewerden, indem sie das, was sie bisher taten, dem Scheine nach in den Rahmen stellen, der die Förderrichtlinien erfüllt. Projekte sind – wie schon bei der Exzellenzinitiative Forschung – Versprechen auf die Zukunft, nicht aber eine Belohnung für Bewährtes. Sie generieren vielfach neue Stellen und Aktivitäten, mit denen die grundständigen Probleme nicht bearbeitet werden müssen. Man erfindet etwas als Vorhaben, um an Geld zu kommen: vielleicht ein zusätzliches Modul, in dem in Zukunft Fachdidaktiker mit den Bildungswissenschaftlern und Fachwissenschaftlern kooperieren? Oder man springt mit Zusatzveranstaltungen auf die derzeitigen Schwerpunkte „Heterogenität und Inklusion“, weil man hier am ehesten Erfolg erwartet. Viele in den Hochschulen haben inzwischen gelernt, sich ihre ureigenen Aufgaben von den Förderprogrammen vorschreiben zu lassen, denn hausintern zählt nicht mehr die Qualität des grundständigen Engagements in Forschung und Lehre, sondern der Erfolg beim Einwerben von Mitteln.

Der imperiale Durchgriff einer wissenschaftlichen Mode

Über den Erfolg der Anträge entscheidet nun eine von Bildungswissenschaftlern angeführte Auswahlkommission, auf  deren namentliche Zusammensetzung die Hochschulen lange gewartet haben, damit ihre Anträge auch an die hinter diesen Experten stehenden Konzepte punktgenau angepasst werden können. Heutzutage weiß jeder Projekterfahrene, dass man seinen Antrag so schreiben muss, dass der Gutachter sich darin mit seinen eigenen Absichten wiedererkennt. Wie aber soll in dem aufgespannten breiten Feld der Möglichkeiten über die Qualität der Anträge entschieden werden? Soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass sich mehrere bisher gleichberechtigte Konzepte der Lehrerbildung gegenüber stehen? Oder soll vielmehr mit der Auswahl der Gutachter eine bestimmte Linie der unterschiedlichen Modelle privilegiert werden? Die Besetzung der Kommission – lange gehütet wie ein Staatsgeheimnis – ist mittlerweile bekannt geworden. Schaut man nun, wer wohl als allgemeiner Vertreter der Lehrerbildung die Federführung bekommen soll, so fällt auf, dass der Berufer die gerufen hat, die gegenwärtig auch in der empirischen Bildungsforschung die prominenten Geldnehmer sind. Den Vorsitz dürfte wohl der gerade zum Vorsitzenden des Wissenschaftsrates gewählte und vielbeschäftigte PISA-Manager Manfred Prenzel übernehmen. Unterstützt wird er von einer gleichgesinnten Kollegin aus der empirischen Bildungsforschung. Beide sind in ihrer Heimuniversität zugleich Macher einer „School of Education“ und damit Vertreter eines keineswegs unumstrittenen Modells der Lehrerbildung. Sie kommen aus der pädagogischen Psychologie und sind Psychometriker, deren technologisches Forschungsinteresse von gutem Unterricht mit dem als effektivem Outcome konvergiert. Das dieses Konzept als Modell betrieben wird, ist im Rahmen der Freiheit von Forschung Lehre nicht zu kritisieren. Dass darin aber zukünftig die Qualität der Lehrerbildung aufgehoben sein sollte, käme einem weiteren imperialen Durchgriff einer wissenschaftlichen Mode gleich. Denn damit würde nichts anderes behauptet, als dass der Lehrberuf nicht mehr von den genuinen pädagogischen Aufgaben her zu betrachten sei, sondern von einer managerialen Fähigkeit von Lehrenden, mittels der Tätigkeit des Unterrichtens einen optimalen Output nach Maßgabe der von der Bildungsforschung definierten Ziele, Inhalte und Mittel herbeizuführen. Das Know-how besteht, wie schon die Sprache dieser Forschung verrät, aus einer Mischung aus Betriebswirtschaftslehre und psychologischer Menschenführung. Lehren wird als Instruktionsmanagement begriffen.

Die babylonische Gefangenschaft des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Folgerichtig wurde Ihnen als ausländischer Experte aus Österreich der Gründungsdekan der School of Education der Universität Innsbruck und Leiter der dortigen Leadership Akademie zur Seite gestellt. Schon in der Erwartung dieser Entwicklung haben viele Universitäten ihre Lehrerbildung in den letzten beiden Jahren in teilweise hektischer Betriebsamkeit auf das Modell der „School of Education“ umgestellt und in einem aktuellen Interview in der Zeitschrift „Begegnung“ lässt der PISA-Chef auch keinen Zweifel daran, dass nur die Universitäten die Lehrerbildung ernst nehmen, die entsprechend verfahren.
Mehr als fraglich ist, ob die hinzu gewählten weiteren Vertreter der interkulturellen Bildung, der Inklusion, der Schulpädagogik, der Sprachdidaktik, der Experimentalphysik, der Schulpraktiker und der Geldgeber eine andere Generallinie verfolgen wollen oder gar durchsetzen werden können. Jedenfalls sind die Weichen dafür gestellt, dass die Kommission genau das in der Lehrerbildung fördert, was die „empirische Bildungsforschung“ bestätigt. Die Kommission kann 500 Millionen dazu nutzen, die gleiche Programmstruktur durchzusetzen, die ihrer eigenwilligen Forschung dient. Damit droht die Monopolbildung zugespitzt fortgesetzt zu werden, und das in einem Augenblick, in dem die Überzeugungen für die Fundamente dieser technokratischen Ausrichtung von Schule und Forschung bröckeln.
Man wundert sich so, wie weit die babylonische Gefangenschaft gediehen ist, in die sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung und wohl auch die Länder mit ihrer Parteinahme für den Betrieb der “empirischen Bildungsforschung“ begeben haben. Als gäbe es zwecks Verbesserung der Lehrerbildung keine andere Adressen! Ähnlich wie Investition hoher dreistelliger Millionenbeträge (wenn nicht Milliardenbeträge) in die empirische Bildungsforschung seit PISA wird in einigen Jahren so die Frage aufkommen, was jenseits des Macht- und Mittelzuflusses für eine bestimmte Gruppe zum Wohle der Schulen bewirkt worden ist.