Veröffentlicht am 23.09.13

Wege zu technischer Bildung

8. ingenieurpädagogische Regionaltagung 2013

Werbend für diese Veranstaltung heißt es zu Beginn des call for paper: »Die Erfolgsgeschichte technischer Bildung in Europa wird im TECHNOSEUM Mannheim, dem Ort der diesjährigen IPW-Regionaltagung, in bewegender Weise illustriert und dokumentiert. Weltweit gibt es Bestrebungen, von dieser Erfolgsgeschichte zu lernen. Dennoch sehen wir uns ständig mit neuen Begriffen, neuen didaktischen Konzepten und neuen bildungspolitischen Forderungen konfrontiert. Was davon ist „lernwirksam“? Was wird sich bewähren? Was hat Bestand? Was davon lässt sich mit der mitteleuropäischen Tradition technischer Bildung und deren hohem qualitativem Anspruch verbinden? Oder konkreter: Stellt die Fixierung auf Kompetenzförderung einen tauglichen pädagogischen Ansatz dar? Befindet sich der Kompetenzansatz selbst in der Krise? Hält er überhaupt einer kritischen Reflexion statt?«

Mit gebührender Vorsicht sind diese Fragen zunächst unbedingt als Fragen zu lesen und nicht etwa schon als implizite Antworten. Zwar fällt rhetorisch eine Skepsis gegen die infrage gestellten Begriffe auf, jedoch wiegt die Möglichkeit schwerer, daß auf der Fachtagung affirmative Antworten gefunden werden. Immerhin bleiben zwei Dinge anzumerken:

1. »Ingenieurpädagogik« darf nicht so verstanden werden, als ginge es um eine zum Ingenieurberuf führende pädagogische Begleitung junger Menschen in einem einschlägigen Studium. In der DDR waren die Ingenieurpädagogen solche Berufsschullehrer, die zuvor selbst einen Facharbeiterberuf — etwa Maurer oder Mechaniker — erlernt hatten, ehe sie für das Berufsschullehramt studierten. Was eine Naturwissenschaft wie Physik für die politisch desinteressierten oder nonkonformen Absolventen der Polytechnischen Oberschulen war — man vergegenwärtige sich die vita von Frau Bundeskanzler Merkel —, bot der Beruf des Ingenieurpädagogen den ansonsten auf die politische Linie des ZK und des ML festgenagelten Lehrers. In einem besonders innigen Verhältnis stand das Studium in einem ingenieurpädagogischen Fach zur »Berufsausbildung mit Abitur« (BmA). Hier begegneten sich die beiden Milieus der politisch sich als neutral verstehenden technischen und wissenschaftlichen Intelligenz. Gipfel der ideologischen Unabhängigkeit war, daß die BmA–Bildungsgänge nicht von Ministerium für Bildung der Margot Honecker, sondern vom Ministerium für Wirtschaft des Günter Mittag beaufsichtigt wurden. Diese scheinbare, weil nur relative Freiheit entstand aus der Mangelwirtschaft der DDR selbst: Während es sonst auf den ideologischen output des Bildungssystems ankam, den Margot Honecker zu garantieren hatte, blieb dem Wirtschaftsministerium nach dem Realitätsprinzip nichts anderes übrig, als den outcome zu verfolgen, damit die selbst verkündeten Planzahlen nicht allzu kritisch unterschritten würden. Oder anders gesagt, was nutzt das inbrünstigste Bekenntnis zur Mauer als »antifaschistischem Schutzwall«, wenn da niemand ist, der gelernt, sie zu bauen, instand zu halten und zu optimieren… Mit den Begriffen »output« und »outcome« wären wir in der hiesigen bildungspolitischen Ideologie des Jahres 2013:

2. Das Anliegen der Ingenieurpädagogischen Wissensgesellschaft setzt die materiellen Bildungsziele einer Erziehung zum technischen Denken fort — unter den freilich sehr unkomfortablen Umständen, die das deutsche Bildungssystem in den letzten Jahren dem noch bietet. Der Verzicht auf Rechtschreibung bereits in der Grundschule, die ausblutenden Studiengänge in den Naturwissenschaften und der Mathematik, das insgesamt geringe Ansehen technisch–wissenschaftlicher Berufe muß jene bedrängen, die den mühseligen Emanzipationsprozeß technischer Bildung — etwa ab der Kaiserzeit und der Einführung des »Einjährigen« — sich noch in Erinnerung halten. Sie haben allen Grund, an jene Realität des Verfalls und des Niedergangs technisch–wissenschaftlicher Aufklärung gegen die offizielle Propaganda von der »Wissensgesellschaft«, von den »Bildungschancen für alle« und die Reklame mit den »Exzellenzuniversitäten« zu gemahnen. Folgerichtig mißtrauen sie den Begriffen, mit denen die einheimische Politbürokratie sich daran macht, nach den allgemeinbildenden Schulen und den Universitäten nun auch noch als drittes und letztes Element des Bildungssystems die Berufsbildung zu ruinieren.
Das reale Hochrisiko besteht gerade in der medialen Präsenz des »dualen Systems« als dem, das allen nicht deutschsprachigen europäischen Ländern und Regionen (also mit den Ausnahmen Österreich, Schweiz, Südtirol, Liechtenstein und Teilen Luxemburgs und Belgiens) weit überlegen scheint. Wenn man nämlich nicht weiß, warum dieses System noch gut bis hinreichend funktioniert, wächst die Gefahr bis zur garantierten Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens, daß eben die Interventionen, die angeblich seiner »Stärkung« dienen sollen, es zerstören werden. Das war bisher immer so und es ist nicht zu sehen, warum es diesmal anders werden sollte.

Die Ingenieurpädagogische Wissensgesellschaft innerviert diese Gefahr in dem aufdringlichen, schier unvermeidbaren Begriff der »Kompetenz«. Um es kurz und klar zu sagen: Wenn es überhaupt einen gesellschaftlichen und zugleich logischen Ort ausgeübter Kompetenz gibt, dann in der Welt der Arbeit, dort, wo auf jedem Niveau professionalisierte Tätigkeit gegen Bezahlung geleistet wird. Die qualifizierte Arbeitskraft besteht bei aller Marktanonymität in ihrem Tauschwert stets aus einem Gebrauchswert, dessen Entstehung und Erhalt an Bildung und Entwicklung von Kompetenzen gebunden ist, die es nur gibt, wenn Menschen Zeit und Gelegenheit haben, in entsprechenden, von realen Kompetenzen bestimmten Milieus zu lernen. Wenn also der Kompetenzbegriff eine nichtideologische, sondern reale Rolle im Bildungssystem spielt, dann dort, wo in Bildungs– und Studiengängen das erlernt wird, was im Zielsystem als bereits entwickelte Kompetenzen in Form von professionalisierten Fähigkeiten existiert.

Statt einen empirisch gehaltvollen Kompetenzbegriff von dort zu beziehen, bedroht die Politbürokratie mit ihren ökonomisch angetriebenen Steuerungsversuchen jene Berufsbildung, die auf jenes riesige gesellschaftliche Feld qualifizierter Erwerbsarbeit vorbereitet. Die Wirkungsrichtung ist also genau umgekehrt. Das kann nur schiefgehen.