Veröffentlicht am 06.06.11

„6 € „Stundenlohn“ – Beschäftigungsverhältnisse an deutschen Hochschulen“

„…Die Hochschul-Informations-System GmbH zählte im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zuletzt 146.000 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland. 83 Prozent von ihnen waren nur mit einem befristeten Arbeitsvertrag ausgestattet, viele Verträge hatten eine Laufzeit von weniger als einem Jahr.Noch prekärer sieht die Situation für Lehrbeauftragte aus, deren Zahl nach einer rund vierzigprozentigen Steigerung in den vergangenen zehn Jahren auf knapp 80.000 angestiegen ist. Laut einer Umfrage des Deutschen Hochschulverbandes hat beispielsweise die Universität Augsburg dreimal mehr Lehrbeauftragte als Professoren. An der Universität Köln werden rund 4.000 Lehraufträge vergeben. An deutschen Musikhochschulen erteilen Lehrbeauftragte über die Hälfte des Unterrichts. Dabei haben die Gäste des Hochschulbetriebs praktisch keine Mitbestimmungsrechte, keine Interessenvertretung, und ganz selbstverständlich werden von ihren Auftraggebern keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet. Wofür auch? Viele Lehraufträge sind unbesoldet – und die besoldeten zumeist nicht mal ein Fall fürs Finanzamt. Die Bezahlung für eine Stunde wissenschaftliche Lehre liegt im niedrigsten Fall bei etwa 6 Euro. Durchschnittlich werden zwischen 20 und 50 € gezahlt. Die Vorbereitung der entsprechenden Lehrveranstaltungen wird in der Regel ebenso wenig entgolten wie die Bewertung von Hausarbeiten und sonstigen Leistungen oder die Abnahme von Prüfungen. Wenn die Honorarsätze wenigstens so oft erhöht würden wie die Flure des Dekanats gestrichen und die Möbel der Sekretariate erneuert werden, hätten die Betroffenen immerhin langfristig Aussicht auf Besserung. Aber selbst das ist Wunschdenken….“ (Quelle: Thorsten Stegemann Telepolis 06.06.2011)

Kommentar MP

Der erste marktradikale oder neoliberale Programmpunkt, die Deregulierung der Finanzmärkte, hat uns die größte Bankenkrise seit 80 Jahren beschert. Und diese Krise ist, wie viele Experten versichern, noch keineswegs ausgestanden. Der zweite marktradikale oder neoliberale Programmpunkt, die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, hat zu Dumpinglöhnen geführt und uns ein rasantes Anwachsen prekärer Beschäftigungsverhältnisse gebracht. Auch diese Entwicklung geht ungebrochen weiter. Von Anfang an hat sie auch den Wissenschaftsbereich erfasst. Leidtragende diese Flexibilisierung sind fast alle Beschäftigten der Universität. Am meisten freilich trifft sie die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterhalb der Professur. Die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse unter ihnen wird die Motivation schwächen und den Wissenschaftsstandort Deutschland entgegen der Schönwettermeldungen aus dem Hause Schavan auf Dauer beschädigen. Wenn das so weitergeht und die Sparbeschlüsse nicht zurückgenommen werden, könnte es zu einem Crash im Bildungssystem kommen – wie vorher schon auf dem Finanzmarkt.