Veröffentlicht am 21.03.13

MOOC: Lernsklaven und Klick-Bildung

Wissen Sie, was MOOC sind? MOOC steht für „Massive Open Online Courses“ und bezeichnet kurze Videos (9 bis ca. 15 Minuten), die man im Netz ein- oder mehrmals anschaut und anschließend Multiple Choice-Fragen dazu beantwortet. Manchmal gibt es ergänzendes Material. Hat man genug Videos geschaut, genug richtige Antworten und auf ein paar Websites oder PDF-Dateien geklickt, kann man sich zu einer „Online-Prüfung“ anmelden.Die Kurse sind (derzeit noch) kostenlos. Die „Prüfungen“ kosten ab 100 Dollar. Der Teilnehmer bekommt anschließend ein Zertifikat, das er sich ausdrucken kann. Die Anbieter dieser „MOOC“ verkaufen neben den „Prüfungen“ die Lernprofile der Teilnehmer/innen an potentielle Arbeitgeber, Versicherungen etc. (Online-Learning bedeutet ja, dass alle Aktionen der User penibel protokolliert werden: Welche Videos wurden wie oft geschaut, die Fragen wie schnell beantwortet, welche Fehler wurden gemacht etc.)
Das könnte man als weitere Form des Fernunterrichts oder des eLearnings zur Kenntnis nehmen, stünden dahinter nicht weiterreichende Konzepte und Strategien.

Diese Online-Kurse werden nicht als Online-Kurse vermarktet, sondern als „Universitäten der Zukunft“. Die Zeit titelt „Uni für alle“ (Heft  12/2013; Links siehe unten), die FAZ spricht von der „Globalisierung der Lehre“ (13.3.2013).

Der neue „Bildungsklick“: Skinner-Revival

Die „digitale Lehre“ sei das Lehrmodell der Zukunft. Microsoft, Google, Apple  u.a. sponsern diese Formen des „Lernens“ und „Studierens“ mit zweistelligen Millionenbeträgen als zukünftiges Geschäftsmodell. „Bildung findet künftig unabhängig vom Besuch einer Universität statt“, schreiben die ZEIT-Journalisten – und zeigen nur, dass sie zumindest sprachlich überfordert sind. „Bildung“ findet nicht statt, sondern ist ein individueller, aktiver Prozess. (Empfehlenswert dazu der Aufsatz von Peter Bieri: „Wie es wäre, gebildet zu sein.“) Bereits die Vorstellung aber, dass man das Schauen von Videos und das Anklicken von vorgegebenen Antworten als „studieren“ bezeichnen könne,  müsste zwangsläufig zu der Frage führen, was hier  unter Lehre und Lernen, Studieren und Bildung verstanden wird. Wären es nur technisch anders codierte Varianten von Inhalten für Selbstlerner und ein Selbststudium wie die Radio-Vorträge beim Funk-Kolleg oder TV-Sendungen wie beim Tele-Kolleg, ließe sich wenig dagegen einwenden. Es wäre die technische Weiterentwicklung und Aktualisierung der Lernmedien. Es geht aber um mehr.

MOOC sind keine Videosequenzen, die man als Vorbereitung für Vorlesungen und Seminare ergänzend anbietet und vorab bereitstellt, so, wie man vor  Veranstaltungen Lektüre ausgibt, die vorab zu lesen ist. MOOC adressieren große Nutzerkreise (mehrere zehn- oder hunderttausend Teilnehmer). Die Abwicklung der Kurse inklusive Prüfung erfolgt vollautomatisch und softwaregesteuert. Es ist die wirtschaftlich effizienteste Methode, große Kohorten von „individuell Lernernden“ mit standardisierten Inhalten und automatisch sowohl vergleich- wie messbaren Prüfungsleistungen zu adressieren.

Wie immer, wenn man technikzentrierten „Lernumgebungen“ hinterfragt, landet man bei der „Ökonomisierung der Bildung“ mit dem Ziel der „effizienten Zurichtung des Humankapitals“. Aus dem sozialdemokratischen „Alle Menschen können lernen“ der Nach-68er ist ein neoliberales „Alle Menschen müssen lernen“ geworden. Das „lebenslange Lernen“ dient der permanenten „Selbstoptimierung“ für den Arbeitsmarkt. Nur wer sich regelmäßig weiter (be)schulen lässt und Eigeninitiative wie „Lernerfolg“ per Zertifikat belegt, hat noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Mit erfreulicher Klarheit hat das Ludwig Pongratz in seinem Aufsatz „Sammeln Sie Punkte? Notizen zum Regime lebenslangen Lernens“ dargelegt.
Klar ist auch, wer agiert: Kybernetiker und Behavioristen. Weder Lernen noch gar „Bildung“ stehen im Zentrum,sondern die Behauptung, Lernprozesse so wie die industrielle Produktion „messen-steuern-regeln“ zu können. Dazu passt die überwunden geglaubte, heute wieder propagierte „Operante Konditionierung“ nach Skinner: operant, da sich der Nutzer aktiv an seiner Abrichtung zum modernen Lernsklaven beteiligt.

Scientific „Biedermänner“

Kurios wird das ganze, wenn man als Professor einer deutschen Hochschule über den Hochschulverteiler aufgefordert wird,  Konzepte für diese Form der „Massive Open Online Courses“ zu entwickeln. Unter dem Titel “ Mooc Production Fellowship“ (Link s.u.) schreibt der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft“ einen Wettbewerb aus, bei dem man zehn mal 25.000 Euro gewinnen kann, wenn man Konzepte für solche Video-Kurse entwickelt. Ein Grußwort der Kanzlerin gibt es ebenso wie Jurymitglieder aus einem Bildungsministerium (Schleswig-Holstein), Vertreter der Hochschulkonferenz (HRK) und Kolleg(inn)en von Hochschulen und Universitäten, die zusammen mit Jörg Dräger (Bertelsmann) Konzepte für den deutschen MOOC-Markt selektieren und jurieren.

Vielleicht sollten Juroren wie Teilnehmer des Wettbewerbs noch einmal bei „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch nachlesen, welche Folgen Willfährigkeit hat. Warum sollte man das Streichholz reichen zum Autodafé der Bildungseinrichtungen?

Links:

Die Zeit: „Uni für alle

FAZ: Globalisierung der Lehre“ (13. März 2013, S. N5)

Peter Birie: Wie es wäre, gebildet zu sein

Ludwig A. Pongratz: „Sammeln Sie Punkte? Notizen zum Regime des lebenslangen Lernens

Wettbewerb:Mooc Production Fellowship von iversity und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft ; 250.000 Euro für Lehre und Lernen im Web;