Veröffentlicht am 13.05.18

Es spricht zum Schüler

Unterricht unter dem Primat der Digitalisierung

Ein Gastbeitrag von Gordan Varelija

 

Die psychometrische Vermessung des Menschen und kleinteilige Lernstandskontrollen
sind die Basis für das sogenannte „individualisierte und personalisierte Lernen“:
Algorithmen berechnen die nächsten Aufgaben mit Hilfe von Mustererkennung und Statistik.
De facto wird der Mensch selbst zum Datensatz. (…) Das individuelle Arbeiten an Lernstationen
vereinzelt und löst die Klassen- als Sozial- und Solidargemeinschaft auf.
Sozial isoliert aber wird der Mensch anfällig für Einflussnahmen –
und sei es durch eine Computerstimme.

(Matthias Burchardt, Ralf Lankau)

 

Bildung kann im 21. Jhdt. digital übertragen werden? Bedeutet dieser suggerierte Umstand, dass das Technologiedefizit in der Pädagogik überwunden wurde? Das würde implizieren, dass Bildung, oder doch nur sogenanntes träges Wissen (?), digital in die Köpfe der Kinder transferiert werden kann und dort dann jederzeit abrufbar ist. Wenn aber zumindest gegenwärtig Informationen weder durch den Lehrer noch durch den Schüler digital in den Kopf des Schülers eingespeichert werden können, so braucht man nicht von digitaler Bildung sprechen, abgesehen von dem Umstand, dass Bildung auch mehr bedeuten könnte als ein digitaler Datenaustausch. Lankau präzisiert in Bezug auf digitale Bildung und dazugehörende Missverständnisse, wenn er meint: „Kein Mensch lernt digital. Digital sind Lehrmedien und Distributionskanäle. Es gibt keinen digitalen Unterricht, weil Unterrichten immer Beziehungsarbeit zwischen Lehrenden und Lernenden ist. Und es gibt keine digitale Bildung. Bildung ist immer an eine Person gebunden, nicht an Medien oder Technik. Wer das bedenkt, wird Medien, ob analog oder digital, im pädagogischen und didaktischen Kontext einsetzen, nicht als Selbstzweck oder Ersatz für Lehrende.“ (Lankau 2015a, S.2, vgl. dazu auch Lankau, Burchardt 2016, S.2) Statt von Utopien digital übertragener Bildung spricht man in diesem Kontext folglich besser von Unterricht mit digitalen Unterrichtsmedien. Den wissenschaftlich-didaktischen Hintergrund für diesen Unterricht mit digitalen Unterrichtsmedien und den dazugehörenden euphorisch beschriebenen Lernszenarien bilden der Behaviorismus und die Kybernetik. Den ökonomischen Hintergrund findet man in den Bestrebungen der IT-Branche und in der aktuellen Bildungspolitik. Lankau überlässt weder der Kybernetik noch der Ökonomisierung der Bildung das pädagogische Feld, sondern postuliert den pädagogisch sinnvollen Einsatz der Digitalisierung im Unterricht indem er fordert, dass die Lehrenden die digitalen Medien im Präsenzunterricht als didaktische Hilfsmittel einsetzen und diese Medien nicht als weitere Heilsbringer betrachten. (Vgl. Lankau 2017) Beachtenswert im Ansatz von Lankau erscheint, dass er noch eindeutig von Lehrenden, und damit von Menschen als Lehrern spricht, statt von digitalen Lernbegleitern und von einem Präsenzunterricht, also von einem realen Zusammentreffen von Lehrern und Schülern in einem nicht-digitalen Raum.

 

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