Sachsen und Bayern vorne – NRW, Bremen, Hessen, Niedersachen Schlusslichter
Erschütternde Ergebnisse der letzten IQB Studie 2025 in MINT Fächern – Sachsen und Bayern vorne – NRW, Bremen, Hessen, Niedersachen Schlusslichter
Von Prof.Dr. Rainer Dollase
Nein – ich freue mich nicht über die IQB Ergebnisse, auch wenn ich nicht müde wurde, den Murks von Bildungsplanungsfuzzies in den Verliererländern zu geißeln. Also eigentlich vollumfänglich Recht behalten habe. Vergessen Sie es…
Die Reaktionen von Bildungsforschung und Bildungspolitik auf die Ergebnisse waren in der Tat billig, dämlich und allesamt falsch. Grund: IQB Vergleichsdaten, PISA oder TIMSS Daten sind nur mit voluminösem Hintergrundwissen vorsichtig als Hinweis auf Ursachen zu verstehen. Alle Reaktionen wiederholten immer dieselben Ursachen, was sie seit Jahrzehnten getan haben. Es sind immer die üblichen Verdächtigen. „Getretener Quark wird breit – nicht stark“ -„und lange klingt es im (Blätter-) walde noch:“ „Wir warten erst mal die Ergebnisse unserer neuen Maßnahmen ab, dann wird sich zeigen, wir sind auf dem richtigen Weg.“ So trösten Bildungsideologen und großmäulige ExpertInnen die Öffentlichkeit seit der ersten PISA bzw. TIMSS Studie. In Wirklichkeit wollen diese Ergebnisdeuter- und -deuterinnen ihre eigen Haut vor dem Verprügeln oder der Entlassung aus ministerialen Diensten retten. Verständlich schon – aber moralisch unter aller Norm…
Nein – die üblichen Verdächtigen – Corona, die social media, die Kriege, die Flüchtenden, die Bildungsungerechtigkeit, die fehlende Kleinkindbildung etc – die sind es nicht (sonst hätten wir nicht so gravierende Unterschiede zwischen den Bundesländern)- sondern die Feigheit von Forschung und Politik den wahren Problemen ins Auge zu sehen. Die sind massiv tabuisiert, weil sie Anstrengungen erfordern. Und Deutschland ist auf dem Weg zum Anstrengungsvemeidungsweltmeister. Übrigens: Überall.
Schädigende Praxisdistanz
Zuallererst die peinliche und dekadente Flucht von Forschung und Politik vor der Praxis, Die schädigende Praxisdistanz ist für die miese Qualität von Bildungspolitik und -forschung verantwortlich. Wenn sich andere Disziplinen so verhalten würden wie die Erziehungswissenschaften – zum Beispiel die Medizin – dann würde eine ChirurgieprofessorIn noch nie eine Operation durchgeführt haben. So ist es aber in den Erziehungswissenschaften – null Ahnung von Praxis zu haben gilt als besonders toll – und dann über die Praxis hetzen („die sind ja so doof und faul, um unsere brillanten Vorschläge umzusetzen“) ist praktisch wie eine Habilitation. Nein – reales Leben, Unterrichten, Schule und Unterricht zu durchschauen erfordert mehr Intelligenz als die Reflexion und Exegese moralinsaurer Pädagogiktraktätchen… das ist eine intellektuelle Entspannungsübung. Kann man auch im Halbschlaf machen. Schwer ist das Machen, schwer ist die Reflektion der Mechanismen, die die Praxis zusammenhalten. Also: jeder und jede, die im Brustton des Wahrheitsbesitzes Bildungspolitik- oder -forschung macht, gehört jede Woche in eine Schule mit hoher Belastung, am besten zu pubertierenden SchülerInnen, um das Scheitern in der Praxis zu lernen. Diese Erfahrung wird zu anderen Planungsideen und anderen Forschungsdesigns führen. Hoffentlich. Endlich.
Sodann – es ist kaum glaublich – die in Bildungspolitik und Bildungsforschung verbreitete Forschungsignoranz – es gibt Millionen von empirischen Studien zum guten Unterricht – weltweit – und wir stellen uns ganz dumm, und überlegen uns im kleinen Stuhlkreis von Schulräten/innen „was wir eigentlich unter gutem Unterricht verstehen“ – oh weia, vermutlich im Studium durchgepennt. Und wenn jemand mal rund 100 000 dieser Millionen empirischen Studien via Metaanalysen gesammelt hat – John Hattie z.B.- dann werden seine Ergebnisse achselzuckend ausgesessen – anstatt endlich den begrenzten Wert von gemeinsamem Lernen, von offenem Unterricht, von altersgemischten Klassen und selbständigem Arbeitsblattunterricht ein für allemal zu akzeptieren. Oder – ein noch schlimmeres Beispiel – die Entpsychologisierung und Entpädagogisierung der Erziehungswissenschaft und deren Ersetzung durch volks- und betriebswirtschaftliche Steuerungmechanismen – Schlagwörter: Qualitätsmanagement, Audit, management by objectives (vulgo: Zielvereinbarung), datengestützte Selbstevaluation etc. – alles Kappes und für die Unterrichtsverbesserung nicht geeignete Pseudodidaktik. Nicht eine Studie belegt deren Wirksamkeit in Schule und Unterricht.
Evidenzbasierte Pädagogik
Was muss her? Zwei richtige Großinstitute für evidenzbasierte Pädagogik. Die sammeln systematisch Informationen über den guten Unterricht und die gute Schule. Kein „Wahrheitsministerien“ (der Kampfbegriff dagegen) – empirische Forschung kann ziemlich genau bestimmen, wann etwas harmlos ist oder wann pädagogische Freiheit unschädlich ist. Und außerdem müssen solche Institute mit Personen besetzt werden, die von Statistik etwas mehr Ahnung haben als der mainstream, von Transformationsforschung ebenfalls mehr, aber natürlich müssen die auch regelmäßig Praxiskontakte haben, um das Scheitern und Gelingen (auch das könnte möglich sein) zu erfahren. Anspruchsvolle Wissenschaftstheorie, Statistik und intelligente Praxis müssen eine Verbindung eingehen.
Ach ja – ich weiß, dass es auch in den Verliererländern ausgezeichnete Lehrkräfte, wunderbare Menschen und begabte und interessierte SchülerInnen gibt. Gerade unsere guten Lehrkräfte haben was besseres verdient als gegenwärtig in Politik und Forschung zu sehen und zu hören, die führen manchmal nur ein bescheidenes Dasein im Kollegium oder in den Klassen – das große und meist falsche Wort führen solche im Lehrerberuf deplatzierten Menschen, die bei Konferenzen und Bewerbungen ihre Bürokratiekompetenz demonstrieren. Das darf auch sofort aufhören.
Und es ist auch nicht nötig „alternative Prüfungsformate“ oder neue Schulversuche und -modelle zu installieren. Und noch mehr „Konzepte“ und prozessgenerierte Daten und Evaluationen (datengestützte Selbstevaluation)- nein – einfach: machen. Und in NRW muss die Bewertung der mündlichen Mitarbeit aufhören – alle Prüfungsleistungen müssen individuell zurechenbar sein. Das ist bei der Bewertung der Unterrichtsmitarbeit meist inobjektiv. Es darf keine Umwege und Schlupflöcher zu Leistungsnachweisen geben, bei denen die Mithilfe von anderen oder Hilfsquellen wie KI genutzt werden. Unterricht und Schule ist Sport – also kognitive Ertüchtigung durch Zehnkampf. Es kommt nicht darauf an, in der Schule schon das Grundstudium zu einzusparen – das Wissen der Welt ist zu umfangreich. Aber man kann das eigene Gehirn trainieren. Aber nicht dadurch, dass man beim 100m Lauf die Strecke verkürzt oder beim Weitsprung das Übertreten erlaubt. Oder beim Marathonlauf (42.195 km) ein Moped als Hilfe zur Fortbewegung zuläßt.
Ein letztes Wort gilt den MINT Fächern. Medien und die Gesellschaft sind schlicht MINT feindlich. Um das zu erklären, benötigt man weder historische Analysen noch feuilletonische Zeitgeistanalysen. MINT Fächer sind unbeliebt weil sie anstrengend sind und viele intellektuell überfordern. Das ist alles. Wenn man wissen will, wer intelligent ist, schauen sie sich die MINT Noten an. Wir sind eine Labergesellschaft geworden, preisen sprachliche Leistungen über den grünen Klee und beurteilen Politiker und Forscher danach, wie sie einer Wortklauberei standhalten können. Auch ein Zeichen von Dekadenz.
10/25 RD
