Veröffentlicht am 13.05.16

Die besten Flirt-Tipps für Jungs und Mädchen. Das Gymnasium und die Bildungsreformer.

PROFIL-Beitrag von Harald Martenstein

Ich verdanke dem Gymnasium fast alles, zumindest im geistigen Bereich. Als Kind hatte ich keine idealen Startbedingungen. Dass ich heute vom Schreiben leben kann, verdanke ich vor allem meiner Schule und meinen Lehrern. Zum Glück haben sie mich gezwungen, an meine Grenzen zu gehen und meine Grenzen zu erweitern. Deshalb verteidige ich das Gymnasium, mit jeder Faser meines Herzens. Was die Bildungspolitik betrifft, wird es für mich allerdings immer schwieriger, mich zu äußern, ohne satirisch zu werden.

2014 haben etliche Bildungspolitiker einen gemeinsamen Aufruf zur ‘Zukunft des Gymnasiums’ veröffentlicht. Das hat mich sehr gewundert, weil ‘Gymnasium’ doch für viele Bildungsreformer beinahe ein Hasswort ist. Warum? Gymnasium, das hieß immer: umfassende Bildung. Und je umfassender ein Mensch gebildet ist, desto skeptischer steht er natürlich in der Regel Bildungsreformen gegenüber. Wenn Bildungsreformer sich zur ‘Zukunft des Gymnasiums’ äußern, dann ist das ungefähr so, als ob Nordkorea einen Aufruf zur ‘Zukunft der Meinungsfreiheit’ veröffentlicht.

Das Turbo-Abitur: eine typische deutsche Bildungsreform

Der Aufruf sollte das Turboabitur verteidigen. Das Turboabitur nach acht statt neun Jahren ist eine typische deutsche Bildungsreform. Das heißt, sie wird relativ unvorbereitet gegen den Widerstand vieler Eltern und nicht weniger Lehrer in hohem Tempo durchgesetzt, dann gibt es Probleme, und nach einigen Jahren wird der Menschenversuch unter heftigen Rückzugsgefechten abgebrochen. Unis beklagen, dass Siebzehnjährige einem Hochschulstudium geistig noch nicht gewachsen sind. Man ist auch zu jung, um wirklich eine so wichtige Lebensentscheidung wie die des künftigen Berufes fällen zu können. Man darf ja nicht einmal einen Mietvertrag unterzeichnen, in Zukunft natürlich in Druckschrift. Warum soll jemand mit Anfang zwanzig in einen akademischen Beruf einsteigen? Wir arbeiten doch schon im Alter länger. Das Turboabitur hat auch dazu geführt, dass Kinder nicht selten einen zehnstündigen Arbeitstag haben – alles in allem eine super Idee, oder?

Die Autoren des Aufrufs schlugen vor, einfach die Stundenzahl und damit die Bildungsstandards zu senken. Weniger Bildung, das ist immer ihre Lieblingslösung. Wenn man die Stundenzahl nur weit genug senkt, ist sicher auch das Abitur nach drei Jahren keine Utopie mehr, und wir dürfen bald den ersten Vierzehnjährigen Gehirnchirurgen begrüßen.

Seit Jahren werden auch die Schulnoten in Deutschland immer besser. Wenn man sich die Noten anschaut, dann ertrinkt das Land fast in einer Flut von Universalgenies. An der Spitze steht Berlin. In den wenigen Jahren von 2006 bis 2012 hat sich in Berlin die Zahl der Abiturienten mit dem Notendurchschnitt 1,0 vervierfacht.

Wenn das wichtigste Abiturwissen darin besteht, eine Lösung abschreiben zu können, könnte man die Klassen 10 bis 13 streichen.

Ein Bildungsforscher, Hans Peter Klein, hat eine Abiturklausur des Leistungsfaches Biologie aus Nordrhein-Westfalen, nur so zum Spaß, einer neunten Klasse vorgelegt. Fast alle haben bestanden, einer mit 1,0. Das gleiche Experiment wurde auch mit einer Mathe-Klausur durchgeführt, mit dem gleichen Ergebnis. Hans Peter Klein hat weitergeforscht. Er hat herausgefunden, dass die Lösungen der Abituraufgaben neuerdings »dem umfangreichen Arbeitsmaterial entnommen« werden können, das den Schülern an die Hand gegeben wird.

Wenn aber das wichtigste Abiturwissen darin besteht, eine Lösung abschreiben zu können, und wenn dieses Wissen nachweislich schon in der neunten Klasse vorhanden ist, dann könnte man doch ohne Weiteres die Klassen 10 bis 13 streichen. Dieses Geld kann man sich sparen.

Der vollständige PROFIL-Beitrag als PDF: Martenstein_PROFIL_4_2016_Die_besten_Flirttipps