Veröffentlicht am 22.02.18

Data for the people

oder: Daten zur allumfassenden Steuerung? Andreas Weigends Postulat des Post-Privacy-Zeitalters.

Gastbeitrag von Burkard Chwalek

Privatsphäre als Illusion

„… es ist an der Zeit zu erkennen, dass sie [die Privatsphäre] heute nur noch eine Illusion ist.“1 Die lapidare Nüchternheit der Formulierung gibt die Intentionen ihres Verfassers zunächst nicht preis und macht sie deutungsoffen. Mit Verstörung aufgenommen, könnte man darin ein klagendes Seufzen über den unwiederbringlichen Verlust eines wesentlichen Fundamentes, auf dem jedes demokratisch legitimierte Gemeinwesen aufruht, mitschwingen hören: dem grundgesetzlich verbürgten Recht auf Schutz der Privatsphäre. Oder es ließe sich dahinter das Gravamen vermuten, dass das im Art. 2 GG umfasste Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung in Anbetracht der Übermacht der Digitalwirtschaft unwiderruflich auf der Strecke geblieben ist. Möglicherweise weckt sie Unbehagen angesichts der verlorenen Sicherheit, noch einigermaßen überschauen zu können, welche Informationen im sozialen Umfeld mit welchen Wirkungen kursieren.

Andreas Weigend, studierter Physiker, ehemals Chefwissenschaftler bei Amazon, Dozent u. a. an den Universitäten in Berkeley und Standford und Verfasser des Buches „Wie wir die Macht über unsere Daten zurückerobern. Data for the people“ beunruhigen solche Fragen nicht. Im Gegenteil: Das Ende der Privatsphäre ist für ihn schlicht gegebenes Faktum, der Wunsch nach einem Zurück nicht mehr als weltfremdes Romantisieren, Affirmation anstelle kritischen Fragens sein Gebot. Darin spiegelt sich indes kein Fatalismus. In vertraut frohgemuter Gestimmtheit der Digitalökonomie ist die Aufgabe der Privatsphäre nicht einmal ein Preis, der gezahlt werden muss, sondern Chance auf ein besseres Leben, auf stärkere Existenz (Weigand, 12), auf wahrhaftes Selbstsein (Weigand, 12, 75), auf Nutzung unserer wahren Interessen (Weigend, 81). Um die Segnungen der Datenrevolution vollumfänglich erfahren zu können, sei lediglich die Lösung des derzeit (noch) bestehenden Problems der Daten-, Informations- und Machtasymmetrien und –ungleichgewichte (Weigend, bes. 21-28 und passim) zwischen den Datengebern und Datensammlern und -veredlern in den „Datenraffinerien“ nötig. Es bedürfe lediglich der konsequenten Umsetzung der beiden Prinzipien der umfassenden Transparenz sowie der Handlungsfähigkeit.

Bezogen auf die Datenrevolution meine Transparenz „das Recht der Einzelnen, von ihren Daten zu wissen, welcher Art sie sind, wohin sie fließen und wie sie zu dem Ergebnis beitragen, dass (sic!) der Nutzer erhält.“ (Weigend, 22) Das Prinzip der Handlungsfähigkeit umfasse „die Macht eines Einzelnen, freie Entscheidungen auf Grundlage der eigenen, durch Datenfirmen ermittelten Präferenzen und Muster zu treffen.“ (Weigend, 24), aber auch die Kompetenz, „für sie selbst [die Menschen] nützliche Daten zu erzeugen.“ (Weigend, 24) Ergebnis sei ein Vorzeichenwechsel – ein Begriff, der die Umkehrung der bislang bestehenden Asymmetrien zwischen Einzelnen und Institutionen, zwischen Datenerzeugern und Datenverarbeitern beschreibe.

Im Einzelnen fordert der Autor v. a. im 5. Kapitel sechs Rechte zur Herstellung der Daten-, Informations- und Machtsymmetrie: das Recht auf Zugang zu unseren Daten, zur Inspektion von Datenraffinerien, zur Datenergänzung, zur Unkenntlichmachung und Mitnahme von Daten sowie zum Experimentieren mit ihnen. Die explizit transportierte, hochlöbliche Intention des Austarierens der Interessen und Ausbalancierens der Machtverhältnisse sei nicht in Abrede gestellt, wenngleich die impliziten Botschaften durchaus auch auf Absichten jenseits des Buchtitels hinweisen (dazu u.). Es bedürfte allerdings zumindest eines normativen und politisch-institutionellen Rahmens zu ihrer Realisierung – ein Erfordernis, das in bezeichnender Weise indes ausgeblendet bleibt, wie das Fehlen der politischen Dimension der Problematik übrigens die gesamte Argumentation kennzeichnet. Angesichts der tatsächlichen Ungleichverteilung von Wissen und Kapital dürften jedenfalls Zweifel an der Durchsetzbarkeit für die auf sich gestellten Nutzer anzumelden sein. Das kann hier nicht weiter verfolgt werden.

In der Auseinandersetzung mit Weigends Entwurf des Zeitalters nach der Privatsphäre sind vielmehr zwei Fragen von Bedeutung. Welche Überlegungen führen den Autor zu der Überzeugung, in der Preisgabe der Privatheit keinen Verlust, sondern vielmehr das Heraufziehen einer glücklichen Zukunft zu erkennen? In welchem Verhältnis stehen die Verheißungen der Post-Privacy-Ära zu einem u. a. durch schutzwürdige Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung konstituiertem Gesellschaftsmodell?

Der gesamte Beitrag (11 S.) als PDF: B. Chwalek: Data for the people