Veröffentlicht am 10.12.13

Das Regime der Betriebswirte

Eine Zwischenbilanz der „neuen Steuerung“ im deutschen Bildungssystem,F.-O. Radtke in: Der pädagogische Blick. Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis in pädagogischen Berufen, Heft 3/2013

In den neunziger Jahren wurden die Schul- und Hochschulgesetze in Deutschland geringfügig, aber folgenreich geändert. Von heute aus gesehen sind es mittlerweile fünfzehn Jahre einer betriebswirtschaftlich angetriebenen Reform, die als eine „Revolution der Manager“ von oben einzustufen ist. In dem Beitrag werden Wirkungen und Nebenwirkungen dieser Politik der „neuen Steuerung“, vor allem aber die Folgen reflektiert, welche die Betriebswirtschaft als Leitdisziplin dieses von der OECD und der EU eingeleiteten Reorganisationsprozesses hinterläßt.

Angelaufen war der neoliberal dirigierte Umbau des deutschen Bildungswesens in den 1990er Jahren. Lobbyisten1 begannen durch konzertiertes agenda setting, eine „Ruckrede“ des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog inklusive, die öffentliche Meinung gezielt in Krisenstimmung zu versetzen. Es galt, das Publikum auch in der grundsätzlich umstrittenen Bildungsfrage reformbereit zu machen. Auf allen Kanälen wurde mit dem Argument der „Globalisierung“ die Logik der Märkte gegen politisch motivierte Eingriffe des Staates in Stellung gebracht. Exportabhängige Unternehmen könnten auf den globalen Märkten nicht mehr bestehen, sollten die sozialstaatlichen Beschränkungen der Kapitalverwertung lokal nicht gelockert werden. Zugleich mit einer Deregulierung der Arbeitsbeziehungen müsse der Staat (!) mit der nötigen Infrastruktur dafür sorgen, daß die heimischen „Rohstoffe“ Wissen und Bildung, in Humankapital transformiert, effektiver und effizienter im Interesse der Unternehmen zu nutzen seien.
Im Schatten der Ängstigung vor dem Niedergang wurden fast lautlos zuerst das Hochschulrahmengesetz und dann nacheinander die Hochschul- und die Schulgesetze der Bundesländer geändert.2 Von heute aus gesehen sind es mittlerweile 15 Jahre einer betriebswirtschaftlich angetriebenen „Reform“, deren Wirkungen und Nebenwirkungen sich in Umrissen abzeichnen sollten. Wiewohl man nicht weiß, ob man zu früh fragt,3 soll im Folgenden doch eine Zwischenbilanz versucht werden.

Reformen reagieren auf vorangegangene Reformen, deren ausgebliebene Wirkungen und unerwünschte Nebenwirkungen sie korrigieren sollen. Weil politische Interventionen in einzelne Funktionssysteme mit der Zeit gehen, muß man sie als historische Ereignisse auffassen. Eine Bildungsreform ist eingebettet in eine je besondere gesellschaftliche Konstellation und ihre politische Deutung. Man muß ihre Geschichte erzählen und den sozialen Kontext rekonstruieren, um den Eintrag von Plänen und Programmen in die soziale Evolution der Gesellschaft abschätzen und ihre Wirkungen ermessen zu können.

Der ganze Beitrag als PDF: F.-O. Radtke: Regime der Betriebswirte