Veröffentlicht am 10.09.14
Google & Co.: Datenprostitution schon für Kinder
Der Smartphone-Wunsch eines Kindes sie schnell erfüllt, schreibt Uwe Ebbinghaus in der FAZ. Von der gängigen Software für diese Geräte sei jedoch aus Gründen des Kinderdatenschutzes dringend abzuraten.
„… die Überraschung ist groß, wenn Sie vor dem Herunterladen eines harmlosen Kinderspiels dazu aufgefordert werden, der App den Zugriff auf das Telefonbuch und andere persönliche Eintragungen Ihres Kindes zu geben. Außerdem sollen Sie sogenannte In-App-Käufe zulassen, eine mögliche Kostenfalle, vor der überall gewarnt wird. (…) Im App-Store sehen Sie, dass die Zugriffsrechte, die sich der Kurznachrichtendienst [WhatsApp] einräumen lässt, eine glatte Unverschämtheit sind…“
Spätestens mit dem Wechsel in die Mittelstufe könnten Schüler(inn)en ihren Alltag ohne Smartphone kaum mehr bewältigen. So jedenfalls Gleichaltrige mit Smartphones, die sie dank digitalaffiner Eltern schon früh nutzen. Der Besitz ist nicht nur Spielzeug und Statussymbol, sondern dient der sozialen Selektion wie Exklusion, wie man es von Marken-Kleidung kennt. Setzen dann digitaleuphorische Pädagogen auch im Unterricht oder der Kommunikation im Klassenverband auf euphemistisch „sozial“ genannte Vereinzelungsdienste (social media: jeder sitzt vor seinem Display und erzählt primär von sich), ist der angerichtete Schaden maximal: Unterricht wird an technischen Geräten und Diensten ausgerichtet, die Aufmerksamkeit auch in der Schule auf Displays und Touchscreens gerichtet, die Isolierungstechniken am Computer zur Methode des Unterrichtens erklärt und die Daten der minderjährigen Schutzbefohlenen – das sind noch nicht strafmündige Schüler juristisch – den Digitalanbietern zur Erstellung von Nutzer- und Persönlichkeitsprofilen quasi frei Haus geliefert. Während unter dem Stichwort Inklusion Kinder mit sehr unterschiedlichem Förderbedarf in den Regelschulen gemeinsam unterrichtet werden sollen – was aufgrund der fehlenden sonderpädagogischen Ausbildung der meisten Lehrer(innen) und mangelndem zusätzlichem Personal i.d.R. zur Minderförderung aller Schüler(innen) führt – wird auf der anderen Seite Unterricht an einer technischen Infrastruktur wie dem Internet, Smartphones und Tablets ausgerichtet, die schon technisch isolieren und die der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, als Instrumente zur Einführung des technologischen Totalitarismus bezeichnet. Wie passt das zusammen?
Schulen vom Netz – solange getrackt und profiliert wird
Das passt hervorragend, wenn man zynisch genug ist, Kindertagesstätten und (Hoch-)Schulen als kommerzielle Bildungsdienstleister mit dem Ziel der möglichst effizienten Zurichtung von jungen Menschen zu betrachten, bei gleichzeitiger Optimierung und Verstetigung der eigenen Umsätze durch digitale Geräte und Anwendungen (Software und Apps). So gelingt quasi nebenbei die möglichst frühzeitige Gewöhnung an die Entmündigung durch „intelligente“ Computer und Internetdienste. Denn Kampagnen wie „Schulen ans Netz“ oder die Lobby-Arbeit für Laptops-, heute Tablet-Klassen sind nur vermeintlich schüler- oder lernorientiert. Es sind Geschäftsmodelle.
Die Fakten: Die Ausrüstung einer Klasse mit Tablets, Whiteboard (elektronische Tafel) und Beamer für die Projektion kostet ca. 15.000 Euro – alle drei Jahre. Elektronik veraltet schnell. Plus Wartung durch Servicetechniker, Updates, Schulung. Das kann man hochrechnen auf über 45.000 Schulen in Deutschland (35.528 Allgemeinbildende und 8.831 Berufsschulen, Stand 9/2014). Das ist ein tragfähiges und nachhaltiges Geschäftsmodell für IT-Anbieter. Statt Pädagogen, Psychologen, Mentoren und Tutoren wird in Technik investiert. Die Umschichtung der Etats von pädagogischem zu technischem Personal ist in der tat ein „nachhaltiges“ Programm.
Dazu kommt: Der Nutzen von digitalen Techniken und/oder Medien im Unterricht ist mit keiner neutralen, d. h. belastbaren Studie belegt. Die intensiv diskutierte Meta-Studie von John Hattie (Visible Learning, 2008) kommt zu dem so famosen wie kuriosen Schluss: Computer im Unterricht nutzen nicht, schaden aber auch nicht – je nachdem, was man im Unterricht damit macht. Das gilt für analoge wie digitale Medien gleichermaßen. Nicht die technische Form von Medien (Buch oder eBook, Film als DVD oder über YouTube) ist entscheidend, sondern der Kontext und die didaktische Einbindung in den Unterricht. So selbstverständlich wie trivial. Unter dem Einfluss der IT-Lobby hat sich aber, selbst für einige Pädagogen, der Fokus verschoben und es werden digitale Medien präferiert, ohne deren tatsächlichen Nutzen belegen oder die Folgen abschätzen zu können.
Dabei gilt: Solange mit Rechnern „nur“ lokal lokal gearbeitet wurde, waren die Folgen überschaubar. Mit der Anbindung ans Netz sind sie es nicht mehr, denn jede Aktion im Netz, jede Mausbewegung, jeder Mausklick, jedes Scrollen werden gespeichert und ausgewertet. Jedes Smartphone, jedes Tablet und jeder PC hat dafür eine weltweit eindeutige IP-Adresse (IP: Internet Protocol) Alle Aktionen werden so genau einem User zugeordnet. Das ist technisch notwendig, damit das Netz funktioniert. Nur werdend diese Protokolldaten nach der Online-Session nicht gelöscht, sondern gespeichert, um daraus immer genauere und komplexere Nutzer- und Bewegungsprofile zu erstellen. Das sind die Spielregeln für vermeintlich kostenlose Dienste: Die Nutzer zahlen mit ihren personenbezogenen Daten. Diese Nutzerdaten sind die eigentliche Ware. Selbst Erwachsenen wissen i. d. R. nicht, welche Daten beim Surfen entstehen und wer was damit macht. Immerhin sind sie für ihr Tun verantwortlich, wenn auch (selbstverschuldet aus Bequemlichkeit, wie es bei Kant heißt) unwissend. Kinder können die Folgen schon aus Altergründen nicht einschätzen.
Staatlich verordneter Jugendschutz in den USA: COPPA
In den Vereinigten Staaten sichert daher das amerikanische Jugendschutzgesetz COPPA (Children’s Online Privacy Protection Act) die Privatsphäre von Kindern und Jugendlichen. Daten von Kindern dürfen nicht gespeichert werden. Kinder dürfen Google, Facebook und z.B. YouTube nach deren AGBs sogar generell erst ab 13 Jahren nutzen, WhatsApp erst mit 16 Jahren. Möchten Kinder diese Dienste früher nutzen, müssen deren Eltern ein Google-Konto für ihre Sprösslinge einrichten. Damit ist zwar dem Kinder- oder Jugendschutz nicht gedient, aber juristisch sind jetzt die Eltern für das Verhalten ihrer Kids und den möglichen Missbrauch der Daten verantwortlich, nicht Google & Co.
Werden Google-Dienste hingegen in US-Schulen eingesetzt, muss das Tracken (Speichern aller Aktionen der Schüler) aus Jugendschutzgründen von Google verbindlich ausgeschaltet werden. Es ist für Google & Co. also ein leichtes, Kinder und Jugendliche bzw., deren Nutzungsdaten im Netz zu schützen: durch einfaches Nichtspeichern bzw. automatisches Löschen der bei der Online-Session angefallenen Daten. Eltern richten das Konto ein, Google verpflichtet sich, das Nutzerverhalten der Minderjährigen weder zu tracken (Bewegungsverfolgung und Ortung) noch deren Daten für das Targeting (Mustererkennung und Erstellen von Nutzerprofile) dauerhaft zu speichern und/oder zu nutzen, bis die Kids 16 oder 18 sind. Kinder- und Jugendschutz ist also schon jetzt technisch einfach zu realisieren, wenn nur die bereits vorhandenen, technischen Möglichkeiten genutzt würden, deren Einsatz in amerikanischen Schulen Pflicht ist.
Die Nutzer fragen – und entscheiden lassen
Würden diese Jugendlichen dann volljährig oder strafmündig, könnten Google & Co. ihnen beim nächsten Einloggen zum Geburtstag gratulieren und darauf hinweisen, dass ihre Daten jetzt wie bei Erwachsenen von jetzt an gespeichert und für das Erstellen von Nutzerprofilen ausgewertet würden, „um ihnen noch bessere Suchergebnisse und Angebote machen zu können“. Das ist rechtlich zulässig und dank Google-Konto technisch extrem einfach zu realisieren. Es wird nicht passieren. Google müsste rein rechtlich neben dem „Zustimmen-“Button auch einen Button zum Ablehnen anzeigen, sonst wäre es keine Zustimmung. Wer nur „Ja“ sagen kann, stimmt nicht zu, sondern wird zur Zustimmung genötigt oder bleibt stimmlos (exkludiert) wie bei den Facebook-Likes.
Zwar würden die meisten netzaffinen Nutzer/innen auf den Ja-Button klicken und weiter mitmachen, aber Google& Co. begnügen sich nicht mit der Mehrheit der Nutzer. Google, Apple, Facebook & Co. adressieren alle User, um sie mit ihren Diensten und Angeboten zwangsbeglücken zu können. Man sollte die entsprechenden Äußerungen von Larry Page (Google), Jeff Bezos (Amazon) und anderen ernst nehmen: Es sind Herrschaftsansprüche auf Monopolstrukturen und Weltherrschaft. Zumal: Am Ende kämen auch andere User auf die Idee, dass es ein Netz ohne Tracking und Targeting geben könnte? Ohne permanentes Speichern und Auswerten personenbezogener Daten, ohne stetige Profilierung und fürsorgliche Bevormundung?
Medienkompetenz heute heißt: Schulen vom Netz
Aber auch die Lobby-Verbände der IT-Industrie versagen beim Kinderdatenschutz. Zwar fordern Wirtschafts- und IT-Verbände regelmäßig mehr Medienkompetenz samt Informatik- und Programmierunterricht. Nur konterkarieren sich diese Verbände selbst. Denn Medienkompetenz ernst genommen hieße, alle Schulen vom Netz zu nehmen, bis die Kinderdatensicherung gewährleistet ist. Für IT- und Wirtschaftsverbände muss der Schutz von Kindern und Jugendlichen ebenso an erster Stelle stehen wie für die Kultusministerien und Schulen. Wenn Verbände, Ministeriale oder Pädagogen „Medienkompetenz“ und den Einsatz von Digitaltechniken schon in der KiTa und in der Grundschule fordern, weil Digitalgeräte nun mal zum Lebensalltag gehören würden: Warum entwickeln sie dann nicht zusammen mit Universitäten und Hochschulen ein nach demokratischen Regeln und Rechtsnormen gültiges, nicht-kommerzielles „Schoolbook“ als Alternative zu Facebook das keine Daten speichert und Kinder nicht trackt? Mit integriertem (Kinder-)Datenschutz also? Auch das ist technisch einfach. Der Informatikprofessor Thorsten Strufe (heute TU Ilmenau) hatte 2010 das Projekt „Safebook“ als datenschutzrechtliche Alternative zu Facebook initiiert, auch wenn er das Projekt aufgrund beruflicher Auslastung nicht fortsetzen konnte. Aber Strufe hat gezeigt: Wo ein Wille ist, ist selbst für Einzelpersonen ein Weg …
Da bundesweite IT-Projekte extrem teuer werden, ewig dauern und letztlich scheitern, wird man ein Projekt „sicheres Schoolbook“ den Ländern oder sogar Regierungspräsidien zuordnen. Die einzelnen Projekte können ja miteinander kooperieren oder (der Markt, der Markt, nein, diesmal: die besseren Ideen) auch konkurrieren. Entscheiden wäre nur, dass eine technische Infrastruktur geschaffen wird, bei der der Zugriff auf Daten nach bundesdeutschem Recht gewährleistet und sichergestellt wird. Direkte Verbindungen zwischen den Schulen und zum Bildungsserver erlauben in Verbindung mit Verschlüsselung und gesicherten 1:1-Verbindungen oder anderen Sicherheitstechniken (VPN, https, Tor u.a.) zwar keinen Schutz gegen Geheimdienste (die in ihrer berufsbedingten Paranoia wohl auch Schülerdaten sammeln), aber verhindern zumindest die kommerzielle Auswertung von Daten Minderjähriger. Zugleich kann man diese sichere(re) Form der Kommunikation via Netz im Unterricht thematisieren und den Aufbau von und Umgang mit Netzen z. B. als Unterrichtsprojekt ab der Mittelstufe thematisieren, eigen Server aufsetzen und hacken, eigene Wikis für den Unterricht zusammenstellen etc. Das wäre dann auch didaktisch sinnvoll, altersangemessen, vermittelt Medien- und IT-Kompetenz am konkreten Beispiel – und entzaubert das Netz …
Ebbinghaus schließt seinen Beitrag mit dem Satz: „Der Smartphone-Wunsch eines Kindes ist schnell erfüllt, von der gängigen Software aber, die es darauf gerne abspielen würde, kann man momentan nur abraten.“ Hier besteht in der tat akuter Handlungsbedarf für IT-ler, da man als verantwortungsbewusster Lehrer andernfalls derzeit alle Internetzugriffe und -anwendungen aus datenschutzrechtlichen Gründen aus der Schule verbannen muss.
Ob sich dann mit hoffentlich sicherer Technik sinnvolle Anwendungsszenarien für digitale oder Netzwerkmedien ergeben, wird sich weisen. Aber der Kinderdatenschutz ist Bedingung, um den Einsatz von Digital Devices, Web und Apps im Unterricht überhaupt diskutieren zu können.
Ebbinghaus, Uwe [Daddelpeter, 2014]: Handyzwang bei Kindern. Der Daddelpeter, Der Kinderdatenschutz im Netz liegt brach. Gleichzeitig bekommen immer jüngere Schüler ein Smartphone geschenkt. Für Diskussionsstoff zum Schulbeginn ist gesorgt, in. FAZ vom 5.9.2014, S. 15
Morozov, Evgeny [Versuchskaninchen, 2014]:Digitale Überwachung. Wir ahnungslosen Versuchskaninchen, in: FAZ vom 29. Juli 2014, S. 9
Schulz, Martin [Kämpfen, 2014]: Technologischer Totalitarismus. Warum wir jetzt kämpfen müssen, in: FAZ vom 6.2.2014, S. 25
Statistisches Bundesamt: Allgemeinbildende und berufliche Schulen
Zuboff, Shoshanna [Massenausforschungswaffen, 2014]: Die neuen Massenausforschungswaffen, in: FAZ vom 13.2.2014
Der ganze Beitrag als PDF: Lankau: Datenprostitution_fuer_kinder
Tags: Datenschutz > digitale Medien im Unterricht > Kinderdatenschutz > Social media
https://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/google-co-datenprostitution-schon-fuer-kinder.html