Veröffentlicht am 24.10.13
Kompetenzen als Modell und Wirklichkeit — über den Unterschied zwischen vermessener und verwirklichter Bildung
Die PIAAC–Studie weist für Deutschland insgesamt durchschnittliche und in Teilen weit unterdurchschnittliche bis deprimierende Ergebnisse aus. Die Vermessung von Kompetenzen Erwachsener, angelegt als internationaler Vergleich, muß in einem Land einige Aufmerksamkeit erregen, das sich auf der einen Seite mit dem weltweit nur mittelmäßigen, in einigen Regionen auch katastrophal zu nennenden Abschneiden seiner fünfzehnjährigen Schüler abgefunden zu haben scheint, das aber auf der anderen Seite auf eine verschwiegene Weise sich mit der Gewißheit beruhigt, daß die schlechten Schulen wohl keine nennenswerten Konsequenzen für den vergleichsweise hohen Wohlstand haben. Man ließ sich in den letzten Jahren die PISA–Schelte gefallen, weil sie nicht jene Substanz zu treffen schien, die im evident konkurrenzfähigen Niveau des Arbeitsvermögens, respektive der Berufsfähigkeit der meisten seiner Einwohner gesichert scheint. Man könnte die Psychologie dieser im Ganzen gelassenen Reaktion so beschreiben: »Die Kinder und Jugendlichen mögen ja nicht die besten Schulen der Welt besuchen, aber der daraus erwachsende Schaden dürfte doch begrenzt sein und vielleicht sogar ausgeglichen werden, wenn der Ernst des Lebens auf dem Arbeitsmarkt beginnt und es um die Verwertung der eigenen Arbeitskraft geht«. Um dem folgenden vorzugreifen: Dieser Arbeitsmarkt ernährt nicht nur Akademiker, Krankenschwestern, Bademeister, Kellner, Maurer, Stahlbetonbauer oder Techniker, Bankkaufleute und Unterrichts– und sonstige Beamte, sondern auch An– und Ungelernte, in ganz erheblicher Zahl zumal in Industrie und Handel.
Bliebe übrig, die formale Einheitlichkeit des Kriteriums »Beschäftigung« nach dem Einkommen aufzulösen. Um es wenigstens ironisch anzudeuten: Die Einschläge kommen näher; die saturierte Beruhigung darüber, daß bei den large scale assessments halt Dinge herauskämen, die unschön, aber nicht heillos seien, müßte sich erschüttert fühlen, wenn eben jene Erwachsenen, die nach anderen OECD–Statistiken mit Blick auf den Weltmarkt über weit überdurchschnittlich konkurrenzfähige Qualifikationen verfügen, tatsächlich annähernd genau so dumm oder klug wie die fünfzehnjährigen Schüler — immerhin ihre Söhne und Töchter, Enkel und Enkelinnen — sein sollen. Auch ein naiver, vielleicht nicht medien–, aber immer noch wissenschaftsgläubiger Mensch müßte hier auf ein Mißverhältnis zwischen dem Untersuchungsergebnis und der eigenen mittel– wie unmittelbaren gesellschaftlichen Erfahrung stoßen.
Dieses Mißverhältnis blieb auch nach der initialen Wirkung der Studie auf die Medien meistens unbenannt. …
Der ganze Beitrag als PDF: R. Bremer: Kompetenzen als Modell der Wirklichkeit
Tags: empirische Bildungsforschung > Ökonomisierung > PIAAC > PISA
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