Veröffentlicht am 26.02.16

Lehrerbildung raus aus Bologna!

Stellungnahmen zum Lehrerausbildungsgesetz NRW

– von Prof. Dr. Ursula Frost, Prof. Dr. Ulrich Heinen und Prof. Dr. Hans Peter Klein

 

Bei einer Expertenanhörung im Landtag NRW zur Novellierung des Lehrerausbildungsgesetzes wurden markante und denkwürdige Stellungnahmen vorgebracht. Diese mahnten eine grundsätzliche Revision der durch Bolognareform und Kompetenzorientierung zunehmend wissenschafts- und bildungsfeindlichen Lehramtsstudiengänge an. Nicht Bologna sei alternativlos: „Alternativlos ist nur Humanität“, so Ursula Frost von der Universität zu Köln. Tatsächlich habe die Bolognareform die selbst gesetzten Ziele nicht erreicht, sei rechtlich und theoretisch fragwürdig und praktisch schädlich. „Kompetenz“ widerspreche dem Anspruch universitärer Bildung, mit ihr würde eine Verhaltenssteuerung künftiger Lehrerinnen und Lehrer angestrebt, die sich so kritiklos den ministeriell gewünschten gewünschten Vorgaben anpassen sollten.

Das Studium müsse Persönlichkeitsbildung und Kohärenzerfahrung ermöglichen, was durch Modularisierung und kleinteiliges studienbegleitendes Prüfen verhindert werde, so Ulrich Heinen, der für die Lehrerbildung an der Bergischen Universität Wuppertal an zentraler Stelle verantwortlich ist. Lehrerbildung auf technische Regelsysteme auszurichten habe schon über Sowjetunion und DDR um 1960 in die Reformen der Lehrerbildung hineinzuwirken begonnen und verschmelze neuerdings insbesondere mit kybernetischen Lernauffassungen, die in Schlagworten wie „individuelle Förderung“ und „Inklusion“ fortlebten, so Heinen.

Daher stelle der Gesetzesentwurf einen weiteren „imperialen Durchgriff der Exekutive in die Freiheit von Forschung und Lehre der nordrheinwestfälischen Universitäten“ dar, stellte auch Hans Peter Klein von der Goethe Universität Frankfurt klar. Hierzu gehöre die erneut verschärfte „Entfachlichung der Lehramtsstudiengänge zugunsten fragwürdiger Unterrichtskonzepte“: Offenbar wolle man den Fachdidaktiken nicht nur Inklusionsfragestellungen vorschreiben, sondern „die völlig umstrittenen Konzepte der ‚Neuen Lernkultur‘ mit Individualisierung von Unterricht, der Rolle des Lehrers als Lerncoach und konstruktivistischen Unterrichtskonzepten entsprechend den Vorstellungen der rot-grünen Landesregierung“ verbindlich durchsetzen, so Klein.

Tatsächlich sei für den Lehrerberuf aber entscheidend, eigenständige Urteilsfähigkeit und unabhängigen Sachverstand zu erwerben, Mut zu ungewöhnlichen Wegen anzuregen, Mitgefühl und Solidarität zu kultivieren sowie politische und ethische Widerständigkeit, so die Erziehungswissenschaftlerin Ursula Frost. Dies gelinge nur, wenn das Studium die dialektische Studienerfahrung von Freiheit und Verantwortung ermögliche, nicht aber durch modularisierte Gängelung: Wie sollten sonst Lehrerinnen und Lehrer Urteilskraft und Verantwortung bei ihren zukünftigen Schülerinnen und Schülern anleiten können?

Reflexionsinstanz hierzu seien die Erziehungswissenschaften, nicht die „bildungsbürokratisch neu kreierte Disziplin, die sogenannten ‚Bildungswissenschaften‘“, erklärte Ulrich Heinen. Die Politik habe die Freiheit von Forschung und Lehre zu respektieren, nicht zuletzt, weil die ministerielle Steuerung auf dem Verordnungsweg mehr zerstört als gewinnt.

Empfohlen wird von den genannten Experten die Aussetzung des Bologna-Prozesses, um einen neuen, offenen Diskurs zu ermöglichen und eine Reform der Reform anzustoßen. Insbesondere sei die Lehrerausbildung wieder an sachbezogener, persönlicher Bildung im Kontext gesellschaftlicher und politischer Verantwortung auszurichten. Fachsystematik habe Verhaltenssteuerung zu ersetzen, der Maßstab mündiger Kritik die Normerfüllung. Einig waren sich die Experten zudem, dass die Grundfragen der Lehrerbildung nicht länger der politischen und fachlichen Debatte entzogen bleiben dürfen, sondern zurück in den Raum demokratischer Mitbestimmung und diskursiver Verhandlung gerückt werden müssen.

 

Die lesenswerten Stellungnahmen von Prof. Dr. Ursula Frost, Prof. Dr. Ulrich Heinen und Prof. Dr. Hans Peter Klein finden Sie hier:

Prof. Dr. Ursula Frost, Universität zu Köln

Prof. Dr. Ulrich Heinen, Bergische Universität Wuppertal

Prof. Dr. Hans Peter Klein, Goethe-Universität Frankfurt