Veröffentlicht am 21.07.11

Man kann das Richtige fordern…

… und das Falsche damit erreichen wollen. Auf diesen Kernsatz lässt sich die neue Initiative der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber (BDA) zusammenfassen. Gefordert wird mit einem 8-Punkte-Katalog – zu Recht – eine grundlegende Reform der Förderung von Kleinkindern, eine möglichst frühe Sprachförderung, der nicht nur quantitative, sondern qualitative Ausbau der Kinderbetreuung, der verstärkte Einsatz von ausgebildeten Fachkräften und akademisch gebildeten Führungskräften mit entsprechender Vergütung, eine also auch finanzielle Aufwertung der Arbeit mit Kindern.

Diese zu unterstützenden Forderungen des BDA dienen allerdings nicht dem kindlichen Wohl, sondern dem Umbau von Kindertagesstätten zu „Bildungseinrichtungen“, gekoppelt an die „verbindliche Einführung von Bildungsstandards und definierte Lernziele“, verpflichtende Sprachförderungsprogramme und dem Nachweis des Vollzugs durch regelmäßige Testreihen und Evaluationen. Was wäre schließlich ein Standard, was wäre eine Norm(ierung) ohne regelmäßige Prüfung und Testat?

Die Folgen

Entscheidend sind die Folgen, die durch Pisa&Co an (deutschen) Schulen bereits erfolgreich exekutiert werden: Unterrichtsinhalte richten sich nach dem Testdesign einiger Testpäpste und ihrer Auftraggeber. Natürlich nicht (im Wortsinn) offen-sichtlich. Ein direkter Eingriff in und Einflussnahme auf Curricula führt zu Protesten. Aber die Zuweisung von Stellen und Mitteln an Schulen anhand der regelmäßig eruierten und publizierten Testergebnissen führt zum gleichen Ergebnis. Das steht so selbstredend nicht (wörtlich) im Forderungskatalog. Aber es ist legitim, implizierte  Konsequenzen aufzuzeigen. Zugleich gewöhnen sich Erzieher/innen, Eltern und Kinder an regelmäßige Leistungstests und Rankings. Das „teaching to the test“ wird möglichst früh institutionalisiert. Der Wert und die Qualität einer Bildungseinrichtung wird in Rankings abgebildet – und als Urteil unreflektiert akzeptiert.
Der BDA argumentiert, wie schon bei der Pisa-Diskussion, rein betriebswirtschaftlich (Auszug):„In der frühkindlichen Bildung lohnt sich die Investition besonders: Die Effektivität der eingesetzten Ressourcen ist höher, je früher und gezielter im Bildungssystem angesetzt wird. (…) Die mit rückläufigen Kinderzahlen frei werdende „demografische Rendite“ muss vor allem in die frühkindliche Bildung investiert werden.“ (Punkt 8; Quelle BDA, Link s.u.)

Sprache zeigt die Intention

An der Sprache sollt ihr sie erkennen. Das aus der Bologna-Diskussion leidlich bekannte Paradigma, Bildungseinrichtungen als Unternehmen zu betrachten und führen zu wollen, wird – nach Hochschulen und Schulen – jetzt auf Kitas übertragen. Aufgabe und Ziel sind die Definition von Standards, die Entwicklung der zum Messen dieser Standards (!) relevanten Testreihen und die Reglementierung der Kollegien durch Mittelzuweisung nach Kennzahlen-Rankings.

In sich ist es durchaus logisch: Wer Markt sagt, sagt auch „Humankapital“, effizienter Mitteleinsatz zur Renditesteigerung und Optimierung der Produktion (von „brauchbaren“ Kindern, Schülern, Absolventen mit trainierbaren, vor allem prüf-  und testierbaren „Kompetenzen“). Wer marktradikal argumentiert, betrachtet auch den Menschen als Produktionsmittel und auch dessen „Produktion“ als steuerbaren Prozess. Es ist die konsequente „Verzweckung des Menschen“ (Humboldt), lediglich vorverlagert in Kitas. Der junge Mensch ist nun mal besonders „formbar“, der Mitteleinsatz entsprechend „effizient“.
Man kann, heißt das, das Richtige fordern – möglichst frühe Förderung aller Kinder und Mittel dafür – um das Falsche damit zu erreichen: die Einführung von Bildungsstandards schon im Kinderarten, möglichst früh greifende Systeme zur Normierung der Lernenden und Kontrolle der Lehrenden, Konditionierung auf Testreihen und stetige Evaluation aller Beteiligten. So definiert man Bildung als Resultat eines steuerbaren Prozesses, bei dem man das „Humankapital“ möglichst früh formt und selektiert. Der Mensch als Produkt des „Qualitätsmanagements“.

Zahlenfixiert standardisiert

Erstaunlich (?) ist, dass die Forderungen des BDA so deckungsgleich sind mit denen der empirischen Bildungsforschung und der zugehörigen Institute, exemplarisch nachzulesen im letzten Buch des Kognitionsforschers Gehard Roth*. Nach einem gut verständlich geschriebenen Überblick über Erkenntnisse der empirischen Kognitions- und Bildungsforschung, über psychologische und didaktische Konzepte kulminiert das zwölfte Kapitel in der Forderung nach Mitteln und Stellen für – mehr empirische Bildungsforscher, Psychologen und Informatiker zum Entwickeln von weiteren Tests sowie Spezialisten für Qualitätsmanagement (QM). Als würde Lernen gelingen, wenn man alles standardisiert, misst und ständig prüft. Das kennen wir zudem seit Comenius‘ „Didactica magna“ (1657): Die gleichen Bilderbücher, Texte und Fragen für alle Kinder führen dazu, dass zwar nicht alle Kinder gleich sind, aber zumindest die gleichen Antworten geben (müssen), um gut bewertet zu werden.
Wenn das das Ziel ist …

Quelle: http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/id/DE_8-Punkte-Katalog_fruehkindliche_Bildung (Zugriff 21. Juli 2011)

*Gerhard Roth: Bildung braucht Persönlichkeit. Wie Lernen gelingt; Klett-Cotta, 2011