Veröffentlicht am 19.12.12

Bertelsmann Stiftung verliert weiter an Glaubwürdigkeit

Josef Kraus (Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, DL) schreibt „Über den Wert von Bertelsmann-‚Studien'“:

„Die bildungspolitische Debatte ist immer weniger orientiert an den Kriterien Rationalität und Ehrlichkeit, sondern immer mehr geprägt von Schreckensszenarien gewisser Organisationen und Stiftungen. Die jüngste „Meldung“ aus dem Hause Bertelsmann über angeblich jährlich nur 23.000 „Bildungsaufsteiger“ bei angeblich 50.000 „Bildungsabsteigern“ gehört zur letzteren Kategorie.

Damit solche Szenarien ihre Wirkung entfalten können, werden sie als „Studien“ und damit als „Wissenschaft“ verkauft. Wenn der Initiator einer solchen „Studie“ auch noch OECD oder Bertelsmann heißt, dann steht eine solche „Studie“ kurz vor der Heiligsprechung zur apokalyptischen Offenbarung.

Diese Art von Handwerk versteht die Bertelsmann Stiftung hervorragend – übrigens nicht nur im Bereich Bildungspolitik, sondern auch in den Bereichen Kommunalpolitik, Außenpolitik, Europapolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik usw. Auf all diesen Feldern sieht sich die Stiftung als „Reformwerkstatt“ und als „Politikberatung“.

Die Bertelsmann Stiftung verfügt über enorme Ressourcen. 1977 gegründet, hält sie mittelbar rund 77 Prozent der Aktien der Bertelsmann SE & Co. KGaA. Das erlaubt ihr nicht nur die Beschäftigung von über 300 Mitarbeitern, sondern größte mediale Verbreitung über die in ihrer Hand befindlichen Sender und Printmedien. Weil die Bertelsmann-Familie Mohn rund drei Viertel der Bertelsmann-Aktien auf die Stiftung übertragen hat, sparte sie obendrein vermutlich gut zwei Milliarden Erbschafts- und Schenkungssteuer. Die Bertelsmann Stiftung mit ihrem Jahresetat von rund 60 Millionen Euro und mit einem Gesamtvolumen aller ihrer Projekte seit 1977 in der Höhe von rund 800 Millionen Euro arbeitet so gesehen also de facto mit öffentlichem Geld, ohne dafür gegenüber einer Exekutive oder Judikative Rechenschaft ablegen zu müssen.

Besonders wirksam ist, dass zum Bertelsmann-Konzern die Sender RTL mit seinen verschiedenen Programmen und VOX sowie zahlreiche Printprodukte von Gruner und Jahr gehören, dass Bertelsmann ferner am Politikmagazin „Spiegel“ und an der „Financial Times Deutschland“ beteiligt ist. Über diese ausgedehnten medialen Möglichkeiten dringt Bertelsmann in viele Redaktionsstuben sowie in zahlreiche Politiker- und Ministerialbüros ein. Geadelt wird die Bertelsmann Stiftung bei ihren Auftritten und Kongressen von ehemaligen Bundespräsidenten sowie von amtierenden Regierungschefs und Ministern.“

Der ganze Beitrag auf der Homepage des DL: Kraus_Bertelsmannstudien

Kommentar MB:

Unlängst hat die Deutsche Gesellschaft für Soziologie mit fundierter Kritik dem CHE-Hochschulranking, durch das die Bertelsmann Stiftung öffentliche Meinung und Hochschulwirklichkeit zu steuern versucht hat, die wissenschaftliche Legitimation entzogen. Dies hatte zur Folge, dass auch weitere Fachverbände wie die DGfE (Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft) und die GDCh (Gesellschaft Deutscher Chemiker) sich dem Boykott angeschlossen haben.

Mit Josef Kraus meldet sich nun der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL) zu Wort, um an vielen Beispielen die wissenschaftliche Fragwürdigkeit und die politisch-ökonomistische Tendenz der Bertelsmann Studien zu demonstrieren. Es wird deutlich, dass diese nicht Ausdruck eines neutralen Erkenntnisinteresses sind, sondern von einem unterschwelligen und zugleich manifesten Gestaltungswillen getragen sind, dem allerdings jegliche demokratische Legitimation fehlt. Gleichwohl werden Lehrerkollegien und Schüler von der Politik willfährig den Reformenprojekten der Stiftung ausgeliefert. Um es ganz deutlich zu sagen: All das, was in den letzten Jahren mit dem deutschen Bildungswesen und seinen Insassen angestellt wurde, ist weder durch einen breiten wissenschaftlichen Diskurs in seiner Geltung ausgewiesen, noch gab es vor den Reformen Erfahrungsbelege oder erfolgreiche Beispiele. Das Gegenteil ist der Fall: Die negativen Erfahrungen in den USA mit Standards, Tests und Charter Schools hätten Warnung genug sein müssen! Es ist an der Zeit, die wahren Motive der selbsternannten Wohltäter aus Gütersloh aufzudecken.