Veröffentlicht am 19.10.12

Offener Brief an den Bundespräsidenten

Sehr verehrter Herr Bundespräsident,

zu Ihrer Wahl am 18.3.2012 möchten wir Ihnen herzlich gratulieren. Mit Ihnen als neuem Amtsinhaber verbindet sich Hoffnung: Wir hoffen auf einen Bundespräsidenten, der unserem Gemeinwesen mit Mut und intellektueller Aufrichtigkeit neue Impulse gibt, der mehr mitzuteilen hat als Konventionelles, das im Rahmen des politischen Mainstreams verbliebe und über diesen nicht hinauswiese. Vor allem aber hoffen wir auf Ihre Vorliebe für die Freiheit, die wir aus vollem Herzen teilen – in der Erwartung, daß Deutschland aus den leidvollen Erfahrungen mit zwei menschenverachtenden Diktaturen eigentlich gelernt haben sollte.

Mehrfach haben Sie in öffentlichen Reden vor Ihrem Amtsantritt auf Ihre biographische Erfahrung verwiesen: Im Zusammenhang mit der Wende im Jahre 1989 haben Sie erlebt, wie »aus Staatsinsassen Bürger« wurden. Mit dem vorliegenden Brief unterbreiten wir Ihnen ein Anliegen, das direkt mit Ihrer Sehnsucht nach Freiheit zu tun hat, nur daß es hier nicht um die Erfüllung dieser Sehnsucht geht, sondern um die Bedrohung von Freiheit in der Gegenwart: Wir fürchten, daß wir erneut Insassen werden, nicht Insassen des Staates, sondern einer Gesellschaft, in der eine zentrale Äußerungsform von Freiheit, die Freiheit des Gedankens und speziell die Freiheit von Forschung und Lehre, entscheidend bedroht ist. Dieses Phänomen betrifft das Bildungssystem als Ganzes und manifestiert sich nicht zuletzt an den Universitäten, denen sich dieser Brief in der Hauptsache widmen wird.

(Quelle: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik. 88. Jg. Heft 2. Paderborn: Schöningh. 2012. S. 341-351.)

Der ganze Brief als PDF:Dochhorn_offener Brief an den Präsidenten