Veröffentlicht am 02.06.21

Zur Ständigen Wissenschaftlichen Kommission bei der Deutschen Kultusministerkonferenz

Aus aktuellem Anlass befasst sich das Wort zum Sonntag heute mit der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (kurz: StäWiKo) bei der Deutschen Kultusministerkonferenz (KMK), deren Mitglieder seit kurzem feststehen.

Man kann direkt die Homepage jedes Mitglieds anklicken. Wir beginnen mit den vier ständigen Mitgliedern, die nicht ad personam berufen wurden, sondern als Leiter anderer Institutionen wie ZIB, IQB, DIPF: Das ZIB wurde 2010 vom BMBF und der KMK gegründet: Zib education (Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) e.V.)

Also wäre es wohl naiv anzunehmen, dass die ZIB-Direktoren (zu denen auch Herr Köller sowie mittelbar Frau Stanat gehören) irgendwie von der KMK unabhängig wären. Zudem ist der deutsche Teil von PISA direkt am ZIB angesiedelt, somit sitzt PISA mit in der StäWiKo. Das IQB ist eine Gründung der KMK, also werden auch die Direktoren des IQB von der KMK ausgesucht. Herr Köller war früher Direktor am IQB, Frau Stanat ist es jetzt. Beide sind nun Mitglieder der StäWiKo. Und auch am DIPF ist PISA vertreten: PISA am DIPF

Niemand wird glauben, dass das DIPF von der KMK unabhängig ist. Der vom DIPF herausgegebene „nationale Bildungsbericht“ zeigt das Logo der KMK und das des BMBF und wird somit vermutlich nie etwas enthalten, das den zuständigen Ministern oder der KMK missfällt: Bildungsbericht 2020

Dafür sorgt laut Vorwort auch eine Steuerungsgruppe. Eine Liste von genannten weiteren Mitwirkenden enthält auch Frau Cress und Frau Grell, die jetzt Mitglieder der StäWiKo sind. Dieselbe Steuerungsgruppe mit dem StäWiKo-Mitglied Herrn Kuper als Beiratsvorsitzendem ist eng verflochten mit den Ländern und mit der KMK (Verwaltungsabkommen über das Zusammenwriken von Bund und Ländern). KMK/Feststellung der Leistungsfähigekeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich)

Die eigentlichen Mitglieder der Steuerungsgruppe sind acht Staatssekretäre. Mit beratender Stimme sind auch der Generalsekretär der KMK sowie die jeweiligen Direktoren vom IQB dabei, derzeit also Frau Stanat. Somit gibt es multiple Verflechtungen und wechselseitige Abhängigkeiten allein schon zwischen der KMK und den vier genannten Organisationen. Die KMK lässt sich von solchen Leuten beraten, die sie selber als Direktoren von sozusagen „befreundeten“ Organisationen eingesetzt hat. Man könnte fast von einem „Klüngel“ sprechen. Das ähnelt undurchsichtigen Schachtelbeteiligungen in großen Konzernen, wo immer der Vorstand des einen Unternehmens bei dem anderen im Aufsichtsrat sitzt.

Wenn man die Liste der 12 anderen (berufenen) Mitglieder durchgeht, dann fällt zunächst auf, dass die von diesen Professoren (es sind keine Schulpraktiker dabei) vertretenen Fächer nicht die Wichtigkeit in schulischen Lehrplänen widerspiegeln. Von den MINT-Fächern sind nur Mathematik und Biologie vertreten, denn Frau Prediger hat Mathematik im Lehramt studiert und Frau van Ackeren Biologie, ebenfalls im Lehramt. Allerdings hat sich Frau von Ackeren seit Jahrzehnten anderen Themen zugewandt, sie ist keine Biologie-Didaktikerin. Physik und Chemie scheinen völlig zu fehlen.

Von den Fremdsprachen ist auch nichts zu sehen (Deutsch als Zweitsprache aber sehr wohl; man wird Gründe haben), umso mehr aber die Fächer Psychologie, schulische Inklusion, Wirtschaftspädagogik, Bildungsmanagement, Berufspädagogik, Schulentwicklungsforschung, frühkindliche Bildung. Kein einziger Fachwissenschaftler aus einem einzigen Schulfach ist zu sehen und nur zwei Didaktiker zu Schulfächern: Mathematik und Deutsch als Zweitsprache.

Herr Köller ist der Inbegriff des Multifunktionärs-Bildungswissenschaftlers, Psychologe von Hause aus, ist er inzwischen „Alleskönner par excellence“ und äußert sich sogar in Sachen Mathematikunterricht. Herr Kleickmann ist als ehem. Mitarbeiter verbunden mit dem MPI für Bildungsforschung in Berlin sowie dem IPN in Kiel (Direktoren: Baumert und Köller, wobei Köller früher auch am MPI tätig war). Frau Diehl vertritt die Zuwanderung mit Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung. Studiert hat sie Soziologie und Psychologie. Frau Cress ist studierte Psychologin und so nebenbei stellvertretende Vorstands-Vorsitzende der Deutschen Telekom-Stiftung, die sich (laut ihrer Homepage) für gute Bildung in der digitalen Welt einsetzt. Das lässt aufhorchen. Bei ihren vielen Nebenämtern hat sie bestimmt keine Zeit mehr für eigene Forschung, was allerdings auch auf andere StäWiKo-Mitglieder zutreffen dürfte.

Was noch auffällt: die Findungskommission unter dem Ex-PISA-Koordinator Prenzel umfasste auch zwei ehemalige Staatssekretäre, nach klassischem Proporz einen für die SPD und eine für die CDU, gewissermaßen als „politische Aufpasser“. Mitglieder der sog. „Köller-Kommission“, die gerade für die Schule in Berlin einen Bericht erstellt hat, sind vielfältig auch wieder in der StäWiKo vertreten. Das könnte an dem ehem. Staatsskretär Voges (SPD) in der Findungskommission liegen, der auch die Köller-Kommission moderierte. Einige Mitglieder der StäWiKo haben in jüngeren Jahren mal ein paar Jahre an Schulen unterrichtet, aber insgesamt ist dieser Aspekt der Praxis sehr wenig repräsentiert. Es überwiegen die stromlinienförmigen, PISA-angepassten Theoretiker und Multifunktionärsprofessoren, die stets „mit den Wölfen heulen“ und nichts von sich geben werden, was Politikern irgendwie weh tun könnte. Das wird auch dann gelten, wenn es tatsächliche empirische Erkenntnisse geben sollte, die ein Versagen der Schulpolitik in dem einen oder anderen Bundesland belegen. Diese Wissenschaft übernimmt von sich aus keine Korrekturfunktion bei Fehlentwicklungen.

Überall wird heutzutage von der Qualitätsentwicklung im Bildungswesen geredet, die sich durch das Wirken der zahlreichen neuen Institutionen sowie des Bildungsmonitorings einstellen wird, nachdem sie in der grauen Vor-PISA-Zeit offenbar nicht vorhanden war. Man lobt sich gegenseitig und klopft sich gegenseitig auf die Schulter und sitzt auch zusammen in anderen wichtigen Kommissionen. Und ziemlich sicher ist eine solche Mitgliedschaft auch mit finanziellen Zuwendungen verbunden, eine vermutlich 5-stellige Summe pro Jahr für jedes Mitglied. Auch das wird etwaige Kritik aus den eigenen Reihen dämpfen. „Manus manum lavat“, sagt ein lateinisches Sprichwort. Damit die StäWiKo nicht etwa allzu aufmüpfig werden kann, steht zudem in der entsprechenden Verwaltungsvereinbarung zwischen den Bundesländern in Art. (4): „Grundlage der Arbeit der StäWiKo ist ein im Dialog mit der KMK einvernehmlich abgestimmtes Arbeitsprogramm. […] Die Vorschläge für das Arbeitsprogramm werden in der Amtschefskommission ‚Qualitätssicherung in Schulen‘ vorberaten.“ Also ist alles „einvernehmlich“ und wird von den politischen (!) Ministerialbürokraten (Staatssekretären) „vorberaten“. Die StäWiKo wird handzahm sein wie ein Lämmchen.

Wir dürfen gespannt sein, welche großartigen Fortschritte im deutschen Schulwesen durch die neue StäWiKo erzielt werden. Zu vermuten ist allerdings, dass der allgemeine, mit viel Phraseologie und einzelnen Aktionismen vernebelte Stillstand nur ein wissenschaftliches Mäntelchen umgehängt bekommt zur Rechtfertigung dessen, was die KMK schon vorher gemacht hat. Die ZEIT schrieb bereits 1964 geradezu prophetisch in einem Artikel „Droht uns die Expertokratie?“: „Für den Wissenschaftler ist es verlockend, Studierstube und Laboratorium mit den Vorhöfen der Macht zu vertauschen. Und der Politiker greift begierig zu einer Legitimation seiner Machtposition, die ihm der Experte liefert“. Und schon 57 Jahre später haben wir nun durch die StäWiKo in prächtiger, beispielgebender Weise die ultimative Durchsetzung dieses Prinzips im schulischen Bereich. Gratulation!

In diesem Sinne wünscht einen schönen Sonntag
Wolfgang Kühnel