Veröffentlicht am 25.08.17

Kein Jugendschutz auf dem Pausenhof

Smartphonenutzung an Schulen zwischen Privatsphäre und Jugendschutz

Gastbeitrag von Antje Pommerening

Fast alle Bundesländer überlassen es den einzelnen Schulen, wie sie die Smartphone-Nutzung an Schulen regeln. Einzig Bayern zeigt eine klare Linie: dort müssen Smartphones auf dem Schulgelände ausgeschaltet sein, in Ausnahmefällen kann der Lehrer z.B. zur Information der Eltern die Nutzung erlauben.

In Baden-Württemberg beispielsweise muss jede Schule selber die Smartphone-Nutzung regeln. Manche Schulen erlassen strenge Regeln, die die Nutzung verbieten oder einschränken, andere Schulen geben die Handynutzung in den Pausen komplett frei. In diesem Fall können Schüler in den Pausen nach Belieben ihren Handy-Spielen frönen, Nachrichten verschicken oder einander Video-Clips jeglichen Inhalts zeigen. Eine typische Beschäftigung von Sechstklässlern in den Pausen sieht dann so aus, dass einer das Handy in der Hand hält und vier weitere wie von Zauberhand festgenagelt mit gebeugtem Nacken verfolgen, was ihr Freund spielt. Der pädagogische Unwert einer solchen Pausenbeschäftigung liegt auf der Hand.

Neben harmlosen Spielen ermöglicht die freie Handyregelung aber auch, dass die Schüler einander Inhalte zeigen können, vor denen sie das Bundesjugendschutzgesetz schützen soll. Dieses verbietet es, Minderjährigen beispielsweise Bilder von sterbenden Menschen, Terrorpropaganda oder Pornographisches zu zeigen. All dies ist im Internet frei verfügbar, auf dem Pausenhof kann es gezeigt werden, während der Aufsicht führende Lehrer daneben steht.

Da das Smartphone zum Privatbereich des Schülers zählt, darf der Lehrer keinen Blick darauf werfen oder gar Inhalte abrufen. Ebenso wenig dürfte er ja einem Schüler über die Schulter schauen, wenn dieser in seinem Tagebuch liest. Der Schutz der Privatsphäre ist in unserer Rechtsordnung zu Recht ein sehr hohes Gut und verständlich. Nicht verständlich und absolut inakzeptabel ist es jedoch, wenn die Aufsicht führende Lehrkraft es daher bei freier Handynutzung hinnehmen muss, dass die Schüler einander jugendgefährdende Inhalte zeigen können. Nur wenn andere Schüler davon erzählen würden, dürfte der Lehrer einschreiten und das Handy einkassieren. Dann könnte die Polizei gerufen werden, die wiederum nur mit einem richterlichen Durchsuchungsbefehl autorisiert wäre, die Inhalte anzuschauen.

Der Jugendschutz, der im Internet kaum mehr existiert, ist auf dem Pausenhof der Schulen, die eine freie Handynutzung erlauben, im Ergebnis aufgehoben. Uns Lehrern sind die Kinder zwar anvertraut, wir haben aber keinerlei Möglichkeit, sie vor jugendgefährdenden Inhalten zu schützen.

Es ist, als hätten wir an der Schule einen Raum eingerichtet, den nur Schüler betreten dürfen, vor dessen Eingang ein Lehrer steht und sieht, dass die Schüler ihn gerne betreten und viele ihn glücklich verlassen, einige jedoch verstört herauskommen, ohne dass der Lehrer den Kopf in den Raum stecken könnte, um mal nach dem Rechten zu schauen. Niemand würde einen solchen aufsichtsfreien Raum in einer Schule dulden. Sobald es sich aber um einen virtuellen Raum handelt, werden alle Bedenken beiseitegeschoben.

Das Kultusministeriums entzieht sich der Verantwotung

Die Schule ist ein Schutzraum. Sowohl medienverwahrloste Kinder, die außerhalb der Schule alles sehen können, als auch behütete Kinder, die nur begrenzt Zugang zum Internet haben, dürfen nicht Gefahr laufen, dass sie auf dem Schulhof Video-Clips sehen von überfahrenen, sterbenden Tieren, von Hinrichtungen oder Terrorpropaganda. Es gibt keine Lösch-Taste für solche Bilder in der kindlichen Seele, sie brennen sich ein und die Kinder können sie sich nicht von der Seele kratzen. Ein blaues Auge sehen die Eltern und fragen nach. Seelische Gewalt hinterlässt keine äußeren Spuren. Schule sollte ein Ort sein, der auch die seelische Unversehrtheit der Kinder im Blick hat. Wir Lehrer sind dafür verantwortlich, solange die Kinder in unserer Obhut sind. Bei freier Handynutzung haben wir Lehrer keine Möglichkeit, unserer Verantwortung den Schülern gegenüber gerecht zu werden. Die Eltern geben ihre Kinder voller Vertrauen in die Obhut der Schule. Diese müsste präventiv alles in ihrer Macht Stehende tun, die Kinder vor körperlichen und ebenso vor seelischen Verletzungen zu schützen.

Bei Diskussionen über ein Handynutzungsverbot darf das Zauberwort „Medienkompetenz“ nicht fehlen. Medienkompetenz ist wichtig, aber kein Allheilmittel. Wenn Schüler einander Gewaltvideos oder Terrorpropaganda zeigen, so liegt das nicht an fehlender Medienkompetenz.

Nach langer Korrespondenz mit der Schulverwaltung, ob das Bundesjugendschutzgesetz überhaupt gelte an der Schule und wer die Verantwortung dafür trage, wurde mir vom baden-württembergischen Kultusministerium kryptisch geantwortet, das Jugendschutzgesetz gelte zwar, komme aber in den von mir „beschriebenen Fällen allerdings nicht unmittelbar zur Anwendung“, ferner hieß es, die Lehrkraft solle von einem verantwortungsvollen Gebrauch der Smartphones ausgehen, sofern sie nichts Gegenteiliges erführe.

Eine solche Haltung zeigt, dass man sich von Seiten des Kultusministeriums der Verantwortung nicht stellen will, sondern durch aktives Wegschauen das Problem klein halten möchte. Jegliche Schutzmaßnahmen in allen anderen schulischen Bereichen müssen präventiv sein. Wenn man eine Gefahr sieht, muss man sich im Vorfeld um ihre Vermeidung kümmern und kann nicht erst dann einschreiten, wenn die Gefahr sich verwirklicht hat. Ein Sportlehrer muss für Schwimmhilfen sorgen, bevor ein Nichtschwimmer ins Becken gefallen ist. Bei der Verhinderung seelischer Verletzungen scheint der Präventionsgedanke den Schulverwaltungen, die eine freie Handynutzung zulassen, fremd zu sein.

Jugendgefährdende Inhalte haben auf dem Pausenhof nichts zu suchen. Da die Privatsphäre des Schülers zu Recht dem Lehrer jeden Zugriff auf die Inhalte eines Schülerhandys verwehrt, ist die einzige Lösung ein Handynutzungsverbot in den Pausen. Wann endlich wird das Bundesjugendschutzgesetz auf den Pausenhöfen bundesweit durchgesetzt und nicht nur in Bayern?