Veröffentlicht am 26.06.17

Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung

Hintergründe und Beispiele

Eine Studie, herausgegeben vom FGW – Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung e.V. im Mai 2017.

Von Prof Dr. Silja Graupe

Seit einiger Zeit erforsche ich intensiv die Wirkung der ökonomischen Standardlehrbücher, wie sie weltweit genutzt und vor allem auch den Studienalltag nicht nur von Studierenden der VWL, sondern Studierender vieler weiterer Fächer in Deutschland prägen (wohl insgesamt bis zu 20 % aller deutschen Studierenden). In einer neuen Studie Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung. Hintergründe und Beeinflussung zeige ich vor dem Hintergrund von Erkenntnissen der Kognitionswissenschaften nun auf, wie diese Lehrbücher durch ihre rhetorischen und didaktischen Mittel tatsächlich auf die unbewusste Meinungsbildung von Studierenden Einfluss nehmen können – und dies auf eine Weise, die dezidiert nicht den Kriterien einer wissenschaftlich-objektiven Vermittlung entspricht.

Allgemeiner Überblick

In der Studie gehe ich systematisch dem Vorwurf der Indoktrination, d. h. der Vermittlung einer unkritischen Übernahme von Weltanschauungen oder sogar Glaubenssätzen im Rahmen ökonomischer Standardlehrbücher nach. Konkret untersuche ich den potenziellen Einfluss der ökonomischen Standardbildung an Hochschulen auf grundlegende Denk- und Handlungsweisen.

  • Zur Anwendung kommen sprach- und textbasierte Analysen, die sich auf Erkenntnisse der Kognitionswissenschaften und der Beeinflussungsforschung stützen.
  • Am Beispiel zwei der weltweit wichtigsten und einflussreichsten Standardlehrbücher – die Economics von Samuelson und Nordhaus sowie Mankiws Economics weise ich explizit vielfältige Formen der für Studierende unbewusst bleibenden Formen der Beeinflussung auf.
  • Die Methoden der Beeinflussung, die zum Einsatz kommen, sind etwa ideologisches und selektives Framing, Metaphorisches Mapping, Förderung peripherer, d.h. unkritischer Routen der Informationsverarbeitung und bloße Appelle an die Autorität der (Wirtschafts-)Wissenschaft.
  • Alle diese Methoden zielen auf die unbewusst bleibende gedankliche Veränderung von Deutungsrahmen (Frames) ab und sind dazu geeignet, das generelle Verständnis der Studierenden von sich selbst und der Welt im Unbewussten umzustrukturieren (Reframing).
  • Gefördert wird dadurch insbesondere ein unkritisches, undifferenziertes Marktverständnis, das ideologische und implizit normative Züge auf der Ebene grundlegender Weltanschauungen aufweist.
  • Die aufgewiesenen Methoden entsprechen nicht den Kriterien einer Wissenschaft, die nach wissenschaftlicher Objektivität strebt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Kernproblem nicht im mathematischen Analyseinstrumentarium der Neoklassik liegt.

Die detaillierten Analysen von Textbeispielen in der Studie sollen einen Grundstein legen, damit Leserinnen und Leser Beeinflussungsformen auch in anderen Lehr-Lernmaterialien selbstständig aufspüren und so zu einer eigenen Urteilsbildung in erweiterten Kontexten gelangen können.
Abschließend zeige ich Wege des kritisch-reflexiven Umgangs mit Beeinflussungsformen in der ökonomischen Bildung auf. Damit möchte ich zur konstruktiven Diskussion über Formen einer manipulationsfreien ökonomischen Bildung beitragen.

Hintergründe in der Bildung

Was bedeutet es, wenn die ökonomische Bildung zum Mittel der Beeinflussung grundlegender Weltanschauung und Überzeugungen der Studierenden werden kann? Diese Frage ist nicht nur für Hochschulen von Interesse, sondern auch für Schulen. Soll sich der Schulunterricht nach dem Willen vieler doch zunehmend an den Lehrstandards der Fachwissenschaft orientieren.

Gregory Mankiw spricht in seinem Bestseller-Lehrbuch Economics offen davon (3. Auflage 2014, 17), dass ökonomische Standardlehrbücher Threshold Concepts vermitteln sollen. Damit bezieht er sich auf ein Konzept der Pädagogik von Meyer und Land (2003 und 2005), das folgende Verständnisse beinhaltet (vgl. Seite 44-47 meiner Studie):

  • to affect „a transformed internal view of subject matter, subject landscape, or even world view“
  • to teach „conceptual gateways that may be transformative (occasioning a significant shift in the perception of a subject) [and] irreversible (unlikely to be forgotten, or unlearned only through considerable effort”
  • to lead „to a transformation of personal identity, a reconstruction of subjectivity. In such instances a transformed perspective is likely to involve an affective component – a shift in values, feeling or attitude”
  • to involve “the humbling of the participant. […] He or she must strip away, or have stripped from them, the old identity. […] The individual is naked of self”.
  • to lead the learner trough a transformational landscape in a kind of epistemological steeplechase, towards a pre-ordained end.”

Kurz: Bildung soll Persönlichkeit verändern – ohne aber dass der Lernende befähigt würde, sich selbst zu bilden und über diese Veränderungsprozesse bewusst zu entscheiden. In meiner Studie spüre ich nicht nur solchen grundlegenden pädagogischen Verständnissen nach, sondern zeige auch detailliert auf, wie Lehrbuchautoren heutzutage tatsächlich über die didaktischen und rhetorischen Mittel verfügen, diese Verständnisse zu realisieren. Damit möchte ich nicht zuletzt zu einer fundierten Diskussion über Status und Zielvorstellungen der ökonomischen Lehre beitragen – sowohl an Hochschulen als auch an Schulen.

Weiterlesen: Zusammenfassung  oder die komplette Studie

Kontakt

Prof. Dr. Silja Graupe, Professorin für Ökonomie und Philosophie
Mail: silja.graupe@cusanus-hochschule.de