Veröffentlicht am 11.07.14

Sekundar- und Gemeinschaftsschule in Berlin – keine Erfolgsmodelle!

Gastbeitrag von Rainer Werner

Bildungspolitiker pflegen eine Vorliebe, die Lehrer und Eltern wenig sympathisch finden. Sie lieben es, immer neue Schulformen in die Welt zu setzen. Dabei unterliegen sie dem Trugschluss, man müsse die Schüler nur neu mischen und das Schild am Schultor austauschen, und schon hätte man eine neue wunderbare Lernkultur. Lehrkräfte begegnen solchen Verheißungen in der Regel mit Skepsis. Sie wissen, dass ein Hauptschüler auch dann ein Hauptschüler bleibt, wenn er die Sitzbank mit einem Realschüler teilt. Die Verfechter der Gemeinschaftschule gehen davon aus, dass die minder begabten Schüler sich an den begabten «aufrichten», dass sie sich in ihrem Lerneifer und ihrem Sozialverhalten an den guten Schülern orientieren. Stimmt diese Annahme?

In Berlin kann man die Probe aufs Exempel machen. Dort wurden vor genau vier Jahren die Integrierten Sekundarschulen (ISS) gegründet – und zwar durch die Fusion von Haupt- und Realschule. Auch traditionelle Gesamtschulen können sich in «ISS» umbenennen. Der zweite neue Schultyp ist die Gemeinschaftschule, in der alle Schüler ungeachtet der Grundschulempfehlungen gemeinsam unterrichtet werden. Beide neuen Schulformen bieten den Mittleren Schulabschluss (MSA) an, der für die Schüler, die kein Abitur anstreben, den Weg in die Berufsausbildung ebnet. Im Jahre 2013 wurden Zahlen veröffentlicht, die zeigen, wie die beiden neuen Schulformen beim Mittleren Schulabschluss abgeschnitten haben. Zwar hat sich das Ergebnis aller Schüler im Landesdurchschnitt von 87 % im Jahre 2011 auf 90 % im Jahre 2013 verbessert, auffällig schwach schneidet jedoch genau die Schulform ab, die das Lieblingskind der sozialdemokratischen Schulpolitik in Berlin ist: die Gemeinschaftschule. Hier schafften nur 78 % der Schüler den Abschluss. Die soliden Ergebnisse an den «ISS» gehen vor allem auf das gute Abschneiden der «alten» Gesamtschulen zurück (88%), die über eine intakte, lange erprobte Lernkultur verfügen. Dabei muss man wissen, dass die Gesamtschule die Lernprozesse nach Leistungsniveaus differenziert, während die Gemeinschaftschule aus ideologischen Gründen am «gemeinsamen Lernen aller Kinder» festhält. Im Grunde «bilden» die Gesamtschulen das dreigliedrige Schulsystem in ihrem Inneren «ab». Das erklärt vielleicht ihren relativen Erfolg.

Jeder Lehrer weiß, dass das Lernen in homogenen Lerngruppen besser gelingt als in heterogenen. Driften die Lernvoraussetzungen der Schüler, also Begabung, Arbeitshaltung, Ehrgeiz, zu weit auseinander, ist der Spagat im Unterricht kaum noch zu schaffen. Studien belegen, dass bei einer zu starken Differenzierung nur die «Mitte» profitiert, weil sich die Lehrkraft vor allem auf sie – die größte Gruppe in der Klasse – konzentriert. Benachteiligt sind die Hochbegabten und – wen wundert´s? – die Lernschwachen. Das soziale Anliegen, das die Verfechter der Gemeinschaftsschule stets ins Feld führen, entpuppt sich in der Praxis im Klassenzimmer allzu oft als Illusion. Der Nestor der (west-)deutschen Didaktik Hermann Giesecke warnte schon vor Jahren vor der Illusion, lernschwache Kinder könnten in heterogenen Lerngruppen profitieren, wenn man nur das Lernen differenzierte: «Nahezu alles, was die moderne Schulpädagogik für fortschrittlich hält, benachteiligt die Kinder aus bildungsfernem Milieu. Gerade das sozial benachteiligte Kind bedarf, um sich aus diesem Status zu befreien, eines geradezu altmodischen, direkt angeleiteten, aber auch geduldigen und ermutigenden Unterrichts.» (zit. nach: Michael Felten: «Bildungsgerechtigkeit – Gespenst oder Gebot?», 2012). Und dieser «direkt angeleitete» Unterricht, das vom Lehrer gelenkte Gespräch, ist nur in relativ homogenen Lerngruppen zu leisten.

Der vollständige Artikel als PDF: RainerWerner-Sekundarschulen in Berlin