Veröffentlicht am 03.01.16

Management-Regime der Schule

Technokratische Reformen gefährden die hohe Qualität des Schweizer Bildungssystems

Von Beat Kissling und Alain Pichard (in: VPOD-Bildungspolitik)

Am 26. Januar 2015 haben die SP- Nationalrätinnen und Nationalräte Jacqueline Badran (ZH), Marina Carobbio Guscetti (TI), Jean Christophe Schwaab (VD),Carlo Sommaruga (GE) und Cédric Wermuth (AG) sowie François Clément, Vize-Zentralsekretär, und Fabian Molina, Präsident der JUSO Schweiz, in Le Temps eine Stellungnahme mit dem Titel «Neue Freihandels abkommen bedrohen das ‹Erfolgsmodell Schweiz› – Stopp TISA» veröffentlicht. Es geht darin insbesondere um den Schutz des schweizerischen Service public, der durch dieses Abkommen (TISA) weitgehend dem «freien» Markt, sprich der Privatisierung, überlassen und somit der demokratischen Kontrolle entzogen würde. Die AutorInnen erinnern daran, dass das «Erfolgsmodell Schweiz» wesentlich auf den Pfeilern des bestehenden Service public, auf der direkten Demokratie und einer auf Ausgleich ausgerichteten Wirtschaftspolitik beruht. Die auf Gemeinnutz und genossenschaftlichen Prinzipien bauenden Werte der politischen Kultur in unserem Land (Jacqueline Badran) spiegeln sich gerade in diesem Service public wider, welcher «eine wichtige Rolle für den nationalen und sozialen Zusammenhalt» (Le Temps) spielt. Dieses Manifest gilt es im Folgenden dabei zu haben, wenn es um unsere öffentliche Schule geht.

Reformhektik im öffentlichen Schulwesen

Im Bildungswesen als wohl sensibelsten Bereich dieses Service public, das vom TISA-Abkommen im Hinblick auf Privatisierungsbestrebungen mit Sicherheit betroffen sein dürfte, erleben wir seit Jahren Kaskaden von Reformen, die mit enormer Propaganda und dem Gestus einer eigenmächtigen Verwaltungsbürokratie durchgezogen werden – zumeist ohne öffentliche Diskussion und gänzlich ohne Zustimmung der eigentlichen Schulexperten, nämlich den Lehrpersonen. Einige wenige profilierte Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik haben – mit merkwürdig wenig Resonanz – wiederholt versucht, auf die fehlende Sach- und Fachbegründung dieser «Reformitis» hinzuweisen und die längst fällige Zäsur zur vertieften Reflexion und Diskussion endlich zu ermöglichen. Im Memorandum «Mehr Bildung – weniger Reformen» forderten vor zwei Jahren namhafte Humanwissenschaftler, unter anderem die Professoren Walter Herzog, Roland Reichenbach, Allan Guggenbühl, Remo Largo, Fritz Osterwalder, Rolf Dubs einen «Stopp der Reformhektik», die ohne öffentlichen Konsens «von oben» verordnet und durchgesetzt werde; ja man sprach gar vom Weichen der öffentlichen Kontrolle im Bildungswesen zugunsten einer «demokratiefernen Expertokratie». Solche Stellungnahmen waren über die letzten Jahre rar und zwar im gesamten politischen Spektrum, leider auch bei den sich als fortschrittlich verstehenden Kreisen. Umso erfreulicher, wenn gelegentlich ein beherztes Auftreten den scheinbaren gesellschaftlichen Konsens durchbricht: «Lasst die Schule in Ruhe! Der Lehrplan 21 ist gescheitert» äusserte im letzten Oktober Ständerätin Anita Fetz in der «ZEIT». Die Schule brauche «weniger pseudopädagogische Reformen, weniger Reformitis. Dafür gut ausgebildete und engagierte Lehrpersonen, die man in Ruhe guten Unterricht durchführen» lassen solle. Dieser Aufruf war ein Segen aus der Feder einer profilierten linken Persönlichkeit. Sie hat mit dieser Aussage den «Nagel auf den Kopf getroffen», was heute in unserem Schulwesen Programm ist – das pure Gegenteil.

Zweifellos gilt der ebenfalls in Kabinettspolitikmanier fabrizierte Lehrplan 21 als grosser Meilenstein für eine Art Kulturrevolution beziehungsweise Paradigmenwechsel im Bildungswesen – zumindest ist dies eine der Botschaften, die aus den kantonalen Bildungsdirektionen «dem Volk» übermittelt werden; die andere, recht paradox anmutende, gänzlich gegensätzliche Botschaft lautet: «Entwarnung! Es ändert sich eigentlich gar nichts». In der Psychiatrie spricht man bei solch widersprüchlichen Botschaften von einer «Double-Bind»-Kommunikation.

Der ganze Beitrag aus der VPOD-Bildungspolitik als PDF: B. Kissling, A. Piichard: Management-Regime